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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ein richtig Bild herauf von jenen Schätzen des Rheines; die nicht gleich dem Nibelungenhort auf dem Grunde des Stromes, sondern auf dem Grunde der rheinischen Keller lagern.

Trefflich improvisiere Freund Rittershaus unter Anderem:

„Ich sag: Gott segne dich, du alter,
Du edler, dunkler, goldner Saft!
Du bist der Schöpfer und Erhalter
Der echten rechten Lebenskraft.
Auch dich, du junger Wein, ich grüße,
Ich schlürfe dich – mir ist’s fürwahr,
Als hättest du geborgt die Süße
Von einem ros’gen Lippenpaar.“

und wohl darf man behaupten, daß kaum anderwärts, nicht nur die Weine so mannigfaltig sich zur Probe bieten wie hier beim Faß zu Hattenheim, im Etablissement Wilhelmi’s, sondern daß auch selten die zur Weinkelterung und Behandlung erforderlichen Räume, wie Brühraum, Kelterhaus, Gährkeller, Lagerkeller etc., sich so belehrend für den Laien in ihrer Einrichtung erweisen wie hier. Möge der Wanderer sich den Besuch des ehemaliger Schlacht- und Siegesfeldes der deutschen Journalisten nicht versagen, wenn ihn der Weg am Dörflein Hattenheim vorbeiführt; die Pforte wird mit rheinischer Gastlichkeit gern aufgethan.

Mit den bisher genannten Edelsorten ist die Karte des Rheingaus noch nicht erschöpft; denn der Gräfenberger, der Neroberger, der Winkler Hasensprung, wie der Schiersteiner Hellenberg, der Vollradsberg, die Hallgarter, Kindricher, Erbacher, Mittelheimer, Oestricher und Wallufer, Eibinger und sogar weit drunten die Lorcher Bodenthaler sind guten und besten Klanges, ist doch der ganze Strich des rechten Rheinufers, von Biebrich bis hinab zur ehemaligen und eigentlichen Grenze des mittelalterlichen Rheingaus bei Lorch, ein großer Weinberg.

Eigentlich gehören zu den Rheingauer weißen Weinen noch der Hochheimer und der Scharlachberger, der erstere ein Mainwein, der zweite ein Nahewein. Sie sind aber beide so verwandt mit den früher genannten Weinen, daß unser Künstler ihre Heimstätten mit Recht dem Rahmen seines Bildes einreihte.

Wie zwei stattliche Vorposten schiebt das Rheingau oberhalb und unterhalb die genannten Rebberge vor. Der Hochheimer ist ein voller dunkelgelber Herr, dessen Edelgewächs (der Dom-Dechant, unterhalb und seitwärts der Ortskirche wachsend) an Kraft mit allen anderen Rheingauer Weinen wetteifert.

Der Hochheimer ist der Bahnbrecher für die Weine des Rheingaus in England geworden. Durch seinen kräftigen Gehalt erwarb er sich dort, wo Klima und Lebensweise derartige Getränke erheischen, zumeist seinen verdienten Ruf. Nach ihm nennt der Engländer jeden Rheinwein Hock. „Good hock keeps off the Doctor. Guter Rheinwein spart den Arzt.“

Hoch über Bingen seitwärts des vielbekannten, durch Goethe verewigten Rochusberges, am rechten Ufer der Nahe, am linken des Rheines erhebt sich der Scharlachberg, eine alte Römerbrücke überragend, durch welche die Nahe ihrer Mündung in den Rhein zueilt. Kobell singt in seinem „Lob von Binge“:

„Die herrlischt Gegend am ganze Rhei’,
Des is die Gegend vun Binge’;
Es wächst der allerbeschte Wei’,
Der Scharlach wächst bei Binge’!“

Und nicht übertrieben ist dieses Lob des Scharlachbergers, obgleich derselbe jeder Kehle und Zunge nicht so „süffig“ erscheinen mag wie die eigentlichen Rheingauer Gewächse. Edelwein ist auch er, und wie in allen Dingen ist über Geschmacksachen schwer zu streiten. Aber nirgends tritt der Unterschied für eine feine Weinzunge so hervor, wie hier; denn bei allem Feuer hat der Scharlachberger in Folge des wesentlich verschiedenen Bodens, auf dem er wächst, eine wenn auch schwache Erinnerung an Erdgeschmack, wie dieser den Naheweinen eigen ist.

Weitab von diesen Weingärten allen liegt ein Kirchlein oben am Rhein, das seinen Namen einer Weinsorte verliehen, der gleich dem Weine poetisch anmuthet: die Liebfrauenkirche bei Worms, deren Umgebung die „Liebfrauenmilch“ erzeugt. Freilich ist’s nur ein Stück Landes von wenigen Morgen, wo alle die Liebfrauenmilch wachsen soll, die uns der Handel als solche bietet.

