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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

aus verschiedenen Anzeichen schließen, daß er selbst seine naturalistischen Experimente nur als Vorbereitungsstudien, als Schularbeiten betrachtet und bisher mit dem Publicum in ironischer Schalkhaftigkeit etwas Versteckens gespielt hat; höchst wahrscheinlich bleibt allerdings immerhin, daß die Ausschweifungen seiner minder befähigten Nachbeter seine Umkehr beschleunigt haben. Man weiß zur Genüge, zu welchen Orgien der Häßlichkeit und Abscheulichkeit sich diese seine Nachbeter verstiegen haben, Männer, vor deren Bildern man einen beinahe physischen Ekel empfand, als seien dieselben mit Asa foetida gemalt; man weiß auch, mit welchem Widerwillen sich jeder ästhetisch Gebildete von diesen Monstrositäten abwandte, wie er in der Literatur vor dem rohen Naturalismus der modernen französischen Schule zurückschaudert.

Doch gleichviel aus welchen Gründen, und gleichviel, ob unser Künstler in der That neue Bahnen einzuschlagen gewillt ist, namentlich die Kunstausstellung von 1880 hat bewiesen, daß Karl Gussow der Schönheit zu huldigen versteht, wie nur Einer. An dem Portrait seiner Gattin würde ein Unkundiger schwerlich den Schöpfer jenes „Kätzchens“ und jenes „Blumenfreundes“ wiedererkennen, welche damals jene unerhörte Aufregung bei Künstlern und Laien hervorriefen.

Die wenigen Notizen, die über den äußeren Lebensgang des jugendlichen Meisters zu geben sind, entnehmen wir Adolf Rosenberg’s trefflichem Buche über „die Berliner Malerschule“. Danach wurde Karl Gussow im Jahre 1843 in Havelberg, einer der ältesten Städte der Mark, geboren. Da sein Vater lebhaftes Verständniß für die künstlerische Neigung und Befähigung des Sohnes hegte, so konnte dieser sofort nach Vollendung seiner Schulstudien die Künstlerschule in Weimar beziehen, wo er in den Ateliers des Historien- und Genremalers Arthur von Ramberg und des berühmten belgischen Historienmalers Ferdinand Pauwels auf das Studium der Niederländer hingeführt wurde, das seiner ganzen künstlerischer Entwickelung eine entscheidende Richtung gab. Seine technische Virtuosität und die lebendige, kraftvolle Energie seiner Farbe verdankt er vorzugsweise dem Einflusse des letztgenannten trefflichen Coloristen, eines der Hauptvertreter des modernen belgischen, bekanntlich durch Gallait und de Biefve zur Herrschaft gelangten Realismus.

Im Jahre 1887 verließ Gussow Pauwels’ Atelier und begab sich nach München, um sich in der Schule Piloty’s weiter zu bilden. Doch hielt die baierische Hauptstadt ihn nur ganz kurze Zeit; denn schon nach vierzehn Tagen entschloß er sich zu einer Kunstreise nach Italien, von welcher er nach sieben Monaten nach Weimar zurückkehrte. Allmählich erregten seine frisch, keck und drastisch hingeworfenen kleinen Genrebilder, mit denen er zum ersten Male 1870 die Ausstellung in Berlin beschickte, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Kenner, und der damalige Director der Weimarischen Kunstschule, Graf Kalkreuth, bekannt als trefflicher Landschaftsmaler, entschloß sich schnell, dem kaum siebenundzwanzigjährigen jungen Künstler eine Professur an derselben anzutragen. Gussow nahm dieselbe an und entfaltete bald eine ausgedehnte und einflußreiche Lehrthätigkeit; mehr und mehr Schüler schlossen sich seiner immer schärfer herausgearbeiteten naturalistischen Richtung an. Im Jahre 1874 erhielt er einen Ruf an die Kunstschule in Karlsruhe und anderthalb Jahr später an die reorganisirte Kunstakademie in Berlin, deren Lehrkörper er bis zum vorigen Jahre angehörte, in welchem er aus hier nicht zu erörternden Gründen sein Amt niederlegte. Es sei noch erwähnt, daß er an äußeren Auszeichnungen im Jahre 1874 die kleine, 1880 die große goldene Medaille für Kunst erhielt.

Gegenwärtig lebt Gussow in Berlin ausschließlich seinem künstlerischen Schaffen. Daß er vorläufig seine Lehrtätigkeit aufgegeben hast bleibt gewiß zu bedauern; denn jede seitherige Ausstellung hat bewiesen, wie segensreich sein Einfluß bei unserer jüngeren Künstlerwelt auf die Plastik der Formelsprache, die Sicherheit und Correctheit der Zeichnung und die Energie des Colorits gewirkt hat.

Es würde uns hier zu weit führen, wenn wir Gussow’s sämmtliche Schöpfungen eingehend charakterisieren wollten; wir müssen uns auf die hauptsächlichsten Marksteine seines künstlerischen Wirkens beschränken

Das Interesse der weitesten Kreise zog er, wie schon eingangs erwähnt, durch die drei Bilder aus sich, mit derer er die Ausstellung von 1878 beschickte und die er gewissermaßen als Visitenkarte bei dem Publicum der Reichshauptstadt, deren Bürger er soeben geworden war, abgab. Zwei von diesen Bildern, „Das Kätzchen“ und „Der Blumenfreund“, teilten nicht nur die Künstlerschaft und die Kritik, sondern auch die große Schaar der Beschauer in zwei heftig für und wider streitende Heerlager. Während die Einen die glänzende Technik, die frappirende Lebenswahrheit bewunderten, anerkannten die Anderen zwar alle diese Vorzüge, bedauerten aber, sie in den Dienst der banalsten Alltäglichkeit, des reizlosesten Stoffkreises gestellt zu sehen.

