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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Du brauchst Dich nicht zu ängstigen. Ich hoffe bereits überwunden zu haben.“

„Sie konnte Dich wirklich –“

„Nicht mir gerade,“ siel er ein, „galt die Absage – unserm Kleinen.“

„Das verstehe ich nicht,“ versetzte Frau Förster, rathlos zum Sohne aufblickend.

„Ist im Grunde auch nicht so einfach!“ erwiderte derselbe bitter. „Besonders von einem Weibe nicht! Sie glaubt, Rudi nicht ertragen zu können.“

„Bernhard!“

Dieser war bei seinen letzten Worten aufgestanden und ging nun im Zimmer auf und nieder:

„Ja, ja! Das habe ich hören müssen: Dieses Kind nicht zu ertragen! Und wüßte sie, welche Fülle von Liebe trotz all seiner Leiden gerade in dem kleinen Herzen Raum hat! Nicht wahr? – Aber es ist wohl besser, gar nicht mehr darüber zu sprechen; die Thatsache ändert sich doch nicht.“

„Noch weiß ich ja von gar nichts,“ klagte die Mutter.

„Verzeihe!“ rief Förster, vor ihr stehen bleibend. „Mit ihren eigenen Worten denn: sie vermöchte nie mit Rudi zusammen zu leben. Denke es nur: ich müßte das Kind aus dem Hause stoßen, Margarethe’s Kind. Nein! Wir bleiben zusammen. Wer weiß, ob sie sich überhaupt in unseren einfachen Verhältnissen je glücklich gefühlt hätte; ihr Kopf ist von allen möglichen Ideen erfüllt.“

Frau Förster hatte die Hände im Schooße gefaltet und sagte nur, vor sich hinnickend:

„Es war mir schon gestern so, als hätte sie kein Herz für Rudi.“

„Und er nicht für sie. Ich konnte ihn gar nicht in’s Zimmer bekommen.“

Die Mutter sah den Sohn an, schien dabei aber auch irgend einen Gedanken zu verfolgen. Er strich ihr über den weißen Scheitel und sagte mit herzlichem Vorwurf:

„Sieh mich doch nicht so erbarmungsvoll an! Zu helfen ist nichts; da heißt es darüber eben fortzukommen: das wird Einem aber viel leichter, wenn man die gewohnte resolute Mutti vor sich sieht. Habe heute mit lauter verkehrter Welt zu thun! Statt daß ich gleich beide Hände bereit fände, wie Du so bestimmt wußtest, gab es eine Bedingung, ja statt wenigstens von Bedenkzeit gesprochen zu bekommen, mußte ich davon sprechen, und nun –“

„O, dann ist es also noch nicht ganz zu Ende?“ rief Frau Förster mit einem Ausdruck der Freude, welcher etwas Rührendes hatte.

Der Sohn vermochte sich dieser Empfindung am wenigsten zu entziehen und sagte in demselben weichen Tone wie bisher:

„Bedenkzeit hatte ich freilich genommen: es kam Alles so unerwartet, und lieb, sehr lieb war sie mir einmal. Ob es auch wohl bloße Schwäche gewesen – ich konnte ihr trotz der Grausamkeit nicht hart, oder wenn Du willst, nur gerecht begegnen. Nun liegt Alles hinter mir – ich werde gleich schreiben.“

Die Mutter erhob sich hastig und bat, seine Hände ergreifend:

„Nein, Bernhard, das thust Du mir nicht an! Ich weiß am besten, was Dir geschehen: Else ist aber jung, und Jugend ist selbstsüchtig. Wenn Tage darüber vergehen, so kommt sie wohl zur Erkenntniß.“

Er schüttelte den Kopf.

Die Mutter ließ jedoch nicht davon ab:

„Glaube mir, wenn wir Frauen erst wissen, daß uns Einer so recht lieb hat, da ändert sich gar Manches in uns. Du hast es ihr doch offen gezeigt? Bist nicht zu scheu gewesen? Du sprichst eben nicht gern von –“

„Ich habe Alles gesagt, was nöthig war.“

„Nur was nöthig war?“ wiederholte sie vorwurfsvoll.

„Sollte ich betteln? Sollte sie mich noch verachten lernen?“

„Nicht doch, mein Sohn, wie könnte ich das fordern! Eins mußt Du mir aber versprechen, nur das Eine: nicht heute zu schreiben, auch nicht morgen – wir wollen damit bis nach meinem Geburtstag warten. Du brauchst mir dann auch nichts weiter zu schenken.“

Er konnte nicht mitlächeln.

