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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

mit Mutterstolz. „Sie kommt oft und besieht ihn sich, wie er gewachsen ist.“

„So?“ meinte Curt aufmerksam und blieb stehen. „Meine Cousine ist öfter bei Ihnen?“

„Ja, junger Herr; ich bin mit ihr hierher gezogen. Ich habe sie als Kind immer abgewartet.“

Diese Frau erschien Curt plötzlich sehr merkwürdig, und er nickte ihr lächelnd zu, als er mit dem Radmacher ging.

Der Statthalter war zu Hause. Er solle noch heute Abend alle Gutsangehörigen in der Knechtestube versammeln. Um sechs Uhr werde Curt dort erscheinen.

Curt von Boddin behandelte den Mann kurz, aber nicht unfreundlich. Dann verabschiedete er den Radmacher, ging nach Hause und nahm die Acten vor. Seine Stimmung war bereits so umgeschlagen, daß er den ganzen Streich, den ihm der Onkel gespielt, von der humoristischen Seite nahm. Als er die sauberen Aufschriften bemerkte, lächelte er fast glücklich. „Das hat sicher Anne-Marie von Lebzow geschrieben,“ dachte er, „eine klare, feste und zugleich anmuthige, ein wenig kindliche Hand.“ Wie zierlich und accurat das alles geordnet war, und wie anständig! Sie könnte einem Manne tüchtig an die Hand gehen. Hauswesen, Milchwirtschaft, Federvieh – das gab eine Perspective.

Er richtete sich auf dem großen Eßtische ein, machte Auszüge und Notizen und stellte zusammen. Aber hier war wohl alles unvollständig. Er hatte eine tüchtige Arbeit vor sich, wenn er über die gesammte Lage der Verhältnisse klar werden wollte. Das Schlimmste war, daß keine Karte des Gutes vorlag. Er schrieb sofort an einen bekannten Feldmesser; eine flüchtige Skizze des Terrains wollte er selber morgen herzustellen anfangen, aber bevor das nicht gethan war, hingen auch die genaueste Angaben des Statthalters für ihn in der Luft. Er schrieb auch an den Demminer Baumeister.

Als er, von dem Geräusch im Hause aufmerksam gemacht, die Uhr zog, war es schon über sechs. Er fand die Leute versammelt, bezeichnete ihnen kurz seine Stellung und nahm sie auf Handschlag in Pflicht. Sein kurzes, festes, ruhiges Wesen schien diesmal zu imponiren; er war nun schon der „Herr“, und man betrachtete ihn mit anderen Augen.

Sie mußten warten, während er den Statthalter mit in die Eßstube nahm, die er nun doch vorläufig bewohnen mußte. Er ließ die Leute einzeln kommen und notirte die Viehbestände, die Vorräthe an Scheunen und Futterställen. Morgen wollte er revidiren; es sollte nicht eher ausgetrieben, eingefahren, gearbeitet werden. Als er sich spät niederlegte, war er herzlich müde. Was den Leuten auffiel, war, daß er von der Arbeitseinstellung schwieg.

„Das wird wohl morgen kommen.“

Aber es kam nicht. Die Revision ging vor sich, mit einer scharfen Lection über Reinhaltung der Ställe. Die Hauptsache war hier freilich eine gründliche Reparatur; der Baumeister von Demmin bekam in Curt’s Notizbuch immer mehr Arbeit. Dann mußte der Statthalter die Feldarbeit fortsetzen, einstweilen nach seinem Ermessen und „mit allen irgend verfügbaren Kräften“.

Das war ein Wink, welcher außer Zweifel ließ, daß der „junge Herr“, wie Curt fortan hieß, um das Geschehene wußte.

Zum Glück blieb das Wetter für die nächsten Tage beständig. Am Tag zeichnete Curt; am Abend revidirte er die Aufnahmen mit dem Statthalter, welcher schlau genug war, sich für alle Fälle auch nach dieser Seite hin seine Stellung zu sichern. Curt durchschaute ihn, sah aber, daß er brauchbar war; vor allem war sein guter Wille im Augenblick unentbehrlich. Inzwischen kam der Baumeister; Curt mußte ihn wohl oder übel für eine Nacht in seinem Zimmer einlogiren. Nach wenig Tagen erschienen Leute von Demmin, welche Bretter, Balken, Ziegel und sonstiges Erforderliche brachte. Die Knechte waren umquartiert; die Baucompagnie nistete sich an ihrer Stelle ein.