Auf dem „Kätzchen“ sah man einen alten Bauer, eine alte Dorfhexe und zwei frische, strotzende Kuhmägde in vollster ungeschminktester Lebenswahrheit um eine kleine Katze gruppirt, deren klägliche Schreie ihre naturwüchsige Heiterkeit erregten. Diese Bauern, die sich weder gewaschen noch gekämmt hatten, traten mit einer so überraschenden Plastik aus dem Rahmen des Bildes heraus, daß die Täuschung, wirkliches Leben vor sich zu haben, sich zu einer bisher unerhörten Wirkung steigerte, und ähnlich jenen Vögeln, welche an den Weinbeeren des Zeuxis pickten, hätte man wohl einer dieser drallen Dirnen einen herzhaften Kuß geben mögen, wenn sie eben – reinlicher gewesen wären.

Nicht zum geringsten wurde dieser plastische Eindruck durch die Leuchtkraft des Colorits unterstützt, das namentlich in einem weiß und schwarz getüpfelten orangegelben Schnupftuche – man stelle sich ein die Spuren der Tabaksdose tragendes Kattunschnupftuch vor, wie man es auf Jahrmärkten für wenige Groschen zu kaufen pflegt! – an frappanter Naturtreue alles bisher Gesehene überragte. Dieses knallgelbe Taschentuch wurde denn auch das Banner, unter dem sich die fanatischsten Jünger des Meisters sammelten, und noch Jahre danach erblickte man es aus zahllosen Bildern an passender und unpassender Stelle als ein Schiboleth der Gesinnungsgenossen.

Dem „Kätzchen“ gestanden allerdings auch die Gegner zu, daß es unbestritten wirkliche Natur wiedergäbe, der „Blumenfreund“ dagegen unterlag schonungslos dem Verdict: „Carricatur!“ Und in der That, dieser alte Graukopf mit der Kupfernase und den hochgeröteten Wangen, der sich im Schlafrock mit scharlachroten Aufschlagen zum Fenster hinausbeugt, um seine Topfblumen zu begießen, welche ihrerseits in allen Abstufungen der rothen Farbe prangen, konnte, wenn man ihn vor der Bezeichnung als Carricatur retten wollte, höchstens auf den Titel eines coloristischen Experimentes Anspruch machen. Anders dagegen stand es mit dem dritten Bilde des Tausendkünstlers: das war eine sinnige, tiefpoetische, reizvolle Elegie, ohne herausfordernde Farben, ein rührendes Gedicht aus dem Leben, das mit seinen einfachen, fast alltäglichen Contrasten mit unmittelbar zwingender Gewalt an das Herz des empfänglichen Beschauers rührte. „Verlorenes Glück“ nannte der Künstler das dritte Bild, das eine junge trauernde Wittwe in tiefem Schmerz darstellt, während neben ihr das blonde Töchterchen heiter lächelnd in die Welt hinausblickt.

Welcher Gussow war nun der echte? Der radicale Naturalist des „Kätzchens“, oder der gemütvolle Dichter dieser wehmütigen Elegie? Auch die nächste Ausstellung sollte darüber noch keine Aufklärung bringen – wir sahen eine Reihe vortrefflicher, aber nichts weniger als anmutiger Studienköpfe, dann ein großes Bild „Willkommen“, auf dem eine Schaar Mädchen aus einem Fenster einem heranziehenden Truppentheile oder dergleichen mit den obligaten gelben Taschentüchern entgegenweht; daneben sahen wir aber auch ein ausgezeichnetes Bildniß einer alten Dame, das bei allem innigen Anschmiegen an die Natur doch künstlerisch idealisirt war, und nach wie vor mußte man die Ansicht festhalten, daß zwei Seelen in des Meisters Brust wohnten, deren eine sich „mit klammernden Organen an das Irdische heftete“, während die andere zu „den Gefilden hoher Ahnen“ emporstrebte. Inzwischen hatte auf der Pariser Weltausstellung ein humoristisches Bild des Künstlers: „Die Venus-Wäscherin“ ebenfalls großes Aufsehen erregt. Dasselbe zeigte ein altes Weib von einer Häßlichkeit, die an Frans Hals’ „Hexe von Harlem“ erinnert, welches sich der ihm offenbar höchst mißliebigen Beschäftigung hingab, eine kleine Statue der Venus von Milo vom Staube zu reinigen. Das Bild hatte einen unleugbar gemütlichen Zug, und daß seine Technik die alte unübertroffene und unübertreffliche war, verstand sich von selbst.

Bei den Ausstellungen von 1878 und 1879 täuschte Gussow die Erwartung von Freund und Feind; man wußte, daß er mit zahlreicher Portraits beschäftigt war, wußte auch, daß die Nachfrage

nach seinen Bildern sich von Tag zu Tag steigerte, aber –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_750.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)