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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ein Himmelbett mit purpurblumigen Kattunvorhängen, in demselben Stoffe bezogene Phantasiemöbel mit reicher Vergoldung, ein schöner venetianischer Spiegel über einer Waschtoilette, Schrank und Kommode in Rococo, ein Porcellanofen mit Kaminuntersatz – fremdartig muthete diese Umgebung in dem vernachlässigten Herrenhause von Pelchow an. Neben dem purpurblumigen Himmelbette saß Anne-Marie von Lebzow auf dem Stuhle, und während die Wirthschafterin kopfschüttelnd ihr Schuh und Strumpf von dem verletzten Füßchen zu ziehen begann, rollten zwei schwere Thränen die vollen, jetzt ein wenig blassen Wangen hinab, welche noch immer der breite italienische Strohhut überschattet.




2.

Um dieselbe Zeit oder wenig später fuhr in der ersten Dämmerung der Gutswagen von Pelchow vor das Portal des Branitzer Schlößchens. Dieser Gutswagen war nichts als eine Art Britschka, welche ein Viehhändler ebensogut hätte zum Kälbertransport verwenden können: ein Behältniß im Leiterwagenstil, ohne Federn, mit rohrgeflochtener Verkleidung; ein Kutschersitz war vorn eingehenkt. Für die Mitfahrenden kamen wohl je nach Bedarf noch zwei oder drei dergleichen Sitzböcke hinzu; ein Exemplar wenigstens lag hart an der Rückwand des Wagens auf dem Wagenboden. Den Boden nahm im Uebrigen eine Matratze ein. Wenn der Baron von Boddin auf Pelchow ein Verschwender war, so entsprang diese Eigenschaft sicher nicht einem persönlichen Luxusbedürfniß.

Jochen Pagel, der Rosselenker, hielt die beiden Rappen fest im Zügel und klatschte wiederholt mit der Peitsche als Zeichen, daß er zur Abfahrt gerüstet sei, blickt wohl auch phlegmatisch zu den hellerleuchten Fenstern des hübschen Villenbaues empor, hinter denen man lebhaftes Durcheinandersprechen und Gelächter vernahm. Ein paar Leute vom Gesinde gingen vorüber und redeten Jochen an, erhielten aber höchst einsilbige Antworten. Plötzlich sprang die Hausthür aus; es wurden mehrere Herren sichtbar, von denen zwei große Armleuchter trugen – lauter lachende Gesichter mit dem deutlichen Gepräge animirter Feststimmung.

„Boddin,“ schrie der Eine auf einen alten Herrn ein, welcher in Stulpstiefeln, Jagdjoppe und einer Jockeymütze mit endlos langem Schirme sich gegen einen Thürpfosten lehnte und die Hände über dem Spitzbäuchlein gefaltet hielt, „das Ding muß ich doch ’mal probiren. Glaube gar, ich behielt keine Rippe im Leibe ganz.“

„Da ist guter Häcksel drin; da liegst Du wie in Abraham's Schooß, Pannewitz,“ sagte der Baron schwerfällig auf Plattdeutsch, während sein verknittertes rothes Gesicht nur wenig von dem bärbeißigen Ausdruck verlor, der in jedem Zuge desselben ausgeprägt war. „Daß Du mir aber kein Loch hineinliegst – sonst komme ich zu tief auf den Boden.“

Heer von Pannewitz, der Wirth, war bereits die Treppe hinab zum Wagen geeilt.

„Jochen, ich werde aufsteigen; fahr’ mich ’mal ein Bischen im Hose herum und schlag’ ’nen kleinen Trab an!“

Jochen nickte stumm; Heer von Pannewitz war rasch droben und legte sich ans die Matratze, worauf Jochen abfuhr. „Um den Kuhring herum!“ rief der Insasse dem Alten noch zu; Jochen fuhr steif und gravitätisch um den Kuhring, und kein Mensch sah es, wie Herr von Pannewitz in die Tasche griff und etwas herauszog. Es gab einen schnappenden Ton; dann fuhr die Hand mit dem Gegenstande am einen Rande der Matratze hinunter, worauf Heer von Pannewitz sich beeilte, den Gegenstand wieder in seine Tasche zu befördern. Ein Halloh empfing den heranrasselnden Wagen.

„Nun, was sagst Du, Fritz?“ rief die harte, etwas heisere Stimme des Barons herunter. „Auf’s erste Mal wird Dich das ein Bischen arg durchschuckeln .

