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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

unvollkommenen Waffen, zu denen später noch durch Tausch erlangte Messer und andere eiserne Geräthe kamen, scheuten sich die Eingeborenen selbst nicht, in einzelnen Fällen Weiße anzugreifen. Diese Zeiten sind nun vorbei; denn wenn die Eingeborenen Weiße auch nicht mehr, wie die ersten, für höhere Wesen, für Götter halten, so haben sie deren Ueberlegenheit doch zur Genüge kennen gelernt und begnügen sich mit Stehlen.

Das Atoll von Jaluit oder Bonham besteht aus achtundfünfzig Inseln, von denen siebenundzwanzig bewohnt sind und zusammen ungefähr 1500 Seelen zählen. Unter diesen Inseln ist Dschabwor (Jabwor) nicht die größte, aber deshalb die mächtigste, weil sich hier die fremden Handelsniederlassungen befinden. Das Dorf besteht aus etwa zwanzig meist elenden Hütten; denn nur Kabua und Loiak bewohnen ziemlich anständige Bretterhäuser.

Am 14. Mai 1880 verbreitete sich plötzlich die Nachricht, Loiak habe sich mit seinen Leuten auf eine andere Insel des Atolls zurückgezogen, rüste hier und werde demnächst Dschabwor mit Krieg überziehen. Wir durften also auf das Schlimmste gefaßt sein, und die Eingeborenen waren in ziemlicher Aufregung. Zugleich erschienen die wohlbekannten Typen der Dorfbewohner äußerlich total verändert; denn Alle hatten die auf Dschabwor ziemlich verbreiteten europäischen Bekleidungsstücke abgelegt und erschienen in der zum Theil phantastischen Nationaltracht, die nackten Körpertheile und das mit Blumen und Federn geschmückte Haar reichlich mit Oel getränkt. Der nationale Aufputz hatte übrigens bei den Meisten europäische Beigabe erhalten, und namentlich durfte rothes Zeug als Kopf- oder kreuzweise Brustbinde zum vollständigen Staate eines Kriegers keinesfalls fehlen. Auch das weibliche Geschlecht hatte die feinsten Matten – eine Art Tücher – herausgesucht. Einige hatten die ihnen im Grunde doch lästigen Jäckchen abgelegt und zeigten sich ebenfalls in Nationaltracht und, nebenbei bemerkt, nicht unvortheilhafter. Kabua bemühte sich zunächst, zum Theil auf Credit „Bu“, das heißt Gewehre, zu kaufen, und seine Hülfstruppen von den benachbarten Inseln zusammenzuziehen, über deren Zahl er übrigens so wenig unterrichtet war wie über die seines Gegners.

Schon am andern Morgen konnte er Heerschau abhalten und uns das Schauspiel einer Strandvertheidigung zum Besten geben. Dasselbe bestand im Wesentlichen darin, daß die in zwei Gliedern aufgestellten Krieger unter wüthendem Geheul, Gesten und Augenverdrehen einige Schritte vorrückten, planlos ihre Gewehre abfeuerten und wieder nach Haus gingen. Kabua, mit Säbel und Lanze bewaffnet, begleitet von seinem zwölfjährigen Sohne Lailing, commandirte, wobei ihn seine Hauptfrau kräftigst unterstützte. Nach dieser Waffenübung gaben die Häuptlinge einen sogenannten Tanz zum Besten, das heißt eine jener mimischen Darstellungen, bei welchen die Vortragenden, unter Gesangs- und Trommelbegleitung und in sitzender Stellung, ihre größte Kunst in zitternden Armbewegungen und pagodenhaften Kopfdrehungen mit wildem Augenrollen auszudrücken bemüht sind.

Obwohl Kabua weit besser bewaffnet war als sein Gegner, da seine Truppen meist Hinterlader (Tabatieregewehre) führten, während sein Gegner nur eine geringere Zahl Vorderlader besaß, so unterließ er es doch, zuerst anzugreifen; denn nach Landessitte kommt dies Dem zu, welcher den Krieg erklärte.

Loiak ließ denn auch nicht lange auf sich warten, sondern erschien schon am dritten Tage, dem Pfingstsonntage, mit seiner Flotte, was natürlich große Aufregung hervorrief. Es war ein äußerst malerisches Bild, als zwanzig, große, dicht mit Menschen vollgepackte Canoes in langer Reihe aufsegelten oder besser vorübersegelten; denn auch Loiak wagte keinen Angriff, sondern landete am Nordende der Insel Dschabwor. Selbstredend erwartete man jeden Augenblick den Anmarsch des Feindes. Wirklich zeigten sich auch bald darauf in den Büschen unterhalb des Dorfes ein paar verdächtige Gestalten, ohne Zweifel Tirailleure oder Spione, und Kabua gab jetzt das Zeichen zum Angriffe. Eingedenk seiner Würde als Höchster, stellte er sich mit lobenswerther Bravour persönlich an die Spitze; sein treues Volk folgte ihm, und zwar nicht blos die Krieger, sondern Alle ohne Ausnahme; denn nach dem Wehrgesetze in den Marshalls sind im Kriegsfalle höchstens Säuglinge und Schwerkranke frei; alle Uebrigen, vom Knaben bis zum Greise am Stabe und vom kleinsten Mädchen bis zur ältesten Matrone, haben dem Heerbanne Folge zu leisten. Der Aufmarsch dieses buntscheckigen und geschmückten Volksheeres war in der That sehr malerisch und der einzige bemerkenswerthe Moment des ganzen Krieges. Selbstredend marschirten die Tapferen nicht in Colonnen oder Sectionen auf, sondern einzeln in langer Gänsemarschreihe, hier und da Gruppen bildend, in denen Weiber und Mädchen die Mehrzahl waren, wie dieselben überhaupt den überwiegenden Theil des Heeres ausmachten, dessen männlicher Kern, inclusive der Jungen und Krüppel, ungefähr 180 Köpfe betragen mochte.

