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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

aufgerichtet und wartete gespannt, bis’ jener die Zügel an den Wagen geschlungen hatte:

„Ich will erst auf den Boden leuchten,“ sagte Jochen.

„Siehst Du was?“

„Da liegt wahrhaftig Häcksel, Herr; auf dieser Seite muß es ’rauslaufen. Da ist ja wohl ein ganzes Stück aufgeschnitten? Na, nun seh mal Einer an!“

„Das ist ein Schabernack, sag’ ich Dir, Jochen; eine ganz unverschämte Bosheit von dem Pannewitz,“ brauste der alte Baron wüthend auf. „Daß er so’n falscher, schieliger Hund wäre und mich so zum Spott von dem ganzen Volke machen könnte, habe ich mir nicht träumen lassen. Nun sieh mal, mein Sohn, die ganze Seite von dem Sack hat der Kerl aufgeschnitten, wie Du ihn um den Kuhring gefahren hast; das war sein Zweck und Ziel bei der ganzen Fahrt. Kehr’ mal um, mein Sohn! Ich will dem Pannewitz nun doch was sagen, daß er seine Ohren für zwei Pauken ansehen soll.“

„Wie ist das möglich? Nein, wie ist das möglich?“ rief Jochen kopfschüttelnd. „Aber wäre das nicht besser, Herr, wenn wir lieber nach Pelchow weiter führen? Der Sack wird immer dünner und das Stück, was Sie nachher auf den bloßen Brettern fahren müssen, immer länger “

„Schweig, Jochen! Soll ich den Schimpf auf mir sitzen lassen? Wo werd’ ich denn hier auf den Brettern mir mein Fleisch und Blut blau liegen, wenn ich den Bock da auf dem Wagen habe? Komm mal ’rauf, mein Sohn, und häng den Bock ein, und dann fahr wieder auf Branitz zu! Dieser Kerl, dieser Pannewitz!“

Und Jochen, welcher sehr wohl an den Bock gedacht hatte, aber gern der Umkehr ausgewichen wäre, stieg brummend auf und hob, den schnaubenden, unruhigen Pferden zum Stillstehen pfeifend, den zweiten Sitz ein, worauf er zu seinem Platze hinüberstieg, die Laterne aufhing und umlenkte. Während der Baron, die Folgen reichlich genossenen Weines spürend, rechts und links das vorstehende Ende einer Wagenrippe ergriff und sich krampfhaft in der neuen Lage festhielt, fuhr der Wagen auf dem immer dunkler werdenden Waldwege zurück, bis Jochen vor dem Hofthore von Branitz hielt.

Die Thorflügel waren geschlossen.

„Sie müssen aufmachen, Jochen,“ rief der Baron, dessen Zorn durch den Anblick des Schlosses wieder voll entflammt wurde.

„Ja, Herr, die sind alle zu Bette,“ sagte Jochen phlegmatisch dagegen, „das ist alles dunkel auf dem Schlosse.“

„Das ist so ’ne infame Finte; die haben die Lichter ausgelöscht oder sind auf die andere Seite gegangen; steig ab, mein Sohn, und tritt mal mit dem Fuß gegen das Thor, bis sie aufmachen!“

Jochen stieg wirklich hinunter und trat ein paar Mal gegen das Thor. Der dumpfe, dröhnende Laut hallte in der Nachtluft weit über den Hof hin und weckte ein wildes Hundegebell. Sonst rührte sich nichts – die Fenster des Schlößchens blieben dunkel wie zuvor.

„Siehst Du, Jochen, wenn ich den Iwert gestern Abend nicht nach Pelchow geschickt hätte; ich ließe ihn über die Mauer steigen; aber unsere alten Knochen sind dafür nicht mehr. Jetzt halt mal die Biester! Ich wette fünfzig Thaler, daß sie da alle hinter den Fenstern stehen und lauern.“ – Und: „Pannewitz!“ schrie er dann mit heiserer Stimme, nachdem er sich im Wagen aufgestellt hatte, und nun folgte eine Fluth nicht wiederzugebender Wünsche und Schimpfworte, welche wie Spülwasser aus einer Küchenrinne quollen und ebenso sauber waren.

