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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

des letzten Willens des Generals bezüglich dieses Punktes war so entschieden, daß der Vorschlag aufgegeben wurde. Die Uebertragung der Leiche in die neue Grabkammer geschah am 7. October 1837, und damit Niemand die Ruhe Washington’s störe, ward das Thor des Gewölbes geschlossen und der Schlüssel in den Potomac versenkt. Die Marmorsarkophage, durch das Gitter den Besuchern sichtbar, sind ebenso einfach, wie die Aufschriften, die ihre Flächen zieren.

Martha,

Consort of Washington.

Died May 21st, 1801; Aged 71 years –“

so lautet die Inschrift des einen Sarkophags, während die des anderen als einzigen Schmuck das Wappenschild der Vereinigten Staaten zeigt und darunter das einfache Wort:

„Washington“

Lenken wir nun unsere Schritte dem Hause zu, in welchem der Liebling der amerikanischen Nation lebte und starb, so führt unser Weg an einer mächtigen Eiche vorüber, unter welcher er häufig zu ruhen pflegte. Das Haus ist ein Holzbau und wurde im Jahre 1743 von Lawrence, dem Bruder Washingtons, errichtet und von ihm zu Ehren des britischen Generals Vernon, mit welchem er während der Campagnen in Westindien 1741 bis 1742 sehr befreundet gewesen, Mount Vernon genannt. Georg, der große amerikanische Staatsmann und Patriot, ward nicht hier geboren, sondern in der alten Heimstätte seiner Vorfahren am Bridges Creek, nahe dem Punkte, wo derselbe in den Potomac mündet. Jenes Haus ist längst verschwunden, und nur ein mit einer Inschrift versehener Stein bezeichnet die Stelle, wo das alte Farmhaus gestanden. – Nach dem Tode seines Bruders erbte Georg das Gut auf Mount Vernon und unter seiner Wirthschaft wurde das einfache Landhaus zu einem großen mit schönen Colonnaden und Balustraden verzierten Heerensitze, dessen Länge 98, dessen Tiefe 30 Fuß betrug.

Treten wir in die Haupthalle des Hauses, so finden wir die Wände mit allerhand Reliquien und Bildern bedeckt, die an den letzten Bewohner erinnern, und hier sehen wir auch als erstes Object von Interesse den in einem Glaskästchen hängenden „Schlüssel zur Bastille“, welches Emblem der Unterdrückung nach Zerstörung der Bastille dem „großen Freunde der Freiheit“ 1789 von Lafayette mit folgenden Worten zugesandt wurde: „Es ist ein Tribut, welchen ich schulde als Sohn meinem adoptirten Vater, als Adjutant meinem General, als Missionär der Freiheit meinem Patriarchen.“

Thomas Paine, ein Republikaner in London, welchem der Schlüssel zur ersten Aufbewahrung übergeben war, schrieb an Washington erfreut: „daß die Principien von Amerika die Bastille geöffnet, ist nicht zu bezweifeln, und deshalb kommt der Schlüssel an seinen richtigen Platz.“

An die Hausflur schließen sich verschiedene Räume; zunächst gelegen ist das Musikzimmer oder „East Parlor“, im Stile der Revolutionszeit geschmackvoll ausgestaltet, unter welchem wir unter Anderem ein Spinett, Washington’s Brautgeschenk an Eleanor Custis, gewahren.

Weiter gelangen wir in das alte Eßzimmer, in dem die hervorragendsten Geister der Neuen Welt so oft beisammen gesessen. Decke und Wände sind mit Stuckornamenten geziert, der größte Schmuck aber besteht in einer Kaminbekleidung aus Carrarischem Marmor, dessen Ausführung Canova zugeschrieben wird. Dieses Kunstwerk, von einem Engländer Washington zum Geschenke gemacht, fiel während der Ueberfahrt von Italien nach Amerika in die Hände französischer Piraten, welche, als sie entdeckten, für wen das Werk bestimmt war, es unversehrt an den Ort seiner Bestimmung sandten. In der Mitte desselben Raumes fand auf einem Tische von Rosenholz ein aus dem Granit des zerstörten Gefängnisses gefertigtes Modell der Bastille seinen Platz, ebenfalls ein Geschenk Lafayette’s.

Haben wir das sogenannte Westparlor und das Familienzimmer passirt, welche, wie die Mehrzahl der anderen Gemächer, mit Denkwürdigkeiten aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts ausgestattet wurden, so treten wir in die Bibliothek. In den Tagen Washington’s war dieselbe der Lieblingsaufenthalt der Familie, und gar oft saß der große Staatsmann hier am Fenster oder in dem nahen Portico, um den Blick über den herrlichen Strom und die wunderbare Landschaft zu seinen Füßen gleiten zu lassen. Jetzt ist die Bibliothek wüst und leer; denn die Bücher gelangten in den Besitz des Bostoner Athenäums, und die Kostbarkeiten gingen in alle Winde.