„Gotts Donner!“ unterbrach ihn Pannewitz lachend, indem er sich erhob und herabzuklettern begann, „wenn ich so gut wie todt bin, Boddin, soll man mich noch mal auf den Wagen legen und herumfahren; wenn ich da nicht lebendig werde, kann mir kein Professor von Greifswald helfen.“

„Ja, das mag wohl sein, Fritz; na nu laß mich mal ’ran! Ich bin das besser gewohnt. Adschüs allzusammen, adschüs, Hartleben, adschüs, Rexow, adschüs, Fritz! Und grüß Deine Frau noch mal von mir!“

„Und komm bald mal wieder herüber, Boddin, daß ich Dir die zweihundert Thaler wieder abnehmen kann!“ rief Pannewitz, der jetzt an Stelle des Barons oben stand und seinem Nachbar mit verschmitztem Lächeln etwas zugeflüstert hatte. „Wenn Dein Neffe erst in Pelchow sein wird, hast Du ja Zeit die schwere Menge.“

„Fritz.“ scholl es feierlich vom Wagen her, „das ist nicht edelmännisch von Dir, daß Du mir so gleich nach dem Essen die Galle in den Magen treibst; das mußt Du nicht wieder thun – das kann kein Mensch vertragen. Und nun fahr zu, Jochen, daß wir nach Hause kommen!“

Im Wagengerassel erstickten die Abschiedsrufe von der Treppe her. Der alte Baron legte sich mit dem Rücken auf die Matratze, faltete wieder die Hände über den Leib, und so ging’s vom Steinpflaster des Hofes durch das Thor bei sinkender Nacht auf die Landstraße hinaus.

Eine Weile lag der Baron ruhig. Jochen fuhr links die Straße hin, zwischen Park und Wald; dann bog das Gefährt in einen arg zerfahrenen Waldweg ein. Von der Matratze her kamen brummende, knurrende Töne, welche ohne Zweifel großes Behagen ausdrückten. Deutlicher noch bezeugte dies ab und zu ein ausdrückliches „Ah, Jochen, das thut gut, das thut gut“, und zwar geschah dies just in Augenblicken, wo der Wagen auf und nieder stob und in allen Fugen rasselte und knackte. Es handelte sich hier um eine Verdauungsmotion der seltsamsten Art, welche der alte Herr nach reichlich genossener Mahlzeit ausführte oder vielmehr an sich ausführen ließ und welche er sicherlich auf das Angenehmste empfand. Nach einer Weile rief er indeß:

„Du kannst mal was langsamer fahren, mein Sohn!“

Jochen, nebenbei gesagt ein Fünfziger und kaum zehn Jahre jünger als sein Herr, zügelte auf diese Anrede hin die Thiere, was nach der zweitägigen reichlichen Fütterung nicht eben leicht war.

„Jochen,“ hub der Baron nachdenklich ein Gespräch an, „nun kommt in diesen Tagen der Kerl, der Teterower.“

Jochen schwieg.

„Ich kenne den Kerl gar nicht; ich glaube, ich habe ihn mal gesehen, als er noch Knöpfhosen trug, und habe ihm mal die Nase geputzt. Und dieser verdammtige Junge will nun auf Pelchow den Herrn machen, was doch mein Gut ist.“

„Ja, das ist wohl so,“ meinte Jochen Pagel, den der plötzliche Fall des einen Vorderrades in eine Vertiefung aus seinem Phlegma aufgerüttelt hatte. „Das ist ein Teufelsweg hier, wenn man nicht mehr ordentlich sehen kann,“ schloß er brummend.

„Was sagst Du, mein Sohn?“ fuhr der Baron zornig heraus. „Das ist wohl so? – nein, das ist nicht so; denn das ist mein Gut, und das ist eine offenbare Ungerechtigkeit, wenn ich nicht mehr Herr auf meinem Gute sein soll, weil so ein paar ausverschämte Demminer Juden, auf die ich huste, mich beim Gericht verklagt haben und ihr Geld haben wollen. Ich weiß wohl, das ist der Wolfsohn gewesen, der die anderen angestiftet hat. Das will ich ihm aber gedenken. Ich habe dem Hunde im vorigen Jahre meinen ganzen Raps verkauft; nun will ich den Teufel thun und ihm wieder Raps verkaufen.“

„Dann kauft er ihn von dem Teterower,“ erwiderte Jochen gelassen.

„Halt’ Deinen Mund, mein Sohn! Du bist ein großer Esel,“ sagte der Baron emphatisch. „Und was den Teterower Schnüffel betrifft, den werfe ich heraus, wenn er einen Fuß in mein Gut setzt“

„Wenn ihm das Gericht nur nicht hilft“

„Das verstehst Du nicht; die können mir nichts thun, wenn Ihr auf meiner Seite steht und mir helft, und das müßt Ihr wohl, indem daß ich Euer Herr bin. Sie können doch nicht jahraus, jahrein eine Compagnie Soldaten nach Pelchow legen? – Aber was Donner ist das? Was ist das? Ich glaube, das wird hier immer dünner unter mir. Das ist mir doch schon ’ne Weile so gewesen, als ob ich auf die offenbaren Bretter zu liegen käme. Halt mal an, Jochen! Das Ding müssen wir untersuchen; da ist doch nicht wo ein Loch drin, daß mir der Häcksel unter'm Leibe wegläuft? Hast Du Deine Laterne mit, mein Sohn?“

„Die habe ich wohl hier. Aber wie soll das möglich sein?“.

„Steck mal an! Wir wollen gleich sehen.“

Jochen holt die Laterne hervor, entzündete nach ein paar vergeblichen Versuchen, die der Luftzug verschuldet, die Kerze und stieg schwerfällig vom Bocke herab. Der Baron hatte sich halb

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_727.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)