„So,“ sagte der alte Herr dann befriedigt. „Nun fahr’ zu, mein Sohn! Fahr’ auch den ebenen Weg auf der Landstraße! Das Vergnügen ist nun doch verdorben.“

Der Baron mochte wohl mit seiner Vermuthung bezüglich der Zuhörer Recht gehabt haben; denn kaum war der Wagen aus dem Gesichtskreise des Schlosses entschwunden, als sich die Fenster plötzlich wieder erhellten und eine Anzahl dunkler Gestalten zeigten, zwischen denen Gelächter und lustige Rede hin und wieder ging.

Die Beiden im Wagen schwiegen lange Zeit. Der Baron fing an schläfrig zu werden, doch hielt ihn die Kühle der Nachtluft munter. Vom Felde her kam der Ruf des Wachtelkönigs und aus der Luft der geheimnißvolle Ton ziehender Kraniche. Der Himmel hatte sich allmählich erhellt, und nach einiger Zeit schwebte langsam der Mond herauf.

Eine halbe Stunde mochte die Fahrt gedauert haben und man war bereits auf Pelchower Revier, als seitlich an einer Waldecke ein Mann auf die mondhelle Landstraße heraustrat und respektvoll grüßend stehen blieb.

„Das ist ja Iwert, Herr!“ wandte sich Jochen herum.

Iwert war der Jäger und Forstwart des Barons.

„Sieh da, mein Sohn – guten Abend auch! Was thust Du denn hier draußen?“

„Ich lauere auf einen Rehbock, der hier in das Kraut ’rüber geht.“

„Schön, mein Sohn. Wie geht es in Pelchow? Ist da was Neues passirt?“

„Ja; ich war vorhin auf dem Hofe und habe gehört, daß sich das gnädige Fräulein den Fuß verstaucht hat und daß der neue Administrator gekommen ist.“

„Was?“ fuhr der Baron wie von der Tarantel gestochen auf. „Der Mensch ist da? Und meine Anne-Marieken hat sich was Weh gethan? Das bleibt doch wahr, daß Unglück nicht allein kommt. Ist das schlimm mit Anne-Marieken?“

„Das glaube ich nicht. Der Herr Administrator hat sie in dem Wagen vom Felde gebracht, mit dem er von Demmin gekommen ist: es war dem lahmen Lorenz seiner.“

„In dem Wagen? Was hat der Kerl meine Anne-Marieken zu fahren? Wie sah er denn aus, Iwert?“

„Dürten sagt, er hätte grüne Handschuhe an den Händen und Augengläser auf der Nase gehabt, und er wäre ein höllisch strammer Herr.“

„So’n Kerl! Was hat er grüne Handschuhe anzuziehen, daß er an den Händen wie ’ne Pogge anssieht? Das sag’ ich Dir, mein Sohn, Du läßt Dich auf nichts ein, was er von Dir will. Ich habe Dich in meinen Dienst genommen und bin Dein offenbarer Herr, und was die Strammheit von dem Teterower anbetrifft, da wollen wir schon damit fertig werden. Fahr’ hin, Jochen! Nein, das arme Anne-Marieken! Gute Nacht auch, mein Sohn!“

(Fortsetzung folgt.)

Rast an der Quelle.

Der Sommer liegt auf dem waldigen Thal;
Durch die Blätter blitzt sein heißer Strahl.

Zwei Rosse traben selbander so sacht
Durch der Buchenhallen gründämmernde Pracht.

5
Es sitzt die Maid auf dem weißen Roß,

Auf dem dunkelfarb’nen der junge Genoß.

„Wie stumm, mein Knappe!“ – „Herrin, verzeiht,
Ich trage im Herzen gar heimliches Leid.“ –

„Und doch war allzeit beredt Dein Mund?

10
Erzähl’ mir ein Märchen zu dieser Stund’!“ –


„Ihr habt zu gebieten; es sei Euch zu Dank
Die Märe, die Meister Gottfried einst sang!“ – -

Von den Lippen rollt’s ihm wie flüssiges Gold;
Er erzählt von Tristan und von Isold,

15
Und wie sie sich liebten so heiß und traut,

Obwohl sie von Cornewals König die Braut.

Wär’ die Seel’ auch verloren und himmlisches Glück,
Sie mußten sich lieben – das war ihr Geschick.

Sie konnten nicht lösen den süßen Bann,

20
Den ein Wundertrank ihnen angethan. –


Der Knab’ hat geendet: nun flüstert er bang:
„Glaubt, Herrin, Ihr an den Zaubertrank?“

Sie lächelt: „Ich wär’ ihn zu trinken gewillt,
Wenn er den Durst mir, den brennenden, stillt.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_728.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)