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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

des Beschauers wenig; die Häuser sind unansehnlich im modernen Stil gebaut, und erst zwischen den schmalen Gäßchen, die nach der Landseite hin sich erstrecken, stoßen wir auf die zahlreichen Trümmerhaufen und alterthümlichen Bauten, die ehrwürdigen Zeugen der einstmaligen Größe Wisbys. Als wir vor Allem die gewaltigen finsteren Ruinen der Kirchen betrachteten, da begriffen wir das Zutreffende der Worte, welche kurz vorher Professor Dr. Bergmann (Director des Wisbyer Gymnasiums) an uns gerichtet hatte: „Wisby ist ein Stück Mittelalter, in einer Ecke des Nordens zurückgelassen, obgleich von Feindeshand und vom Zahne der Zeit zerstört.“

Achtzehn prachtvolle Kirchen, welche im Laufe von drei Jahrhunderten erbaut wurden, schmückten einst die Stadt. Sie wurden fast alle von den Deutschen erbaut, nachdem schon seit Anfang des dreizehnten Jahrhunderts das gothische Element der Stadtbevölkerung zurückgedrängt worden war. Stundenlang wanderten wir in ihren noch herrlichen Ueberresten umher, in den Ruinen der St. Nicolaus-, Gertrud-, Clemens-, Olof-, Drotten-, Lars-, Katharina-, Hans-, Goran- und der Heiligen Geist-Kirche, welche eigenthümlicher Weise zwei Stockwerke für die Andächtigen besitzt.

Die meisten dieser Ruinen zeigen den Rundbogenstil, welcher oft mit dem Spitzbogen gemischt ist, und St. Katharinen allein trägt die Merkmale der gothischen Bauart. Heute herrscht tiefe Grabesstille in diesen verlassenen Gotteshäusern, und nur von Zeit zu Zeit singt der Sturmwind, durch die durchbrochenen Gewölbe in die weiten Hallen hineinfahrend, sein wildes, grausiges Lied.

An dem „Burmeister’schen Hause“, einem im Jahre 1660 aus Holz aufgeführten und von altem Epheu vollständig bis zum Dache überrankten Gebäude, desten erster Eigenthümer ein aus Lübeck nach Wisby übergesiedelter Kaufmann war, vorüberschreitend, erblickten wir die Ruinen der Nicolai-Kirche, „eine der herrlichsten des ganzen Nordens“, wie der Wisbyer mit ebenso großem Stolze wie unbestreitbarem Rechte sagt.

Der westliche Giebel des malerischen Baues ist mit drei riesigen, schön geformten gothischen Fenstern geschmückt. In den Rosetten derselben waren einst, wie die Sage erzählt, kostbare Karfunkelsteine eingesetzt, welche taghell jede Finsterniß erleuchtet und wie ein Feuer erglänzt haben. König Waldemar Atterdag ließ bei der Plünderung der Stadt im Jahre 1361 diese Edelsteine ausbrechen, aber das Schiff, welches sie mit der anderen Beute nach Kopenhagen führen sollte, wurde von einem Sturme überfallen und scheiterte an den Karls-Inseln. Es ist dies eine Sage, die sich auch an andere Kirchen knüpft und auf den alten Gebrauch von Leuchtapparaten, die von der Höhe der Kirchen herab in Seestädten den Schiffern unser heutiges „Leuchtfeuer“ ersetzt haben mochten, zurückgeführt werden kann.

Auch hier war das hohe Gewölbe der Ruine vielfach durchbrochen, und Licht und Schatten wechselten mit einander malerisch auf den Steintrümmern ab. Ganz oben auf dem Gewölbe wucherte ein üppiges Pflanzenreich; es trieb, keimte und blühte wie in einem Garten. Von dort aus bot sich eine schöne Uebersicht über die ganze schweigsame Trümmerwelt, die sich tief zu unseren Füßen ausbreitete; das Meer umgab dieselbe mit einem weiten Rahmen, und es brandete dumpf in wildem Rauschen und fluthete unausgesetzt über den Strand – ein Bild des ewig Wechselnden, ewig Fließenden, neben dieser todten Welt der Vergangenheit.

Der folgende Tag sah uns auf einer frühen Wanderung zu dem Stadtthore hinaus nach den „Palissaden“, einer öffentlichen Promenade, von wo wir einen großen Theil der alten Stadtmauer übersehen konnten. Wir befanden uns vor dem alten Schlosse Wisborg, das, im Jahre 1411 von König Erik erbaut, lange Zeit ein Horst räuberischer Seeleute gewesen war. Später, im Jahre 1676, wurde es von den Dänen erobert und nach drei Jahren zur Ruine zersprengt.

