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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

er stellte nicht aus, und während in den Spalten der Presse, in den Kreisen der Künstler und den Salons der Gesellschaft nach wie vor der Kampf der Meinungen über Idealisten und Naturalisten hin und her wogte, saß Achilleus-Gussow grollend bei den Schiffen und überließ Griechen und Troer ihrem Schicksal.

Es war nicht mehr als natürlich, daß die naturalistischen Achäer, bei denen die Künstlerschaft häufig ja auch nur in der hauptumwallenden Löwenmähne besteht, unter dem siegreichen Ansturm der Gegner stark in’s Schwanken geriethen und ihre Schiffe zu brennen begannen.

Doch endlich nach dreijähriger Zurückgezogenheit trat der siegreiche Sohn der Thetis wieder auf den Plan – ein Anderer und doch derselbe! Mit vier Bildern erschien er auf der Ausstellung des letzten Jahres, und jedes einzelne dieser Bilder galt eine gewonnene Schlacht. Freilich waren, mit vielleicht einer Ausnahme, diese Schlachten mit anderen Waffen geschlagen, als die früheren, und man konnte mit Fug und Recht sagen, der Führer und Meister der Naturalisten sei nunmehr selbst mit fliegenden Fahnen in das Lager der Idealisten übergegangen. Allerdings erinnerte das eine Bild „Die beiden Alten“ noch an die Manier des „Kätzchens“: es war dieselbe Plastik der Form, dieselbe Lebenswahrheit der Erscheinung, dieselbe kraftvolle Fülle der Farbe, aber wie liebenswürdig war der Ausdruck in den Gesichtern dieses alten, ärmlich aber reinlich gekleideten Ehepaares, wie herzgewinnend die alte Mutter, die dem schwerhörigen Gatten beim Kaffee den Brief des Lieblingssohnes vorlas, wie künstlerisch vollendet die Wiedergabe der Schwerhörigkeit in dem braven, treuen, gutmüthigen Antlitz dieses Alten selbst! Da war nichts von der Aufdringlichkeit des Schmutzigen, von der Unbarmherzigkeit des Alltäglichen, die im „Kätzchen“ und im „Blumenfreund“ so abstoßend gewirkt; während die Meisterschaft der Darstellung die alte geblieben, war die Wahl und Auffassung des Stoffes eine geschmackvollere und anmuthigere geworden.

Doch die Perlen der Ausstellung, wie die Perlen unter des Künstlers Werken, waren seine drei Portraits. Man weiß, wie selbstgefällig gerade in der Portraitmalerei das Bönhasenthum sein Wesen treibt. Nirgendwo liegt die Gefahr näher, daß die Kunstübung in handwerksmäßige Schnellmalerei ausarte, als hier. Andererseits ist die Portraitmalerei das Feld, auf dem der Meister die höchste Blüthe seiner Kunst zur Entfaltung zu bringen vermag, und mehr als der Geschichtsmaler im strengen Sinne ist er im Stande, der Nachwelt in charakteristisch aufgefaßten, bei voller Wiedergabe der Individualist doch den Geist einer ganzen Culturperiode in prägnanter Zusammenfassung in sich schließenden Bildnissen ein treues Spiegelbild seiner Zeit zu überliefern.

Wir Mitlebenden haben natürlich keine volle Sicherheit des Urtheils darüber, welche von unsern schaffenden Künstlern von kommenden Geschlechtern dereinst als diejenigen werden anerkannt werden, in deren Werken sich der Geist unserer Zeit am treuesten widerspiegelt. Doch diejenigen dürften nicht fehl gehen, welche unter diesen Auserwählten neben Gustav Richter in erster Linie auch Karl Gussow nennen. Wenn ein solches Prognostikon durch Bilder unterstützt wird, wie jene drei Portraits, so mag man es gewiß mit freudiger Zuversicht stellen. Das köstlichste derselben war ohne Zweifel jenes, welches des Künstlers Gattin zum Gegenstand hatte. So vortrefflich sich auch die beiden andern Portraits Gussow’s erwiesen, in denen er seiner alten Neigung zu kecken Farbenexperimenten mit vollkommenster Sicherheit des Gelingens nachgab – das eine brachte eine schwarzhaarige junge Dame mit rosigem Antlitze auf hellrosafarbigem, weißgemustertem Hintergrunde, das andere einen blonden Backfisch in schwarzseidenem Kleide mit granatrothen Schleifen auf braunem, graugemustertem Fond zur Anschauung – das Bild der Gattin stellt sie in den Schatten. Der herrliche Kopf mit den meertiefen, in unergründlicher Krystallhelle und Transparenz leuchtenden Augen ist über die linke Schulter zur Seite geneigt. Von dieser fällt ein grauer, pelzverbrämter Ueberwurf herab und gestattet dem Künstler in der Darstellung von Nacken und Hals eine Meisterschaft der Modellirung, eine Wärme und Tiefe der Farbe zu entwickeln, deren Schilderung jeder Feder versagt ist, ebenso wenig, wie sie von der seelenvollen Tiefe des Auges und der Anmuth des Gesichtsausdruckes einen Begriff zu geben vermag.