Kabua selbst war übrigens nicht von einer Leibgarde seiner besten Kämpen umgeben, sondern vier seiner Weiber folgten ihm als Escorte, und erst viel weiter nach rückwärts kamen die Krieger angezogen. Wie in den früheren Kriegen die Frauen ihre Männer begleiteten, so auch jetzt. Nur sind es nicht mehr Schleudersteine, welche sie in Körben nachtragen, sondern Patronen, Pulver, Blei, außerdem Lebensmittel, als Cocosnüsse, Reis, Wasser in Cocosschalen, Gin- und anderen Flaschen, sowie endlich Haaröl und jenes amerikanische Medicament, welches unter dem Namen „painkiller“ (Schmerztödter) in der Südsee allgemein bekannt und beliebt ist. Auch für Verwundungen war man somit vorgesehen. Die meisten Männer waren mit Gewehren bewaffnet; einzelne führten außerdem Revolver und Pistolen, aber auch alte längst vergessene Speere und andere Waffen, z. B. Walfischspaten, waren hervorgesucht worden.

Die Krieger folgten ihrem Heerführer übrigens in möglichster Gemächlichkeit; wo man konnte, wurde noch eine Cocosnuß geleert, etwas gegessen, eine Pfeife angezündet oder ein Gespräch geführt, ganz wie sonst. Als Kabua auf dem Kampfplatze anlangte, machte er sich, obwohl noch fast gänzlich allein stehend, doch gefechtsbereit. Wie der erzürnte Löwe vor dem verderblichen Sprunge zum Angriff wild seine Mähne schüttelt und mit dem Schweife rollt, so wedelte er mit den langen Fasern seines crinolinenartigen Grasrockes, fuchtelte unter drohendem Kriegsgeschrei mit seinem Spencerrifle in der Luft umher, um sich bald darauf siegreich rückwärts zu concentriren, wobei ihm seine Tapfern in beschleunigtem Tempo folgten.

Die feindlichen Kundschafter waren inzwischen in’s Dorf gedrungen, nicht um zu spioniren, sondern um etwas Pulver und Tabak zu kaufen; sie zogen, unbehelligt von den Kriegern Dschabwors, die dabei zugegen waren, wieder heim in ihr Lager.

Am andern Tage ließ Kabua unterhalb des Dorfes, da, wo die Insel am schmalsten ist, eine Schanze aus Korallsteinen zusammentragen, die allerdings in bewundernswerther Eile beendet wurde und die letzte That in diesem Kriege war. Hier bezogen Wachmannschaften ein kleines Lager und erwarteten ungeduldig, aber kühn den Feind. Die einzige Beschäftigung der Krieger bestand nun darin, zu essen, sich zu putzen und in die Luft zu schießen, wobei keinerlei Unglücksfall vorkam; merkwürdig genug; denn von Handhabung einer Schießwaffe haben die meisten keine Idee.

Selbstredend wagte Loiak diesem heldenmüthigen Auftreten gegenüber keinen Angriff, und als in etlichen Tagen die Cocosnüsse an seinem Lagerplatze aufgegessen waren, ging er mit seinem, übrigens stärkeren, Heere nach einer anderen Insel. Hier wurden nicht allein die ihm nicht gehörenden Naturproducte aufgezehrt, sondern man fing in praktischer Weise auch an, Copra zu schneiden und diese zu verkaufen. So stehen die Sachen heute noch.

Ob es nun wirklich noch zu ernstem Streite kommen wird, ist sehr zu bezweifeln. Vorläufig hat das planlose Schießen sehr nachgelassen; denn mit den Patronen wurde zugleich das Geld verschossen. Beide Häuptlinge wünschen den Frieden, behaupten am Kriege nicht schuld zu sein und antworten, über die Ursache des Streites befragt, mit dem stereotypen „idschadsche“ (ich weiß nicht), womit namentlich Kabua seinen Standpunkt sehr richtig bezeichnet, da er in der That zu den „Nichtswissern“ von Perfection gehört. Vom humanistischen Standpunkt aus betrachtet, bestätigt der jüngste Krieg auf Jaluit die auch anderorts in Mikronesien gemachte paradox klingende Thatsache, daß seit Einführung von Feuerwaffen in diesen Regionen nur noch unblutige Kriege geführt werden.

Das beifolgende Bild wurde bei Gelegenheit der Besichtigung der „Korallenschanze“ nach der Natur von mir aufgenommen. Es führt uns die Marshallkrieger in vollem Staate vor und bedarf des besseren Verständnisses halber einer kurzen Erklärung.

Der kleine corpulente Herr in der Mitte des Bildes, mit der Lanze in der Hand, ist Lebon Kabua selbst. Er hat sich, wie seine Unterthanen, seit Beginn des Krieges der lästigen europäischen Kleidung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_702.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2022)