Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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„Nach Paris; ich besuche meine Mutter.“
Die großen Tropfen, welche noch in des Mädchens Augen standen, glitten zwischen ihre Wimpern und rollten dann langsam. einzeln nieder. Sie blickte unverwandt in Siegmund’s blasses Gesicht und sagte sanft:
„Zu Ihrer Mutter – das ist schön; das wird sie freuen. Und wann kommen Sie wieder?“
Er antwortete nicht gleich; heißes Abschiedsweh quoll in ihm auf, und alle seine Sorgen und Zweifel, Alles, was ihn so unübersteiglich von ihr schied, über die weitesten Wege hinaus schied, die er je durchmessen, von denen er je zurückkehren konnte das volle, herzzerreißende Bewußtsein eines Getrenntseins, das für heute und morgen und für immer bestehen blieb, drängte sich in das Wort: „Ich weiß es nicht.“
Margarita verstand seine Meinung. Aus dem zugleich furchtsamen und dringenden Blick, den sie auf Siegmund heftete, sprach so unschuldige, bedingungslose Hingabe, daß er Alles Vergaß, nur nicht, daß die Geliebte vor ihm stand und er von ihr scheiden sollte. Ehe er sich besonnen hatte, lag ihre Hand in der seinen; er neigte den Kopf zu ihr hinab, und der warme Hauch seines Athems berührte ihre Stirnlöckchen, während er schnell und leise sagt: „Am besten wär’ es, ich käme gar nicht wieder.“
Er hob die kleine zitternde Hand an seine Lippen und preßte einen langen Kuß darauf. Dann, indem er sie plötzlich losließ, sagte er, heftig erröthend:
„Vergeben Sie. Jetzt habe ich mir wirklich das Recht verscherzt, dieses Haus wieder zu betreten. Ihre Mutter gab mir ein Gesetz – und ich brach es. Es war zu schwer, zu schwer.“
Die Hand, welche er eben freigelassen, berührte leise seinen Arm. Margarita’s feines Gesicht war durchgeistigt, wie er es nie gesehen, um die weichen Kinderlippen lag ein fester Zug. Wie nahe war sie seinem Herzen, als ihre Augenlider sich sanft erhoben, und die goldbraunen Sterne ihn so wunderbar anleuchteten!
„Ich bin treu,“ athmete sie kaum vernehmlich. Dann war sie hinaus.
Blätter und Blüthen.
Harder's Jahresuhr. In der Ausstellung der deutschen Kunstgewerbehalle
im „Rothen Schloß“ in Berlin, wo sich die sogenannten
„kleinen Künste“ ein für die Augen der Besucher berückendes und für ihre
Geldbeutel oft gefährliches Stelldichein geben, zieht seit längerer Zeit
eine neuere deutsche Erfindung, die sogenannte „Schwesteruhr“, die
Aufmerksamkeit der Kenner auf sich. Sie ist eine fast unhörbar gehende
Standuhr, die im Jahre nur ein einziges Mal, also etwa in der
Silvesternacht, aufgezogen zu werden braucht, und deren Regelung auf
einer neuen Art von Pendel beruht, von dessen allgemeinerer Einführung
kundige Beurtheiler einen neuen Aufschwung der Uhrmacherkunst erwartet.
Die Gleichmäßigkeit des Ganges unserer Zimmeruhren beruht bekanntlich
auf einer Anwendung der Pendelgesetze, welche Galileo Galilei vor drei
Jahrhunderten entdeckte, als er im Dome von Pisa, augenscheinlich etwas
zerstreut, die Schwingungen der Kronleuchter beobachtete, welche an
längeren Ketten vom Gewölbe herabhingen. Sein erstes für die Verbesserung
der Uhren wichtig gewordenes Gesetz lautet, daß die Schwingungen
eines und desselben Pendels gleichlangzeitig (isochron) ausfallen,
wenn auch der Ausschlag (in gewissen Grenzen) größer oder kleiner ist,
so lange sich weder die Länge des Pendels noch die Anziehungskraft der
Erde verändert.