Eine breite, dreimal getheilte Treppe führt uns nach oben, bis an das Gemach, welches Lafayette während seiner Besuche auf Mount Vernon inne zu haben pflegte. Haben wir ein zweites Zimmer passirt, in welchem zahlreiche Reliquien und Kleidungsstücke aufbewahrt werden, so stehen wir in dem Sterbezimmer Washington’s. Es ist ein mittelgroßes Schlafzimmer, zur Rechten ein Feuerplatz, an welchem das Wappen des Hauses noch erhalten ist. Zur Linken schließen sich ein bescheidenes Ankleidegemach und ein zur Aufbewahrung von Wäschegegenständen dienendes Gelaß an, während zwei große Fenster genügend Licht spenden und zugleich eine wunderbar schöne Aussicht über den Fluß hinüber nach den blauen Hügeln des Staates Maryland eröffnen, Das zwischen beiden Fenstern abgestellte Bett ist dasselbe, auf welchem Washington starb; es ist genau in derselben Weise ausgestattet, wie während der Lebenszeit des großen Generals. Ebenso sind die wenigen und bescheidenen Möbel im Gebrauch Washington’s gewesen.

Eine interessante Erinnerung aus den schweren Tagen, in denen der Liebling der amerikanischen Nation zur Ruhe gegangen war, ist das an der Wand hängende handgroße Zeitungsblättchen des New-Yorker „Mercantile Advertiser“ vom 21. December 1799, welcher in geradezu erschütternder Weise Washington’s Hingang beklagt:

„Wir empfinden eine Trauer, die unsere Sprache nicht beschreiben kann, wenn wir zurückblicken auf die bedrückende Nachricht, daß am Sonnabend, den 14. dieses Monats, auf seinem Sitze Mount Vernon in Virginien plötzlich starb

Georg Washington,

Generallieutenant und Oberbefehlshaber der Armeen der
Vereinigten Staaten von Amerika.
‚Eine korinthische Säule im Tempel der Unsterblichkeit.‘
Reif an Jahren, bedeckt mit Ruhm, reich an Zuneigung des

Amerikanischen Volkes.

Leser, wo immer du bist, in welchem Theile der Erde du wohnst, beweine mit uns den Tod des Freundes der Freiheit, des Erlösers unseres Landes, des Verteidigers unserer Rechte, des Kriegers, des Staatsmannes und des bescheidenen Bürgers, weicher niemals in seiner Pflicht abwich vom Pfade der Wahrheit, niemals sich anmaßte ungebührende Macht in den Stellungen, die ihm gegeben waren dessen Handlungen beabsichtet waren zum allgemeinen Wohle, von seinen frühesten Tagen bis zum Ende seiner Zeit … Im Felde, im Cabinet, als einfaches Glied der Gemeinde – überall gebot er Achtung und Bewunderung; in jedem Sinne des Wortes war er ein Mann, wie ihn ähnlich wieder zu sehen uns niemals erlaubt sein wird, ein Mann, dessen Tugenden in immerwährender Erinnerung bleiben werden.“

Endlich beschauen wir noch eine zweite Treppe höher das Kämmerlein, welches der hinterlassenen Wittwe zur Wohnung diente, jetzt aber in modernem Stile ausgeschmückt ist. Frau Martha war das Muster einer virginischen Hausfrau, schön, intelligent, ehrenhaft und praktisch. Die achtzehn Monat ihrer Wittwenschaft verbracht sie zumeist am Fenster ihrer stillen Klause, vielfach ohne andere Gesellschaft als die ihrer Katze, zu deren bequemerem Zutritt die Thür an der Ecke einen Ausschnitt zeigte.

Haben wir noch einen Blick in den schönen Blumengarten und die das Herrenhaus umschließenden Anlagen geworfen, so verlassen wir Mount Vernon, das jetzt im Besitze des „Mount Vernon-Frauenvereins“ ist, durch denselben Laubengang, durch welchen Washington dereinst seine Braut in sein Heim geführt, durch denselben Laubengang, durch den vierzig Jahre später der endlose Zug Leidtragender sich bewegte, die gekommen waren, den Liebling der Nation zur ewigen Ruhe zu betten.

Wir besteigen das Schiff – wieder flattert die Flagge am halben Mast; wieder tönt in gemessenen Schlägen die „tolling bell“; wieder stehen die Matrosen und alle Passagiere entblößten Hauptes – so ehrt das amerikanische Volk seinen größten Todten.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_662.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)