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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Der Wald war auf der Branitzer Seite ungefähr ebenso weit von Pelchow entfernt, wie aus der Langendorfer, so dauerte es noch zehn Minuten, ehe der Wagen neben Fräulein von Lebzow hielt, welche die Pannewitzische Familie lebhaft begrüßte, Curt indeß keines Blickes würdigte. Es entstand ein Streit, wer aussteigen und gehen und wer weiterfahren sollte; Herr von Pannewitz entschied, daß der Kutscher zu Fuße nachkommen, der junge Boddin dessen Stelle auf dem Bocke, Anne-Marie den leer gewordenen Platz im Fond einnehmen solle. Curt wechselte stumm den Sitz.

Man kam bald in Pelchow an. Der alte Baron ließ sich nicht sehen, und Anne-Marie lud die Damen mit einem Anflug von Verlegenheit ein, ihr in den Garten zu folgen, um den Kaffee in der Laube zu trinken. Herr von Pannewitz übertrug Jochen die Pferde und nahm Curt’s Arm, der sich flüchtig von den Damen verabschiedet hatte.

„Kommen Sie, Herr von Boddin! Wir müssen den Bären in seiner Höhle aufsuchen.“

Er spähte in das Fenster, welches den Zugang zum Zimmer des alten Herrn bildete, und klopfte dann.

„Mach’ mal auf, Boddin! Was den Teufel: bist Du ungesund, oder was fehlt Dir, Franz?“

Curt gewahrte durch die Scheiben, daß der Onkel rittlings auf einem Holzstuhle saß, die Lehne nach vorn, wie im Friseursalon. Er kehrte ihnen in dieser Positur den Rücken zu. Neben ihm kauerte der Bernhardiner, so steif wie sein Herr.

„Schweig still, Fritz!“ tönte es dumpf aus dem Zimmer. „Ich will nichts von der Sache wissen. Du bist auch so’n Cujon; hast mir gestern den Sack mit Häcksel aufgeschnitten, und nun läßt Du Dich mit dem Teterower ein. Wenn der Teufel zwischen Euch geht, ist der Beste in der Mitte – das sag’ ich. Wenn Ihr mich genug von meiner Rückseite gesehen habt, dann könnt Ihr wieder gehen.“

„Du bist ’n rechter alter Esel,“ rief Pannewitz, Curt zublinzelnd; „wenn ich zu Dir hinein will, schlag’ ich Dir einfach das Fenster ein –“

„Das sonst Du mal probieren – das probir’ mal!“ rief der alte Baron zornig. „Dazu hab’ ich meine Fenster nicht einsetzen lassen. Und ich habe hier meinen Hund, der ist auf den Mann dressirt.“

„Du bist doch wie die Kinder, Franz,“ meinte Pannewitz einlenkend, indem er Curt einen Wink gab, bei Seite zu treten; „wenn sie sich vor etwas fürchten, stecken sie den Kopf in’s Bett. Ich will, ganz allein, wegen ’ner ernsten Sache mit Dir reden, daß Du nicht in Ungelegenheiten kommst, und nun betreibst Du solche Dummheiten, Reden kannst Du ja immer mit mir; wenn Dir meine Worte nicht gefallen, hast Du Deinen freien Willen.“

„Die Worte sind gut, aber in’s Dorf komme ich doch nicht, wie der Wolf sagte,“ knurrte es drinnen beruhigter.

„Wenn Du Deinen besten Freund aufgeben willst, dann bleib’ sitzen, Franz! Dann fahre ich wieder nach Branitz zurück, und Du kannst Dir auf Pelchow die Zeit mit Mäusefangen vertreiben und mit Dürten Schoritz Sechsundsechszig spielen. Mich kriegst Du nicht wieder zu sehen. Adschüs auch!“

„Wart’ mal, Fritz, wart’ mal!“ rief der Alte hastig. Und nach einer Weile setzte er hinzu: „Na, ich kann ja wohl mit Dir reden, aber blos mit Dir. Der Teterower kommt mir nicht zu nahe.“

Curt von Boddin war innerlich empört. Die Rolle, die er hier verurteilt war zu spielen, kam ihm lächerlich und entwürdigend genug vor. Allein er bezwang sich auch diesmal und schritt, seinem Verbündeten zunickend, um die Hausecke. Er hörte, wie jenseits das Fenster aufgeschoben wurde und Herr von Pannewitz hineinstieg. Dann schritt er langsam auf und ab. Die Verhandlung konnte ja so lange nicht dauern und allein zu den Damen sich zu begeben, war er nicht in der Stimmung.

Beladene Wagen langten an, und er musterte die schlecht gepflegten Pferde und die allzugeringe Belastung. Die Leute kümmerten sich anscheinend nicht um ihn, und doch fing er verstohlene und, wie ihm dünkte, nicht eben freundliche Blicke auf. Sein Entschluß stand fest, der peinlichen Situation, in der er sich befand, rasch ein Ende zu machen.

