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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Weise, die Augen fortwährend auf die Pferde gerichtet, gab er Hans, wie Vaterchen, wie dem Wirthschaftsfräulein seine Küsse und bettelte nur, rasch in den Wagen gehoben zu werden. Unter fröhlichem Gejauchze des Kindes fuhren sie ab.

Förster sah dem Wagen nach, so lange er ihn sehen konnte. An der Ecke des Gartens wehte ein Taschentuch heraus, bald auch ein kleineres daneben – dann verschwand der Wagen.

In sein Zimmer zurückgekehrt, trieb es Förster noch einmal durch die eben verlassenen Räume. Ueberall stiegen Erinnerungen auf: an die Eltern, an Rudi – an seine verstorbene Frau. Zu dem Bilde der Todten, seiner auch einst geliebten Margarethe, wagte er kaum hinaufzusehen; doch sie hatte darauf ja immer gelächelt, mußte also auch heute lächeln, wo ihr Krüppelchen aus dem Vaterhause gestoßen worden. O, nicht gestoßen – nur das nicht!

Da trat das Wirthschaftsfräulein herein und überreichte ihm einen Brief.

Müde fragte er: „Woher?“

„Aus Barten!“ antwortete dieselbe und ging wieder.

Zitternd – warum, wußte er nicht – öffnete er das Couvert, doch nur Rosenblätter fielen ihm entgegen, und er las mit aufleuchtenden Augen die Worte: „Ich bin bei Dir.“



6.

Völlig nach Wunsch war der Frühling und ein Theil des Sommers vergangen. Einem glänzenden Polterabend, bei dem die ganze Nachbarschaft erschienen, war eine stillste Hochzeitsfeier mit einer Trauung in der alten Dorfkirche gefolgt, der sich dann nach schlechter, trotzdem aber von Else protegirter Sitte sofort die Hochzeitsreise angeschlossen. Ueber Prag und Wien eilten die Neuvermählte direct nach Italien. Schon von Venedig aber vermochten sie sich kaum zu trennen, noch weniger von Florenz und Rom; so blieben für Neapel nur wenige Tage, da bereits Anfang Juni eine wahrhafte Glühhitze die Reisenden über den Brenner zurücktrieb. Das Innthal mit einigen Seitenthälern und schließlich Partien im Salzkammergut erfrischten geradezu nach all der italienischen Anstrengung, und so langte das junge Paar, von dem Erlebten und Gesehenen tief befriedigt, in der ersten Hälfte des Juli in Burgsdorf an.

Die nächste Zeit verging im freudigen Einleben in die neuen Verhältnisse; später machte man auf Else’s Anregung viel Besuche in der Umgegend, empfing die Gegenbesuche und hielt außerdem den regsten Verkehr nach Barten aufrecht. Förster beschränkte Else’s Leben nach außen somit in keiner Weise, empfand bei diesem ungewohnten und für seinen Geschmack allzu bewegten Treiben jedoch eine gewisse Leere, die sich mehr und mehr steigerte. Seine hauptsächlichste Erholung wurden Fahrten nach Königsberg, welche er in der Regel bei Morgengrauen antrat, um der Mutter und Rudi so lange wie möglich gehören zu können.

Diese Ausflüge, die sich nach und nach alle vierzehn Tage wiederholten, fanden bei Else keine besondere Befürwortung; nachdem sie aber einmal umsonst gebeten hatte, solche Fahrt einer Partie wegen, die sie an dem Tage unternehmen wollte, aufzugeben, war sie klug und tactvoll genug, nie mehr ein Wort gegen dieselben zu äußern. Doch in ihrem Innern häufte sich allmählich eine Art von Groll auf, der sich über Alles erstreckte, was mit Königsberg zusammenhing; es verletzte sie geradezu, niemals zur Mitfahrt aufgefordert zu werden, obgleich sie bei anderer Stimmung dafür wieder dankbar war, da sie bei ihrer Heimkehr Rudi gegenüber noch die gleiche unangenehme Empfindung gehabt hatte, obwohl das Kind ihr viel weniger launenhaft erschienen war. Selbst einmal um Mitnahme zu bitten, hätte Else’s Stolz nicht zugelassen obgleich sie ahnen mußte, welche Freude sie damit bereitet hätte. Vielleicht wurde eine solche Bitte längst erwartet, und nur um dieses steten Umsonst willen ließen die Fahrten oft einen wenn auch vorübergehenden, so doch sehr nachdenklichen Ernst bei Förster zurück.

Weihnachten kam heran, mit ihm die Erfüllung eines süßen Hoffens; nun wurde der laute Verkehr von selbst eingeschränkt, und die Gatten gehörten sich beinahe allein. Förster hatte aus zärtlicher Sorge für Else die regelmäßigen Fahrten zu den Seinigen unterbrochen und schien nur täglich auf Neues zu sinnen, was er ihr zu Liebe oder zur Erleichterung thun könnte. Und so durfte er denn auch in der Mitte des Januar den Verwandtenkreis wie die teilnehmende Umgegend mit der „frohen Botschaft“ überraschen: ein neuer Sproß!

