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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Orgel spielte; man sang. Als er oben erschien, war die Andacht gestört, so weit man ihn sehen konnte. Vom Chor her stürzte ein hagerer Schulmeister auf ihn zu: Mederow, von dem er einen Augenblick beinahe nur die Stelle des Rückens erblickte, wo das Kreuz sich bog.

„Der gnädige Herr weiß natürlich hier noch nicht Bescheid; ich erlaube mir unterthänigst, Sie zu dem Pelchower Herrnstuhl zu fuhren“

Curt wies ihn kühl ab:

„Ich werde hier oben einen leeren Platz benutzen.“

Der Schulmeister entfernte sich mit sorgenvollem Gesicht. Diese Abweisung dünkte ihm ein böses Omen.

Curt saß ruhig. Er warf nur einen flüchtigen Blick nach der Kanzel, als der Geistliche erschien: ein hochgewachsener Mann in mittleren Jahren mit blondem Lockenkopf, verständig aussehend. Es war ein Mißgriff, daß er diesen Platz gewählt hatte; das herrschaftliche Chor war auf der nämlichen Seite. Der Gottesdienst fesselte ihn nicht. Er überlegte seine Einrichtung. Wie würde es mit dem Eßsaal werden? Wenn Onkel sich beschwichtigen und gewinnen ließ, dann war alles gut. Sie aßen dann zusammen und lebten ganz gemüthlich. Warum sollte der alte Herr so hartnäckig sein? Nur ein paar Wochen Gewöhnung.

„Amen!“ sagte der Pastor. Man rührte sich in der Kirche, und in Kurzem durfte Curt hinausgehen. Die Gemeinde sang noch, als er sich bereits auf dem Kirchhofe befand. Es gehörte wirklich Muth dazu, hier auf- und abzugehen und den grimmigen Onkel und die grollende Cousine Lebzow zu erwarten; nein – nur eine gleichmütige Cousine. Er setzte den Zwicker auf.

Erst kamen Leute, die ihn anstarrten und weitergingen, dann Kinder, die ihn anstarrten und nur bei Seite traten. Endlich erschien Anne-Marie, hinter ihr der Geistliche, der Baron und ein anderer Herr, vermuthlich der Besitzer des Langsdorfer Gutes, ein junger Mann noch. Die Blicke der Kinder lenkten Anne-Marie’s Augen zur Seite, und sie glaubte, sie müsse in die Kniee sinken, als sie Curt erblickte. Aber sie verneigte sich blos steif und flüsterte dem Onkel etwas zu. Es war zum Verzweifeln, wie diese Kriegsstellung sie nervös machte, sie, eine Natur für Frieden und Sonnenschein. Sie mußte eine Rolle spielen, zu der sie durchaus nicht paßte, und das war qualvoll. Aber sie mußte – das stand außer Zweifel; es war das einzige Mittel, um ihre Würde zu behaupten.

Der alte Baron hatte kaum den Neffen erblickt, als er ein Gesicht schnitt, wie wenn er in eine unreife Pflaume gebissen.

„Na Adschüs, Herr Pastor! Adschüs, Kapnist! Ich hab’ eilig.“

„Wollen Sie mir nicht die Ehre schenken –“

„Anne-Marie, sag’ dem Herrn Pastor Adschüs –“

Anne-Marie bestellte hastig einen Gruß an die Frau Pastorin, und sie käme in der Woche einmal herüber – der Alte war schon bei dem Kirchhofthore. Sie trug wirklich ein grünfarbenes Kleid, aber Curt sah es nicht, Er zog finster die Brauen zusammen, biß sich auf die Lippen und wollte mit dem Fuße aufstampfen – da fielen die verwundert Umschau haltenden Blicke der Herren auf ihn; er mußte näher treten.

„Ich bin das Gespenst, welches Ihnen heute Ihren Sonntagsbesuch vertreibt, Herr Pastor,“ sagte er, gezwungen auflachend. „Ich heiße Curt von Boddin und werde Pelchow administriren.“

„Ach, sehr angenehm; mein Name ist Pastor Zehmen – Herr von Kapnist, mein Herr Patron – – aber sagen Sie, was war das, Herr von Boddin? Ihr lieber Onkel –“

„Ich will Ihnen kurz das Räthsel lösen; ich bin der Störenfried der Idylle mit der Ueberschrift ‚Pelchower Zustände‘ und stehe bei meinem Herrn Onkel wie bei meiner liebenswürdigen Cousine in allerhöchster Ungnade.“ Nun berichtete er von der Veranlassung seines Hierseins und dem Einfalle, die Vorüberfahrt zu einem kurzen Besuche im Pfarrhause zu benutzen.

Und er mußte richtig mit in’s Pfarrhaus und die Frau Pastorin kennen lernen; er mußte auch Herrn von Kapnist, der ihm sehr gefiel, versprechen, ihn zu besuchen. Er konnte sogar nicht umhin, Pflaumenkuchen zu essen und Bordeaux zu trinken von der Firma Schultz, die einen Verwandten in der Nachbarschaft hatte, und außerdem sich trösten zu lassen: der Groll des Barons werde, wie gewöhnlich, bald verrauchen, und was Anne-Marie von Lebzow bestreffe, das sei ein so reizendes Geschöpf, daß er wohl zu schwarz sehe, wenn er sie für seine Gegnerin halte.