Endlich erschien Herr von Pannewitz wieder, verdrießlich lachend und mit dem Kopfe schüttelnd.

„Sie werden wohl nicht um die gerichtliche Hülfe herum kommen, Herr von Boddin. Der Alte ist ganz aus dem Häuschen und will es auf einen Skandal ankommen lasten. Als er mir sagte, daß Anne-Marie schon mit ihm gesprochen und daß er auch sie abgewiesen hätte, wußte ich Bescheid. Was die nicht fertig dringt, schaffen wir Anderen alle nicht! Gehen wir zu den Damen! Vielleicht besinnt er sich doch noch ‚Auf einen Schlag giebt der Bauer die Tochter nicht fort,‘ sagt das Sprüchwort.“

„Ich kann nicht darauf warten, ob es meinem Onkel gefällig ist, sich zu besinnen,“ sagte Curt finster. „Ich habe Pflichten übernommen und ich bin für ihre Wahrung verantwortlich.“

„Kann ich Ihnen nicht verdenken,“ meinte Herr von Pannewitz, die Achseln zuckend.

Als sie in den Garten kamen, wurden sie von den Damen sofort wegen des Erfolges der Verhandlung befragt.

„Nichts zu machen,“ sagte Herr von Pannewitz. „Anne-Mariechen hat ihm ja auch schon versucht den Kopf zurecht zu setzen; der Alte war ganz elegisch darüber. Er hätte es nicht für möglich gehalten, daß sie sich mit seinem ausgesprochenen Feinde in ein Bündniß einlassen könnte. Ihm ist eben nicht zu helfen.“

Anne-Marie war glühend roth geworben und blickte einen Moment zu Curt von Boddin hinüber, der sie forschend ansah und damit ihre Verwirrung nur vermehrte.

„Ich konnte nicht anders,“ stammelte sie; „es geschah ja zum Besten des Onkels –“

„Nein, nein, mein liebes Kind,“ fiel Herr von Pannewitz ein, „Du hast ganz recht gethan. Er ist Dir auch nicht weiter böse darum.“

„Ich bilde mir nicht ein, daß Ihr Wort zu meinem Besten gesprochen wurde, Cousine Lebzow,“ warf Curt ernsthaft hin. „Sie werden mich aber entschuldigen, wenn ich zu anderen Mitteln greife, um dem Rechte Geltung zu verschaffen. Möchten Sie dem Onkel gefälligst mitteilen, daß ich morgen von seiner Erlaubniß Gebrauch machen und Jochen für eine Fahrt nach Demmin in Anspruch nehmen werde?“

Es wollte keine rechte Stimmung auskommen. Man trank den Kaffee, promenirte ein wenig – dann ging Herr von Pannewitz, um anspannen zu lasten. Curt hatte Frau von Pannewitz den Arm geboten; die jungen Damen blieben unter sich, und da gab es, vorsichtig in der gehörigen Entfernung, Mädchengespräche.

„Nun, wie findet Ihr ihn?“ Es war Hedwig von Pannewitz, die so fragte.

„Steifleinen und arrogant,“ sagte Anne-Marie heftig. „Ich bin schon ganz mit ihm fertig.“

„Ich finde ihn ganz hübsch,“ meinte gedämpft die volle Altstimme von Leonore. „Eine stattliche Figur, und auch sein Gesicht gefällt mir.“

„Aber die Nase ist vorn etwas breit und der Mund zu scharf,“ meinte Hedwig. „Ich glaube nicht, daß ich einmal Verlangen haben könnte, ihn zu küssen trotz des hübschen Bärtchens.“

„Du bist nicht gescheidt, Hedwig. Wer denkt an so etwas? Aber er hat ganz frische Farbe – das habe ich gern. Steif ist er – das ist wahr, und ich halte ihn nicht gerade für einen amüsanten Gesellschafter.“

„Und doch hat er Geist und etwas Männlich-Entschiedenes, etwas Kräftiges,“ warf Anne-Marie hin.

„Ich bin der Ueberzeugung, daß er sich aus Damen nicht viel macht und es nicht für der Mühe wert hält, Geist zu – – pst!“

Hedwig legte den Finger an den Mund und flüsterte blos noch rasch Anne-Marie ins Ohr:

„Wenn er nur nicht immer den gräulichen Kneifer auf der Nase hätte! Verlieb’ Dich nicht in ihn, Anne-Marieken!“

„Bitte, ich lasse ihn Dir!“ war die leise Antwort

Pappa Pannewitz kam und rief zum Wagen, und bald saß die Familie zur Abfahrt gerüstet.

„Adieu Anne-Mariechen und grüße den Onkel! Er wäre heut sehr ungezogen gewesen.“

„Adieu Heer von Boddin, auf baldiges Wiedersehen in Branitz! Kommen Sie, so oft Sie Zeit haben.

„Adieu liebstes Anne-Marieken – und was ich Dir gesagt habe!“

Hedwig’s Finger drohte vor dem lachenden Gesicht, als

der Wagen um die Ecke bog, und Anne-Marie, der die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_762.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)