Nahebei liegt der gelobte Kapuzinergarten, begrenzt von einem weiteren Terrain von etwa zehn Morgen Weingelände, dessen Crescenzen mit noch einer großen Menge anderer hessischer Weine ersten Ranges als Liebfrauenmilch verkauft werden. Indessen Schlechtes stiehlt sich nicht unter diese Firma, und so mag diese oft umgetaufte Milch auch weiter ihre Bewunderer erfreuen, wenn sie nur nicht „sauer“ auf den Markt und auf die Zunge kommt.

Aßmannshausen! Dies durch seine Weine und durch Freiligrath für alle Zeiten denkwürdige Dörflein grüßt uns dicht am Rheinufer, unten am Fuße des Niederwaldes, und ladet zur traulichen, lauschigen Ruhe ein.

„Zu Aßmannshausen in der Kron,
Wo mancher Durst’ge schon gezecht“ –

sang Freiligrath, und ach! nach ihm, was haben da so viele Tausende dem Rauschen der Wellen im Bingerloch gelauscht und im Genusse des milden und doch feurigen Rebensaftes sich echt rheinisch – berauscht! Unstreitig der beste rheinische Rothwein von mildem Mandelgeschmack, gedeihend auf den südlichen Abhängen der Aßmannshäuser Schlucht, wird er aus blauen sogenannten Burgundertrauben gekeltert und darf die Auszeichnung in Anspruch nehmen, daß er in seiner Eigenartigkeit nirgends auch nur einen ähnlichen Mitbewerber findet. Kein Dorf am Rhein ist poetischer gelegen; kein Wein am Rhein entspricht der Stimmung des Poeten mehr – und deshalb darf das Dörflein sich auch rühmen, schon oft das Ziel deutscher Sänger geworden zu sein.

„Das war zu Aßmannshausen
Wohl an dem grünen Rhein.
Da zog ich frisch und wohlgemuth
Zum alten Thor hinein.
Zu Aßmannshausen wächst ein Wein,
Ich mein’, das müßt’ der beste sein,
Der Aßmannshäuser Wein.“

Drüben – gegenüber dem Rheingau – auf linkem und hessischem Ufer des Rheines, wächst noch ein rother „Freudenbringer“ guten Rufes, der Ingelheimer, zwischen und bei den Ortschaften Ober- und Nieder-Ingelheim. Er ist leichter als der Aßmannshäuser, mild und feurig und durch seine Würze sehr beliebt. Als Zweiter im Range, repränsentirt er würdig die rothen Hochgewächse des Rheines, wird aber jetzt viel zur rheinischen und selbst französischen Schaumweinfabrikation verwendet.

Ingelheim ist der Ort, wo nach der Sage Kaiser Karl der Große von seinem Palaste aus, dessen sparsame Reste sich noch alldorten finden, den Schnee auf den gegenüberliegenden rheinischen Bergen so frühzeitig – namentlich drüben bei Rüdesheim – schmelzen sah, daß er sich hierdurch veranlaßt fand, den Weinbau daselbst einzuführen, indem er Orleans-Trauben aus Frankreich zur Anrodung des Rüdesheimer Berges kommen ließ. Ist auch diese Sage längst widerlegst so mag Geibel’s treffliches Poem uns doch den „hohen Schatten“ herbeizaubern, „der an den Hügeln wandelt, mit Schwert und Purpurmantel, die Krone von Golde schwer“.

Und mit Geibel schließen wir diese weinselige Rundschau in unseren Heimstätten des Rheinweins, erfreut, daß endlich wieder ein günstiges Jahr uns gestattet:

„Zu füllen die Rheinwein-Römer,
Zu trinken im goldenen Saft
Uns deutsches Heldenfeuer
und deutsche Heldenkraft.“




Blätter und Blüthen.

Alle deutschen Männer an die Wahlurne! Die deutsche Nation steht am Vorabende zur Wahl der neuen Abgeordneten zum Reichstage. Wer nicht beide Augen vor den Ereignissen auf dem Theater des öffentlichen Lebens geschlossen gehalten hat, der weiß, was bei dieser Reichstagswahl auf dem Spiele steht. Bei den bevorstehenden Wahlen wird die Entscheidungsschlacht geschlagen werden zwischen dem freien Geist eines gesunden Fortschritts, der dem deutschen Namen überall Ruhm und Achtung errungen hat, und der gleißnerischen Unterwürfigkeit rückschrittlicher Gesinnung, welche das freie Denken knechtet und in Rom ihre Stütze sucht zwischen dem Patriotismus, der nach langer Zerrissenheit Deutschland geeinigt, und den Sonderinteressen, welche sich gegen die festere Knüpfung der auf den Schlachtfeldern von 1870 errungenen Einheit feindlich aufbäumen – zwischen all Denen, die auf der ruhmreich eingeschlagenen Bahn freiheitlicher Entwickelung beharren, und Denen, welche die Rückkehr einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_723.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)