Galilei bereits bediente sich deshalb des Pendels als eines Zeitmessers bei astronomischen Beobachtungen, und dem berühmten niederländischen Physiker und Mathematiker Christian Huygens gelang es 1657 zuerst, durch die Verbindung mit dem Pendel den Gang einer Uhr gleichmäßig zu machen, was Galileis Sohn Vincenzo angeblich lange ohne Erfolg angestrebt haben soll. Die Wirkung des Pendels auf die Uhr, wie sie sich in späteren Verbesserungen herangebildet hat, ist bekanntlich die eines Tactschlägers von unbestechlicher Genauigkeit, der bei jedem Ausschlage nach rechts und links in das von Gewichten oder Federn getriebene Zahnrad einfällt und es zwingt, sich ganz gleichmäßig zu bewegen. Nun verlangt aber ein solcher Pendel von der Triebkraft der Uhr eine erhebliche Nachhülfe, um im Gange zu bleiben, da der Widerstand der Luft und die Reibung am Aufhängungspunkt des Pendels beständig die ihm mitgetheilte Kraft vermindern, und daher kommt es, daß man solchen Uhren durch Federn oder Gewichte höchstens auf acht bis vierzehn Tage den ihnen erforderlichen Kraftvorrath mitzutheilen im Stande ist.
Nun ist aber gerade das häufige Aufziehen, sowie das damit verbundene Vergessenwerden und Nachstellen der Pendeluhren die gewöhnliche Gelegenheitsursache zur Beschädigung des Mechanismus, und schon mancher Uhrmacher mag darüber gegrübelt haben, wie ein weniger Kraft verbrauchendes Pendel hergestellt werden könnte. Um so überraschender ist es, daß eine befriedigende Lösung dieses Problems nicht einem Uhrmacher von Fach, sondern einem sogenannten Dilettanten, der sich aus bloßer Liebhaberei mit mechanischen Problemen beschäftigte, gelungen ist, nämlich dem Rittergutsbesitzer Harder auf Ransen bei Steinau an der Oder. Seine Erfindung besteht in dem sogenannten rotirenden Pendel, richtiger: Torsionspendel oder rotirende Scheibe genannt, einer wagerechten Scheibe, die in ihrem Mittelpunkte an einer dünnen und schmalen, senkrecht von einem festen Punkte herabhängenden Feder befestigt ist und, ohne ihre Lage zu verändern, vorwärts und rückwärts schwingt. Da diese Scheibe bei ihrer immer gleichbleibenden Lage keine Luft verdrängt und nicht gehoben wird, so ist es begreiflich, daß sie durch denselben Kraftaufwand unter sonst ähnlichen Verhältnissen fünfzig Mal länger im Gange erhalten wird als ein Pendel, also statt einer Woche ein ganzes Jahr.
Natürlich bestand die Hauptaufgabe zunächst darin, festzustellen, ob die Schwingungen des Torsionspendels wirklich ebenso gleichlangzeitig (isochron) sind, wie die eines gewöhnlichen Pendels, und nachdem die dahingehende Vermuthung sich bestätigt hatte, mit Hülfe der netten Erfindung eine Uhr zu construiren. Der auf dem Gebiete der Uhrmacherkunst völlig unbewanderte Dilettant brauchte nun allerdings Jahre, bevor es ihm gelang, eine Uhr von befriedigender Leistung herzustellen, und als ihm dies im Jahre 1871 wirklich gelungen war und er auf Drängen seiner Freunde um ein Reichspatent nachsuchen wollte, da ereignete sich der in der Geschichte der Entdeckungen und Erfindungen nicht seltene Zufall, daß ein badischer Uhrmacher denselben Gedanken gehabt und bereits ein Patent darauf erhalten hatte. Die Ausführung dieses Patentes geschah indessen in so unvollkommener Weise, daß sie sich als verfehlt erwies. Herr Harder hat daher neuerdings das damals verdrängte Kind seiner langjährigen Studien wieder hervorgesucht und nunmehr auf dem Wege der Vereinbarung den Patentschutz des deutschen Reiches und der österreichisch-ungarischen Monarchie für seine Uhr ohne weitere Schwierigkeiten erlangt. Man darf dem Erfinder diesen schließlichen Erfolg von Herzen gönnen, denn eine Standuhr, die bei gleich genauer Arbeit nicht theurer ist als die bisherigen, dagegen den Vorzug besitzt, alle Jahre nur einmal aufgezogen und deshalb nicht so leicht vergessen zu werden, ist sicher eine der allgemeinen Anerkennung würdige Errungenschaft, falls sie sich so bewährt, wie es den Anschein hat.