Der momentan jüngste Sproß des Hauses concentrirte, wie das ja so zu sein pflegt, bald alle Gedanken und Sorgen – man konnte hier dreist behaupten, des ganzen Rittergutes Burgsdorf – auf seine erlauchte Person. Die junge Mutter, kaum ein wenig erholt, nahm die Hauptpflege des kleinen Herrn in die Hand und war darum am Tauftage ihres Karl, wie er nach seinem Pathen Hemmingen genannt wurde, der Gegenstand eines wahrhaften Cultus.

Besonders schwer wurde Else dabei die Erfüllung ihrer Pflichten nicht gemacht: der kleine Karl war in dem weißen Mäntelchen und der weißen Mütze das lieblichste Kind auf Erden, sobald er nicht schrie. Große, braune, glänzende Augen. dunkle Seidenhaare, ein Mäulchen, klein wie ein Pfennig, das süß lachen und noch süßer krahlen konnte, Grübchen im Kinn, rosige Hände und stets zappelnde Beinchen – das war Role oder der Burrgmeister mit doppeltem, schnarrenden „r“, wie ihn der Pathe seiner behaglichen Fülle wegen zu nennen pflegte.

Else hatte die liebende Sorge ihres Gatten, dieses unablässige Wachen über sie mit heißer Befriedigung hingenommen: Das, wovon sie unharmonisch oder weh berührt worden, schien ihr nun ausgelöscht. Sie nahm sich auch vor, späterhin allen zu regen Verkehr nach außen hin einzustellen, um sich ihrem Gatten, dessen Mißbehagen daran sie wohl empfunden hatte, recht dankbar zu beweisen. An der Wiege ihres Kindes dämmerte nach und nach etwas heraus, das sich wie ein Begreifen dessen ausnahm, was – Pflicht heißt. Das hatte ihr aber bisher vollständig gefehlt, da sie bis heute stets nur aus Eigenwillen, nicht aus dem Gefühle des Rechtes zu handeln pflegte.

In jeder Lage hielten die guten Vorsätze übrigens noch nicht Stand. Als eines Tages, wo Förster wieder von des Morgens an in Königsberg bei Mutter und Kind war, Role plötzlich vom Keuchhusten befallen wurde, der bereits einmal so gefährlich aufgetreten, und sich der Schlüssel zur Hausapotheke nirgends finden ließ kämpfte sie einen harten Kampf. Sie tadelte den Gatten schwer; er gehörte jetzt einmal zu ihr, zu dem Kinde, nicht immer zu den Anderen: sterbe konnte ihr Kind daran.

Erst spät in der Nacht, wie gewöhnlich, kehrte Förster heim. Else hatte sich gleich von Barten das nöthige Medicament holen lassen, und der Kleine schlief nun unter den Augen der Mutter sanft und ruhig. Als sie den Wagen kommen hörte, trat sie in das Wohnzimmer. Gespannt sah ihr Förster in die Augen und fragte, ihre Hand ergreifend:

„Es ist doch Nichts vorgefallen?“

Sie entzog ihm die Hand, während sie mit mühsam unterdrückter Erregung antwortete:

„Der Keuchhusten war wieder im Anzuge.“

„Laß mich sehen –“

„Nein!“ wehrte Else, indem sie sich vor die Thür zu ihrem Schlafzimmer stellte, „er schläft jetzt. – Und das Säftchen mußte ich mir aus Barten holen lassen. Du hattest natürlich in Deinem Eifer, wenn es nach Königsberg geht, den Schlüssel zur Apotheke bei Dir behalten. Was bedeuten wir auch – “

„Ich habe den Schlüssel nicht,“ unterbrach sie Förster, ging aber nach seinem Zimmer und öffnete ein Fach des Schreibtisches. Da lag der Schlüssel. „Verzeihe!“ sagte er zurückkehrend. „Wer denkt immer an das Aergste! Seien wir zufrieden, daß es so glücklich vorübergegangen!“

„Wer weiß, ob es das schon ist!“

„Wenn er ruhig schläft?“ Er war an den Sessel getreten, in welchen sie sich geworfen hatte, und versuchte ihren Blicken zu begegnen. Sie wandte sich ab und versetzte schroff:

„Wenn Du wüßtest, was Einem für Gedanken kommen, wenn man immer allein mit seinem Kinde bleiben muß!“

„Immer allein?“ fragte Förster in ebenfalls schärferem Tone. „Doch,“ fuhr er sich beherrschend fort, „Du hast heute einen schweren Tag gehabt; ich will nicht um Worte rechten. Ist Etwas für mich angekommen?“

„Die Postsache liege in Deinem Zimmer.“

Er war schon im Begriffe, dorthin zu gehen, kehrte aber wieder um.

„Du regtest da Etwas an,“ sagte er mit einer gewissen Hast, „worüber ich mir längst vorgenommen hatte mit Dir zu sprechen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_694.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)