Eines vor Allem stand uns gegenüber diesem Bilde fest: Ein Künstler hat es geschaffen, an dessen Wiege Musen und Charitinnen im holden Verein standen. Und einen Raub an seiner Kunst würde er begehen, wenn er, wie man aus den drei im diesjährigen Salon von ihm ausgestellten Portraits schließen möchte, nach dieser größten Schöpfung seines Genius wieder in den Staub der Alltäglichkeit hinabstiege. Möge er fürder dem Grundsatze treu bleiben, daß das bloße Abschreiben der Natur in ihren willkürlichen Erscheinungsformen unmöglich Endzweck der Kunst sein kann, daß der Werth solchen Abschreibens nie über den der vorbereitenden Studie hinaufgeschraubt werden darf, daß die Kunst ihre große, sittliche Culturaufgabe, mitzuarbeiten an der seelischen Läuterung und Erhebung der Menschheit, nur erfüllen kann, wenn sie mit ihren Stoffen nicht an der Erde kleben bleibt, sondern dieselben in eine ideale Sphäre versetzt,

„Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldnen Duft der Morgenröthe webend.“

Hermann Trescher.     




Das große Flottenmanöver bei Kiel.

Es war schönes Herbstwetter am Tage des 17. September dieses Jahres, an welchem Tage auf der blauen Bucht, welche die Ostsee bei Kiel bildet, ein seltenes Schauspiel in Scene ging, das Tausende von Zuschauern aus Nah und Fern herbeigelockt hatte und die Brust jedes patriotischen Deutschen mit stolzer Befriedigung erfüllen mußte. Vor den Augen des obersten Kriegsherrn des deutschen Reiches, vor den Augen des greisen deutschen Kaisers hielt unsere verhältnißmäßig noch so junge deutsche Seemacht ein großes Seemanöver ab und that auf das Glänzendste dar, daß sie, ihrer Jugend zum Trotz, waffentüchtig ist und ein Held wie Jung-Siegfried in der Sage.

Wenn früher das alte schmerzliche Lied ertönte von Deutschlands Zerrissenheit und Ohnmacht, dann klang die Strophe des Liedes am schmerzlichsten, welche von Deutschlands Ohnmacht zur See sang und sagte. Wir ballten ingrimmig die Faust, wenn wir hörten, daß deutsche Landeskinder im Auslande schutzlos fremdem Uebermuthe und fremder Habgier preisgegeben waren; wir wiesen zürnend darauf hin, daß uns Bäume in Ueberfluß wachsen in unseren Wäldern und Eisen genug in den Schachten unserer Berge, um uns in den Stand zu setzen, Schiffe zu bauen und sie mit Panzern zu bekleiden; uns schlug das Herz höher bei dem Gedanken, daß an den Küsten unserer Meere Männer genug wohnen, welche von Jugend auf vertraut sind mit Wind, Wetter und Wellen, Männer, die den besten Seeleuten der Welt zur Seite gestellt werden können, aber die Machthaber der deutschen Staaten und Stätchen zeigten kein Verständniß für Deutschlands Wehrhaftigkeit zur See, bis endlich das mächtig emporstrebende Preußen uns das errang, was wir so lange hoffnungslos uns wünschten: ein deutsches Reich und eine deutsche Flotte. Zwar hatte unsere Flotte noch bei Weitem nicht die numerische Stärke derjenigen anderer Seemächte – Britannia ist noch immer die Königin der Meere – aber sie ist durchaus im Stande, die Interessen des deutschen Reiches nachdrücklich zu vertreten, sowie im Kriegsfalle unsere Küsten erfolgreich zu vertheidigen. Davon legte, wie gesagt, das Manöver am 17. September glänzendes Zeugniß ab.

Kiel war zu jener Zeit von Fremden buchstäblich überfüllt. Jeder Eisenbahnzug brachte neuen Zufluß. Morgens in aller Frühe bereits fuhren zahllose kleinere und größere Dampfer, mit Schaulustigen angefüllt und reich mit Flaggen in allen nur denkbaren Farben geziert, auf die Mitte der Bucht hinaus und legten sich dort – eine stattliche Flotte! – vor Anker. Schon die Fahrt dahin bot, namentlich dem Binnenländer, des Interessanten in Hülle und Fülle. Keine zweite Stadt des deutschen Reiches hat sich in jüngster Zeit eines so rapiden Aufblühens zu erfreuen gehabt, wie der Reichskriegshafen Kiel. Die mächtigen Hafenanlagen und die gewaltigen Werfte zu Gaarden bieten ein fesselndes Bild, auch wenn man nur flüchtig an ihnen vorüberfährt. Und draußen auf der Bucht erwarten uns neue Reize. Die hügeligen Ufer sind wie geschaffen für den Pinsel des Malers, und von rechts und

links dräuen die Forts mit ihren schweren Geschützen herüber. Das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_751.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)