Er konnte doch nicht eingestehen, daß er sie mit beiden Armen von der Kleebrache getragen und wie einen erziehungsbedürftigen Backfisch gescholten habe!

Der Boden brannte ihm unter den Füßen; er hatte den Leiterwagen vor Augen, in dem die Beiden fuhren – mitten im Gespräch brach er ab, sprang auf und verabschiedete sich. Er war die Dankbarkeit selber; er versprach, was man von ihm haben wollte, aber plötzlich befand er sich draußen und auf dem Wege zum Kirchhofe, wo Jochen hielt.

Als der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte, machte Curt sich selbst die bittersten Vorwürfe. Weshalb war er auch so sorglos nachlässig, so – täppisch ungezogen in die neuen Verhältnisse eingetreten! Alles hatte er beleidigt, den Onkel zwar nicht direct aber gewiß hatte Cousine Lebzow demselben erzählt, wie er ihn beurteilte, wie er ihn zu behandeln gedachte. Er hätte sich sachlicher einführen sollen, auch pietätvoller. Schließlich war der Onkel zwar ein verdrehtes Original, ein Verschwender, aber doch sein Verwandter und ein älter Mann. Und die Cousine? Nun –

Es geschah ihm recht, daß er vor offener Feindschaft stand. Allein jetzt die Hand bieten? Um Vergebung bitten? Brr! Er war so starrköpfig wie irgend ein Boddin. Vielleicht fand sich später ein gefälliger Nachbar, der die Sache „arrangirte“, am Ende der Pastor. Eine Weile mußte er die Lage schon nehmen, wie sie war, und sie war fast unerträglich.

Er fuhr durch den Wald und weiter, den wohlbekannten Weg. Erst als er auf dem Hofe war, fiel ihm ein: ob er wohl ein Mittagsessen bekommen würde? Aber er bekam zu essen.

Das gnädige Fräulein hätte gesagt, daß er kommen würde, wenn er nicht etwa bei Pastors bliebe – erklärte Dürten Schoritz.

Das gab ihm plötzlich bessere Laune: man will den Feind wenigstens nicht aushungern, dachte er heiter.

Nach Tische schrieb er. Zuerst nach Teterow: man möge ihm einen leichten Kutschwagen und zwei hübsche Pferde besorgen, auch sein Reitpferd schicken, und zwar möglichst bald. Dann einen kurzen Brief an den Onkel: er überlasse ihm Reitpferd, Kutschpferde nebst Wagen und Jochen dazu für seinen ausschließlichen Gebrauch.

„Schafskopf! Das ist mein Recht!“ sagte der Alte, als er das Schriftstück gelesen, das Dürten ihm überbracht. Er zerriß es – und zündete mit der gefalteten Hälfte seine Pfeife an.

Dann ging Curt zum Radmacher, um die Herrichtung der Zimmer mit ihm zu besprechen. Die Dielen wollte der Radmacher schon legen und streichen; auch tapeziren wollte er, wenn er Tapeten bekäme, Die hatte nun Curt bereits in Demmin ausgesucht. Auch der Maurer stünde zur Verfügung, und man könnte bald anfangen; nur müßten dann erst in den Ställen Bettverschläge hergerichtet sein für die Knechte; das halte sehr auf. Die Mägde müßten doch wohl auf den Boden hinauf; da sei aber zuvor Dachausbesserung und neue Dielung nöthig. Er thue, da der Winter so nahe vor der Thür stehe, am besten, einen Baumeister zu rascher Herstellung zu verpflichten Er solle an Neumayer in Demmin schreiben und ihn kommen lassen Und nun – so und so stünde es in Pelchow um die Arbeiterfrage,

Curt hörte mit wachsender Aufregung zu, Er war bleich geworden und die grünen Handschuhe spielten krampfhaft mit dem Kneifer, den sie hielten

„Da hat man mir ja eine schöne Suppe eingebrockt,“ sagte er. „Aber die Komödie kann unmöglich lange dauern.“

„Das ist recht,“ rief der Radmacher erfreut, „daß Sie die Sache so ruhig ausnehmen, Herr! Lassen Sie unsern alten Herrn nur! Er kann das nicht ausführen; dazu hat er ja das Geld nicht. Sie kommen Ihnen schon wieder: und andere Leute kriegen, ist schwer.“

Curt kaute an seinem Bärtchen

„Sie kennen die Verhältnisse hier, Radmacher; fertigen Sie mir eine Liste der arbeitsfähigen Leute an, auf welche ich mich verlassen darf, und eine zweite mit den Namen der Renitenten! Ich muß erst genau wissen, wie ich dran bin, Wo wohnt der Statthalter?“

„Das will ich Ihnen zeigen, Herr, und die Listen sollen Sie auch haben.“

Er band sein Schurzfell ab, Draußen stand die Radmacherin und knixte. Sie hatte Jehann auf dem Arme, der heute sauber aussah, und Curt streifte mit dem Finger die Wange des Jungen.

„Das ist Fräulein von Lebzow’s Pathenkind,“ sagte die Radmacherin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_794.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)