Der riesigen Stadtmauer folgend, die, größtentheils noch erhalten, ihre einstige Massenausdehnung erkennen läßt, lenkten wir auf der südöstlichen Seite auf einem Fußpfade ab zu dem circa neun Fuß hohen Ringkreuze, dem Denkmale des Schreckenstages des Jahres 1361. Dasselbe ist aus einem einzigen Kalksteine gemeißelt und trägt eine lateinische Inschrift, die deutsch also lautet: „Am 27. Juli im Jahre des Herrn 1361 sind vor den Thoren Wisbys von dänischen Händen die hier begrabenen Gothen gefallen; betet für sie!“ Den Stamm des Kreuzes schmückt das ausgemeißelte Bild Christi am Kreuze mit einer über ihm befindlichen fünfblätterigen Rose. Hier war also die offene Feldschlacht gegen Waldemar’s Truppen geschlagen worden, und diese Grabstätte der tapferen Gothen war zugleich das Grab, in welches Wisbys Herrlichkeit für immer versank.

Noch ein Ausflug mit der neuen gottländischen Eisenbahn nach den schönen Orten Rema und Nanga, deren alte Kirchen ihre hervorragendsten Zierden sind, erfolgte am letzten Tage unseres Aufenthaltes auf Wisby, und dann hieß es, dem Programm gemäß, heimwärts zu steuern.

Der Abschied von den freundlichen Einwohnern der alten Stadt war überaus herzlich. Ritterliche schwedische Galanterie hatte die Damen unserer Gesellschaft mit Bouquets in reichem Maße bedacht, und unser Schiff glich, von der Commandobrücke aus gesehen, einer Blumenterrasse, als sich zu dem letzten Abschiede, die Damen im Vordergrunde, Alles nach der Bordwand drängte und hier die hohen und höheren Standorte einnahm. Aus der Dampfpfeife ertönte ein schriller Pfiff; die Schraube begann zu arbeiten. Ein donnerndes Hurrah erscholl als letzter Abschiedsgruß nach dem Lande hinüber, wo ein dreimaliges Hoch auf uns ausgebracht und schwedische Lieder von einem Gesangverein angestimmt wurden. Das Ufer beleuchteten bengalische Feuer, die uns noch lange in ihrem hellen Scheine das Wehen der Tücher, das Schwenken der Hüte zeigten, bis sich das Gestade im dämmernden Lichte des Abends unseren Blicken entzog. Mit directem Curs hielten wir auf die heimathliche Küste zu und trafen nach einer Abwesenheit von acht Tagen am 31. Juli Nachmittags wieder in Lübeck ein.




Zum Präsidentenwechsel in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika.

Nachdem der edle Garfield mehr als zehn Wochen mit den Folgen einer heimtückischen schweren Verwundung gerungen, erwies sich endlich die allbezwingende Gewalt des Todes mächtiger als alle Künste der ärztlichen Wissenschaft und erlöste den Präsidenten von seinen qualvollen Leiden. Die Trauerkunde, welche sich am 19. September mit Blitzesschnelle über Länder und Meere verbreitete, rief überall die Gefühle des tiefsten Schmerzes und der aufrichtigsten Theilnahme hervor, und die sympathischen Kundgebungen, welche an allen Orten der civilisirten Welt erfolge, sind nicht allein Ausflüsse einer freundschaftlichen Gesinnung, die man einer großen Nation in ihrem Unglücke um so nachdrücklicher bezeugt, sondern sie gelten diesmal in erster Linie dem edlen Manne, dessen Leiche nunmehr in dem schwarz ausgeschlagenen Saale des Capitols zu Washington aufgebahrt worden.

Die großen persönlichen und staatsmännischen Tugenden Garfield’s leben noch frisch in der Erinnerung unserer Leser; haben wir doch erst vor Kurzem, gelegentlich seiner Wahl zum Präsidenten der Republik, des dornenvollen Lebenslaufes dieses charakterfesten und tugendhaften Mannes mit warmen Worten gedacht; auch die elenden Triebfedern und verhängnißvollen Folgen des ruchlosen Meuchelmordes haben wir schon früher genügend gebrandmarkt, und so haben wir heute nur die schmerzliche Pflicht zu erfüllen, am Sarge des echten Republikaners einen Lorbeerkranz niederzulegen und um die mit ihm zu Grabe getragenen Hoffnungen des amerikanischen Volkes zu trauern.

„Ich will mir die Hütte nehmen lassen, welche meinen Theuren zum Obdache dient, will meine paar Rechtsbücher verbrennen, die mir bei der Ausübung meines Berufes behülflich sind – nur das Eine muß ich behalten und werde es vertheidigen, wie die Löwin ihr Junges, und sollte ich, angesichts der Nation, darüber zu Grunde gehen: meinen ehrlichen Namen.“

An diese flammenden Worte, die Garfield vor Jahren, als er der Betheiligung an einer Gründerarbeit beschuldigt wurde, im Unterhause des Congresses seinen Verleumdern entgegen schleuderte, erinnert uns heute die Presse. Nun wohl! Garfield hat sein Wort gehalten! Er ist angesichts der Welt zu Grunde gegangen, indem er nicht nur seinen eigenen ehrlichen Namen, sondern auch die Ehre der Republik gegen die Uebergriffe der schamlosen Beutepartei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_680.jpg&oldid=- (Version vom 23.10.2022)