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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 43.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.

Erzählung von Victor Blüthgen.


1.

Die klare Herbstsonne schien auf Pelchow so warm, wie sie nur je einem vorpommerschen Gutsdorfe den Nachgeschmack des Sommers gespendet. Freilich stand sie im Augenblicke auf der Höhe ihrer Mission; denn es war gegen drei Uhr Nachmittags. Bei der kristallenen Klarheit, welche die Luft in dieser Jahreszeit namentlich in Gegenden hat, wo die Nähe der See sich bemerklich macht, gewinnt der ungedämpfte Sonnenschein leicht etwas Blendendes, und wohl darum zog das junge Mädchen, welches vom Herrenhause her über den Gutshof schlenderte, an einer Gummischnur den vordern Rand des gelben Schwingers thunlichst tief über das hübsche, lebhaft gefärbte Gesicht.

Sie nahm den Weg zum Dorfausgange, über uraltes holpriges Steinpflaster, zwischen dessen Ritzen in dreister Ueppigkeit Gras, Löwenzahn und Wegebreit wucherten; rechts die Verbalkung des Kuhringes, links ein gänzlich sich selbst überlassnes Stück Land, das die ziemlich verfallene und verbröckelte Lehmmauer des Gutes abschloß. Der Kuhring war leer; die Kühe konnte man weit jenseits des Hofes im Wiesenlande beobachten, wo sie eingekoppelt mit erhobenen Schwänzen herumgaloppirten oder friedlich weideten. Nur Spatzen, Tauben und Hühner trieben sich in dem Ringe umher, in diesem Augenblick das einzige Lebendige, welches die junge Dame auf dem Hofe gewahrte; denn die Störche, welche während des Sommers das halbe Dutzend struppiger Nester auf den Scheunen und Ställen da oben bewohnt hatten, waren bereits vor geraumer Zeit auf die Wanderschaft gegangen. Das öde Stück Land links, zwischen Herrnhaus und Mauer, war durch Nesseln fast unzugänglich; dieselben beschützten mit ihrer abschreckenden Eigenschaft ein paar Obstbaumruinen, welche kaum noch Blätter, geschweige denn Früchte trugen, und gegen die Mauer hin eine Wucherung fettstrotzender Hollundersträucher, deren bläulichdunkles Grün den bekannten fatalen Geruch bis zu der Spaziergängerin herüberströmte.

Ihr feines Näschen, das nur ein wenig kurz gerathen war, zuckte denn auch mißmuthig, während die muntern braunen Augen mit Wohlgefallen dem Fluge etlicher Nesselfüchse und Pfauenaugen folgten; die Finger machten sogar einmal den Versuch, eines der letztern einzufangen, wiewohl vergeblich. Diese Finger waren gut geformt, verriethen aber den Einfluß von Luft und Sonne; denn sie zeigten die Farbe leicht angerauchten Meerschaums. Eine andere Handbekleidung als diese Halbhandschuhe aus Zwirnmaschen, wie sie jetzt den vom Aermel nicht bedeckten Unterarm schützten, hatte die junge Dame wohl nur ausnahmsweise getragen.

Sie trat durch den Thorweg, dessen in Ziegel aufgemauerte Pfeiler durch zwei stattliche Findlingsblöcke aus Granit als Prellsteine geschützt waren; von den nicht so gut verwahrten Pfeilerköpfen war der eine herabgestürzt, das Material bis auf den Rumpf des Sandsteinlöwen, der in Gras und Nesseln halb verborgen ruhte, verschleppt worden. Der andere Löwe hatte seinen Platz behauptet, zeigte sich aber – vermuthlich durch Steinwürfe der Jugend - bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Alles trug den Charakter des Ruinenhaften, selbst die Thorflügel, deren halb vermorschtes aschgraues Holz mit grünglänzendem Moose bewachsen war und an ein paar Stellen in breiten Lücken klaffte.

Für das junge Mädchen hatte das offenbar nichts Befremdliches. Mit der heiteren Unbekümmertheit ihrer Jahre – sie konnte deren kaum mehr als achtzehn zählen – summte sie irgend etwas vor sich hin, während der Mund wiederholt wie von einem munteren Einfall in leisem Lächeln zuckte und die braunen Augen nach Art von Kinderaugen, bald hier, bald da, an irgend etwas Unbedeutendem hafteten, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie schritt links an den verwitterten Kopfweiden eines Tümpels hin, dessen tintenfarbenes Wasser zur Hälfte mit Wasserlinsen bedeckt war, wogegen zur Rechten aus einem sumpfigen Terrain die Stämme von Eschen, Erlen und Birken ragten, die Blätter bereits von den Farben des Herbstes angekränkelt.

Am Teiche saßen Kinder und belustigten sich damit, Klümpchen von dem tief ausgefahrenen Erdreich des Weges loszubröckeln und sie nach den Enten zu werfen, welche zwischen den Wasserlinsen schnatterten.

„Fräulein Anne-Marie, Fräulein Anne-Marie!“ rief es plattdeutsch aus der Gesellschaft, und eines der Mädchen, ein dralles, barfüßiges Ding von etwa fünf Jahren, sprang zu der Nahenden her und sah sie aus den großen blauen Augen halb verlegen, halb vergnügt an.

„Na, Dirning, wie geht es Dir? Du bist schon lange nicht auf dem Hofe gewesen. Gott bewahre, wie siehst Du aus! Den halben Syrup hat sie wieder im Gesicht.“

„Ich kann’s auch noch, Frölen,“ nickte das flachshaarige Ding und machte ganz verschmitzte Augen dazu.

„So? Na, da sag’s mal auf!“

Und ohne Stocken plapperte das Kind:

„Gösselken, Glattsnut,
Süht so gel as Rapp ut,
Het ’n Kleed von Sanftmanschester;
Schenk mi dat för mine Swester!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_709.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)