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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Karl Gussow.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Kunst seinen thrumphirenden Siegeseinzug gehalten habe. Dieses Princip, behauptete man, werde. von nun an unbestritten den Thron einnehmen, auf dem sich bisher ein blut- und kraftloser, in ausgetretenen Pfaden wandelnder Schematismus nur mit Mühe behauptet habe. Und in der That, er ist ein kecker Gesell, dieser Naturalismus, und die radicale Entschlossenheit, mit welcher er alle Grundsätze und Anschauungen der modernen Kunstentwickelung über den Haufen warf, machte ihn zu einem überaus gefährlichen Gegner, zu einem um so gefährlicheren, als er, unterstützt von einer allgemein zur Herrschaft gelangten materialistischen Weltanschauung, auch auf allen andern Gebieten des Lebens und des Denkens die verlangende Hand nach der Palme des Sieges ausstreckte.

Gegenüber dem bacchischen Triumphgeschrei der Jünger des Naturalismus waren denn auch die Vertreter der alten Lehre schnell genug auf dem Platze; sie weissagten in dumpfem Kassandra-Tone den Untergang aller echten Kunst, und als sie sich dann in stummer Resignation zur Seite wandten, sandten sie noch einen Partherpfeil auf den Feind ab: tauften ihn und seine immer excentrischer auftretende Gefolgschaft Brutalismus und Brutalisten.

So stand und steht vielleicht noch heute der Kampf zwischen Troern und Achäern, zwischen Naturalisten und Idealisten, indessen dürfte es allmählich beiden Parteien klar werden, daß sie bis zu einem gewissen Grade beide im Recht und beide im Unrecht sind. Wir sind der festen Ueberzeugung, daß sich der Widerstreit früher oder später in Harmonie lösen wird und muß, indem die Einen zu der Einsicht kommen, daß der nackte Naturalismus, das durch keinerlei ästhetische Grundsätze geregelte Abschreiben der Natur in ihren zufälligen Erscheinungsformen, nie Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck sein kann, daß er lediglich als Vorbereitung für die Kunstübung, als ihr Vasall und Diener Existenzberechtigung hat, die Anderen aber begreifen lernen, daß die idealisch gedachte und empfundene Kunstschöpfung hinter ihrem Ziele zurückbleibt, falls sie nicht ihre Idee mit allen Mitteln der Technik zu verkörpern vermag, und daß deshalb das innigste Studium der Natur eine notwendige Vorbedingung alles künstlerischen Schaffens ist.

Diese Ueberzeugung wird im vorliegenden Falle durch die erfreuliche Thatsache bestätigt, daß Gussow selbst, wenigstens in einzelnen seiner neuesten Bilder, sich einer das Object zwar treu wiedergebenden, aber doch verklärenden Kunstausübung genähert hat. Daß ihn die Predigten der Kritik und das Toben der Gegner dazu

veranlaßt haben sollten ist nicht anzunehmen, wir mochten im Gegentheil

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_749.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)