„Das wären noch über vierzehn Tage.“

„Eine anständige Bedenkzeit, wie sie hier in meiner Jugend allgemein im Gebrauch war, darf nicht viel kürzer sein. Auch Deine Mutti hat sich fast so lange bedacht, obgleich sie mit Freuden sofort ‚Ja‘ gesagt hätte. Du sagst nun auch ‚Ja‘?“

Förster kämpfte mit sich; endlich erwiderte er, die Stirn runzelnd:

„Wir thun etwas Falsches.“

„Ich übernehme alle Verantwortung,“ beschwichtigte die Mutter. „Durchaus möchte ich Else nicht blos vertheidigen, die Wahrheitsliebe und Offenheit des Charakters aber, die sie heute gezeigt hat, nimmt mich, je mehr ich darüber nachdenke, nur mehr für sie ein. Und nach der Art, in welcher sie sich an den beiden Tagen, wo ich sie längere Zeit gesehen habe, gab – danach möchte ich an ein wirkliches Nichtkönnen glauben. Auch daß ihr Reichthum gleichgültig ist, gefällt mir. Sie hat nur eine sehr bescheidene Rente; hundert andere Mädchen in ihren Verhältnissen würden viel schlimmere Dinge als Rudi in den Kauf nehmen, um sich in’s Burgsdorfer Schloß zu setzen. Das müssen wir mindestens ehren, und also verdiente sie’s schon, um Bedenkzeit angegangen zu werden. Einen Tag aber nennt man keine Bedenkzeit – darum! Ist es nicht recht häßlich von Dir, die alte Mutti so bitten zu lassen? Du hast Niemand etwas vorzuwerfen – auch das ist verkehrte Welt.“ Sie wandte sich schmollend ab, und ihre schwere Seidenrobe rauschte und wogte gleichsam mitentrüstet hinter ihr her.

Alles, was sie eben betont hatte, war Förster so noch gar nicht zum Bewußtsein gekommen, und doch mußte er der Mutter im Grunde Recht geben, es sogar in einer Art von Freude thun, welche ihm das Blut in’s Gesicht trieb. Oder war das Scham über seine Schwäche? Trotzdem ging er ihr nach und gab das Versprechen, jede Antwort bis nach ihrem Geburtstag hinauszuschieben. – – –

Wenn Frau Förster wirklich gehofft hatte, daß bei so langer Frist von Barten her irgend eine Annäherung ausgehen würde, so hatte sie den Eigenwillen Else’s unterschätzt. Alles blieb stumm; nicht einmal zufällig, wie sonst in der Regel, waren sich die beiden Männer begegnet. Darüber schien das Mutterherz endlich zu zürnen; gelegentliche Bemerkungen über Else wurden schärfer, und Förster nahm im Stillen an, daß die Mutter es wohl schon bedauerte, seinem anfänglichen Entschluß entgegen gewesen zu sein. Aber das schien nur so, lag nur wie ein verhüllender Reif über dem, was nach und nach in Frau Förster keimte. Zu solchem Ausbruch von Unzufriedenheit kam es eben blos, wenn ihr bei irgend einer Gelegenheit das Aussehen ihres Sohnes, sein offenbares Leiden Sorgen wachrief, welche dieser Zustand der Ungewißheit doch allein verschuldete.

So waren die beiden Wochen fast vergangen. Die Mutter hatte gerade in den letzten Tagen dem Sohn gegenüber mit keiner Silbe mehr das Kommende erwähnt, wurde von ihm aber in steten Unterredungen mit Rudi’s Kinderfrau betroffen. Das fiel ihm allerdings auf; da sich Frau Hannisch jedoch zu einer halben Freundin des Hauses herangedient hatte, so nahm er einfach an, daß sich seine Mutter, um ihn nicht noch mehr zu erregen, zu dieser aussprach. Das war auch der Fall; Frau Förster war eine zu resolute Natur, um blos unthätig klagen zu mögen und die Hülfe vom lieben Gott ohne eigenes Zuthun zu erwarten.

Heute hatte sie, wie stets vor ihrem Geburtstage, Einkäufe in Königsberg gemacht, und diesmal auch Rudi nebst Frau Hannisch mitgenommen; theils, wie sie gestern zum Sohne gemeint, um dem Kinde eine Freude zu machen, theils um es gleich wieder dem Doctor vorzustellen, der ja längere Zeit nicht zu ihnen herausgekommen wäre.

Eben führ der Schlitten in den Hof; Förster half seinen Lieben selbst aus den Fußsäcken und Pelzen heraus und schritt nun mit Rudi auf einem Arme, der Mutter am anderen, zum ersten Male seit der ganzen bösen Zeit wieder lachend dem Wohnzimmer zu. Rudi plauderte ununterbrochen, hatte Hans wie Väterchen immer noch Neues zu erzählen und mußte schließlich beinahe mit Gewalt zur Ruhe gebracht werden.

Als die Kinder gegangen, rückte sich Frau Förster einen Stuhl dicht an den ihres Sohnes und sagte ohne weitere Vorrede: „Ich habe mir in Königsberg eine Wohnung gemiethet.“

Erstaunt drehte sich der Sohn um, sie fuhr aber, scheinbar ohne ihn zu beachten, fort:

„Eine recht hübsche Wohnung in der Münzstraße; zwei Treppen, drei Zimmer nach der Fronte, zwei nach hinten. Und wir können schon am ersten März einziehen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_674.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)