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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


die Beiden zusammen sah, überzeugte er sich auf’s Neue, daß Siegmund seinen eigenen, noch sehr geheimen Hoffnungen gewiß nicht im Wege stand; denn eigentlich war es doch nur das gemeinschaftliche Musiciren, das Siegmund mit Margarita verband. Saß sie zu vierhändigem Spiel neben ihm am Flügel oder sang sie zu seiner Begleitung eines der schwermütigen Lieder, die sie seltsamer Weise am meisten liebte, dann war freilich die tanzende Elfe aus einmal wie vertauscht und das liebliche Gesicht glich dem einer Muse. Dann trat ein fremder, geheimnisvoller Zug um die braunen Augen, den feinen Mund. Kaum aber war das Notenblatt niedergelegt, so sah Max voll Befriedigung, wie schnell Margarita zur Gruppe der jungen Welt zurückflog und wie häufig sein Freund sich neben die Generalin setzte, um sich mit ihr in allerlei Gespräch zu vertiefen.

Siegmund fühlte sich in der That von der Mutter fast ebenso sehr angezogen wie von der Tochter. Die tactvolle, gütige Weise, mit der Ottilie ihre persönliche Theilnahme für ihn durchblicken ließ, hatten ihm manche offene Aeußerung über sein bisheriges Leben und Sein abgewonnen. Sie legte so viel Interesse für seinen Entwickelungsgang, seine Kindheits- und ersten Jugendjahre an den Tag, daß seine angeborene Scheu, über sich selbst zu sprechen, davor wich. Außerdem fand er in dieser Frau etwas seinem eigenen Wesen Verwandtes; ihre unbestechlich rechtschaffene Gesinnung, ihr Bedürfniß der Wahrheit und Klarheit stimmten mit seiner Lebensanschauung überein.

Gewöhnt, seiner Mutter von Allem, was ihn anging, Mittheilung zu machen hatte er ihr in seinen Briefen wiederholt von dieser neuen, ihm so erfreulichen Beziehung gesprochen; er war aber nicht wenig befremdet, diesen Punkt in ihren Antworten stets mit einer gewissen Consequenz übergangen zu sehen. Ueberhaupt bot ihm die Correspondenz mit ihr nicht mehr den früheren Genuß voller Befriedigung. Unstät wie ihr Leben, das sie beständig in der weiten Welt umherführte, erschien ihm auch die Stimmung, welche aus ihren immer seltener gewordenen Mittheilungen sprach. Seine Briefe gelangten nur auf dem Umwege über Paris an sie, und zwar durch einen Banquier, der Herrn von Clairmont’s Geschäfte führte und die Anweisungen an Siegmund übermittelte.

Diese Umständlichkeiten verstimmten ihn und trugen dazu bei, seine Lust an einem Briefwechsel zu dämpfen, der eigentlich kaum mehr eine solche Bezeichnung verdiente. Siegmund empfand die Unzulänglichkeit solcher Verbindung mit seiner theuern Mutter schmerzlich, ohne sich darüber zu äußern, nicht einmal gegen Fügen, dessen Hausgenosse er auch dann geblieben, als der Meister sich Jana nach neuem Werben zur Hausfrau gewonnen hatte.

Es konnte nichts Behaglicheres geben, als die Häuslichkeit des Fügenschen Ehepaares. Der glückliche Gatte war wie verjüngt, Jana vielleicht noch etwas stiller geworden als früher. Herzenskundige mochten in ihrem Gesicht den leisen Zug erkennen, welchen großes Herzeleid unverwischbar einprägt, aber ihre liebreichen Augen, ihr ruhiges Lächeln sprachen von Trost, sogar von Glück. Das Ehepaar lebte zurückgezogen aber nicht vereinsamt; denn Befreundete gingen gern in ihrem Hause aus und ein, wo man die Wirthe stets daheim traf und die Gäste so herzlich empfangen wurden. Hier fühlte sich Siegmund durchaus heimisch. Je mehr Gemeinschaftliches aber diese drei Menschen verband, um so bewußter ward Jedem von ihnen die unsichtbare und doch so fühlbare Veränderung, welche in ihrem Verhältnisse zu Genoveva eingetreten war. Frau von Riedegg hatte neuerdings keinen Brief aus dem Fügen’schen Hanse mehr anders als durch Grüße beantwortet, die Siegmund bestellt. Dieser verweilte nicht gern bei Gesprächen, die seine Mutter betrafen, und so hielten auch die Gatten ihre Fragen und die unbestimmte Unruhe zurück, welche sie unter vier Augen gegen einander äußerten. War Fügen hierin discret, so fiel es Siegmund dagegen auf, wie eingehend er sich nach den Beziehungen des jungen Officiers zu der Seeon’schen Familie erkundigte. Für den in die näheren Verhältnisse eingeweihten Capellmeister war es ja längst kein Geheimniß mehr, daß Gräfin Seeon jene Tochter erster Ehe sei, deren Genoveva erwähnt hatte, als sie ihm die Geschichte ihres bestrittenen Rechtes erzählte. Die hochstehende, im Aussterben begriffene Familie Riedegg im Auge zu behalten war nicht schwierig; Fügen hatte also längst erfahren mit wem sich diese Halbschwester seines Mündels vermählt hatte, und auch Genoveva war durch den Freund von Allem unterrichtet. Als General Seeon jetzt nach S. versetzt worden und Siegmund’s Rückkehr in Aussicht stand, schrieb er ihr auch dies, ohne einen Augenblick zu zögern. Ihre Antwort hierauf war der letzte Brief, den Fügen von ihr erhalten; er beschränkte sich aus die kurze Weisung: den Dingen ihren Lauf zu lassen und das bisherige Schweigen Siegmund gegenüber streng zu bewahren. Gut und schön, soweit das ihn und Genoveva betraf! Wie stand es nun aber mit dieser Gräfin Seeon? Wußte sie, die damals noch ein Kind gewesen, von ihres Halbbruders Existenz, von den Ansprüchen, welche dessen Mutter erhoben? Weshalb sie ihn in ihr Haus gezogen, was aus alledem werden sollte, vermochte Fügen nicht zu überschauen und ließ es sich nicht wenig im Kopfe herumgehen. Siegmund, der unter all diesen Wissenden stand und doch von nichts wußte, empfand nach und nach eine Rückwirkung dieser ganz besonderen Lage. Mehr als einmal ward er durch einen Blick, eine Miene, eine flüchtige Frage betroffen, die ihn Verborgenes, ihn Angehendes ahnen ließ, und geriet nach und nach in ein Grübeln, das er umsonst zu verscheuchen strebte. Ein Bedürfniß glücklich zu sein, sich des schönen Lebens, seiner reichen Jugendtage zu freuen, wehrte instinctiv alles Störende ab und behielt vollends den Sieg, wenn Margarita ihm nahe war. Bei ihr gab es nichts Verhülltes; sie brauchte ihn nur anzusehen oder mit dem freien, frischen Lächeln ein Wort an ihn zu richten – und Alles in ihm wurde licht und klar.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