Zur Feier des hundertjährigen Jubeltages der Kant’schen „Kritik
der reinen Vernunft“ hat Dr. H. Romundt das Publicum mit einer
Schrift unter dem Titel „Antäus, neuer Aufbau der Lehre Kant's über
Seele, Freiheit und Gott“ (Leipzig, Veit u. Comp.) beschenkt – eine Festgabe,
die den Dank aller Derjenigen verdient, denen die Philosophie mehr
ist, als unfruchtbare Scholastik und „graue Theorie“, aller Derjenigen, die
in der Anpassung speculativen Denkens an die Aufgaben des praktischen
Lebens eines der wichtigsten Ziele aller Wissenschaft erblicken. Die geistvolle
Schrift ist eine Art Popularisirung und eigenartige Interpretation gewisser
Hauptabschnitte der Kant’schen Lehre, und wenn sie unseres Erachtens
ihrer Form nach auch nicht als das Ideal gemeinverständlicher
Auslegung der Fundamentalgedanken des großen Königsbergers bezeichnet
werden kann, wenn sie vielmehr hier und da an jenen undurchsichtigen
und umständlichen Gedanken- und Darstellungsgängen leidet, welche die
deutsche Gelehrsamkeit nun einmal nicht abstreifen kann – eines steht doch
ohne Frage fest: die Romundt’sche Schrift nähert uns wegen der klaren
Anordnung ihres reichen sachlichen Inhaltes und der freien selbstständigen
Art, in der sie Kant’sche Ideen verarbeitet, um einen anerkennungswerthen
Schritt der intimeren Einbürgerung des eminenten Denkers in den breiten
Schichten des deutschen Volkes; sie erreicht nicht das letzte Ziel in
der Popularisirung Kant’s, aber sie kommt, gemessen mit den bisherigen
Versuchen dieser Art, dem Ziele erheblich nahe. Hervorgegangen aus dem
eingehendsten Studium des Meisters und ausgeführt mit dem Aufwande eines
ungewöhnlichen kritischen Vermögens und seltenen Fleißes, muß Romundt's
„Antäus“, der in philosophischen Kreisen sicher ein gerechtfertigtes Aufsehen
erregen wird, den denkenden unter unsern Lesern mit der Bitte an's
Herz gelegt werden: Laßt eine Schrift nicht unbeachtet, die sich die schöne
und dankenswerthe Aufgabe stellt, das Sonnenlicht Kant’schen Geistes
gleichsam in einem Hohlspiegel aufzufangen und es so, leuchtend und
klärend, hinabzuwerfen in die bisher noch dunklen, weil philosophischem
Denken unzugänglichen, Schichten unserer Nation!
Berichtigung. Leider hat sich in unserem Artikel „Zur praktischen Lösung der Frauenfrage“ Nr. 37, S. 616 ein sinnentstellender Druckfehler eingeschlichen. Es muß dort Zeile 22 von unten „Handarbeitslehrerinnen“ heißen, statt „Handarbeiterinnen“.
G. D. in Hannover. Sie fragen, ob es eine Zeitschrift giebt, welche
ihre Leser durch populäre Abhandlungen über die neuesten Entdeckungen
und die wichtigsten Vorgänge am Sternenhimmel auf der Höhe der
Wissenschaft erhält? Solche Zeitschrift existirt allerdings: es ist die für
Gebildete aller Stände von Dr. Hermann J. Klein herausgegebene und im
Verlag von Karl Scholtze, Leipzig, erscheinende Monatsschrift „Sirius“.
Wir können Ihnen dieselbe aus das Wärmste empfehlen.
G. J. 205. Wiesbaden! Ein deutsches Mädchen und H. St. in Wien. Ungeeignet! Verfügen Sie gefälligst über das Manuscript!
L. in L. Wir bedauern, Ihnen einen Rath nicht ertheilen zu können.
J. B. in Wien. Den W. v. Hillern’schen Roman „Aus eigener Kraft“ finden Sie in unserem Jahrgang 1870.
W. H. in B. Anonyme Anfragen werden grundsätzlich nicht beantwortet.
H. A. B. Die gewünschte Adresse ist uns unbekannt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_708.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)