„Brüderchen schläft.“ Wie unser heutiges Bild (S. 669), so sind auch die übrigen künstlerischen Produkte ’’Joh. Georg Meyer’s’’ von Bremen durch seltene Naturtreue ausgezeichnet, welche, mit echt künstlerischer Auffassung gepaart, den Gestalten des Meisters den Reiz bestrickender Anmuth und Lieblichkeit verleiht.

Meyer von Bremen, der in den Jahren 1833 bis 1842 in Düsseldorf auf der Akademie seine Ausbildung empfing, legte seinen Gemälden anfänglich mit Vorliebe biblische Stoffe unter, wie „Abraham und Sarah“ etc. Bald jedoch erkannte er, daß das Genrebild sein eigentümliches Gebiet sei, und schuf nun in rascher Aufeinanderfolge trefflich gelungene Oelgemälde aus der Kinderwelt. Im Jahre 1853 siedelte er nach Berlin über, wo er sich noch jetzt aufhält: er ist Mitglied mehrerer Akademien. Auch gehört er zu denjenigen deutschen Künstlern, die sich großer Anerkennung im Auslande erfreuen; seine Arbeiten wurden größtenteils von Engländern erworben, gingen aber auch zum Theil nach Paris und Amerika. Durch den Kupferstich sind seine besten Gemälde schon früher weiteren Kreisen bekannt geworden, wie z. B.: „Die Wittwe, Abendandacht haltend mit ihren Kindern“, „Die Heimkehr des Landwehrmannes“, „Das jüngste Brüderchen“, „Blindekuhspiel“ und „Das erste Gebet“.





Etwas von den Sinnen der Ameisen. Seit uralter Zeit fesselte den Naturforscher das Leben und Treiben der Ameisen, jener geschäftigen Republikanerinnen des Thierreiches, welche, so winzig auch ihr Körperbau erscheinen mag, mit so großen Geistesgaben ausgestattet sind, daß ihnen, was die Verstandesthätigkeit betrifft, auf dieser Erde nach dem Menschen der erste Platz gebührt. Im Allgemeinen ist die Ansicht verbreitet, daß dieses interessante Gebiet des Thierlebens vollständig erforscht sei und daß man nur in einem größeren Handbuch der Thierkunde nachzuschlagen brauche, um einen Blick zu gewinnen in alle Geheimnisse dieser kleinen verständigen Wesen. Diese Meinung ist aber durchaus irrtümlich. Wir kennen zwar einige Hauptzüge aus dem gesellschaftlichen Leben der Ameisenarten, fremd sind uns dagegen die seelischen Eigenschaften der einzelnen Individuen geblieben. Erst in jüngster Zeit hat ein englischer Gelehrter, L. Lubbock, sich der Mühe unterzogen, Ameisennester in seiner Wohnung zu cultiviren und in jahrelangen Beobachtungen ihre Eigenschaften genauer kennen zu lernen. Ihm verdanken wir auch einige Aufschlüsse über die Sinne der Ameisen, also die wichtigen Organe des Seelenlebens dieser Insecten.

Der geniale Forscher belehrt uns, daß die Ameisen in der Hauptsache nur auf den Geruchssinn angewiesen sind: sie haben zwar fünf Augen, die aus unzähligen Facetten zusammengesetzt sind, aber die Sehkraft derselben ist äußerst gering: denn nach sinnreichen Experimenten Lubbock’s vermögen die Ameisen nur auf wenige Centimeter die Gegenstände deutlich zu unterscheiden. Im Allgemeinen lassen sie sich nur durch den Geruchssinn leiten, und wenn die Fährte, auf welcher sie sich befunden, plötzlich aufhört, bleiben sie rathlos in unmittelbarer Nähe des gesuchten Gegenstandes stehen. Dagegen sind die Ameisen gegen Farben sehr empfindlich; in den von Lubbock teilweise aufgedeckten Nestern mieden sie beharrlich die Stellen, welche mit roten oder violetten Gläsern bedeckt wurden, während sie sich durch gelbe oder grüne Lichtstrahlen angezogen fühlten. – Die Untersuchungen des englischen Gelehrten bilden die ersten Anfänge zur Psychologie unserer nächsten Geistesverwandten: sie haben zunächst die Dürftigkeit unserer Kenntniß nach dieser Richtung hin dargetan und dadurch hoffentlich zu neuen Forschungen auf diesem dankbaren Gebiete angeregt.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_672.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)