In dieser Zeit bekam Curt den Baron und Anne-Marie selten zu Gesicht; er war auch so überhastet und überlastet, daß er nicht viel Empfindung für sie übrig hatte. Uebrigens wichen ihm beide nach Möglichkeit aus. Der alte Herr wechselte in seiner Laune; bald war er vergnügt, wenn er an „seine“ Arbeiter dachte, bald wüthend, daß man so gewaltthätig in seinem Eigenthum schaltete. Anne-Macke ging still herum und fühlte sich sehr unglücklich. Manchmal, wenn sie im Garten bei der Arbeit saß, passirte es wohl, daß sie nachdenklich lange in das herbstliche Land hinaus sah und daß sich ihre Augen dann plötzlich mit Thränen füllten. Beim Radmacher horchte sie eifrig, wenn dieser von Curt’s Plänen erzählte und von dem Geschick, mit dem er die Dinge angriff. Der kluge Mann merkte bald, wie gern er gehört wurde.

„Schlag doch mal auf den Busch!“ meinte die Radmacherin einmal zu ihrem Manne.

„Nicht stören, sagte der Hahn, als er Eier legen wollte,“ war die schelmische Antwort.

Am Ende der Woche kamen zwei Abgesandte seiner Arbeiter zum Baron.

„Wir müssen nun was Tagelohn ausbezahlt kriegen, Herr,“ sagten sie. „Wir haben uns das auf’s Aeußerste berechnet: mit fünfzig Thaler die Woche kommen wir aus.“

„Sollt Ihr haben, Kinnings,“ nickte der alte Herr und ging zum Schreibsecretär. Plötzlich aber besann er sich. „Nein, das gehört ja meinem Anne-Marieken. Das ist nicht mein.“ Und dann fuhr er laut fort: „Kommt mal auf den Abend wieder!“

Als sie am Abend wiederkamen, überreichte er ihnen fünfzig Anweisungen auf seine Person, je zu einem Thaler. Anne-Marie hatte sie schreiben und siegeln müssen; er hatte sie unterzeichnet.

„Das ist Papiergeld, so gut wie die Thalerscheine. Ich will mich jetzt nicht ausgeben. Daß ich das harte Geld habe, das sollt Ihr sehen. Kukt mal her!“

Er ließ die Leute in die Casse blicken, welche Anne-Marie’s zweihundert Thaler barg.

„Wenn mir Einer das Geld in acht Tagen bringt, Lüchting oder wer das sonst thut, kriegt er jeden Thaler baar ausbezahlt.“ Lüchting hieß der Krämer und Schenkwirth des Ortes.

Die Leute waren etwas verdutzt, gingen aber, und der Krämer nahm das Geld auf ihre Erzählung hin und berechnete nur etliche Procente mehr Aufschlug auf die Waare. Dem alten Herrn aber war ein paar Stunden schwül; er rauchte viel und griff sich oft in die Haare.

„Ich muß mal sehen, wo ich Geld her kriege.“

Am nächsten Tage dachte er nicht mehr darum aber als der Zahlungstermin näher rückte, erinnerte ihn Anne-Marie.

„Die Kerls faullenzen aber dafür, „murrte er ganz zornig. „Morgen müssen sie mir nachexerciren, daß sie doch was thun.“

„Wenn Du nur mit ihnen etwas verdienen könntest, Onkel. Vielleicht könntest Du selber sie an Vetter Curt vermieten.“

„Ich werde ihm was Anderes thun!“ rief er ganz aufgebracht, sodaß Anne-Marie erschrak. So hatte er seit lange nicht zu ihr gesprochen. Er merkte den Eindruck und streichelte und besänftigte sie sofort. Und der angeregte Gedanke ging ihm im Kopfe herum. – – –

Am folgenden Tage in den Nachmittagsstunden fuhr die Branitzer Kutsche die Landstraße am Walde entlang. Herr von Pannewitz saß darin, und was ihn nach Pelchow führte, war die Neugier, zu wissen, wie die Verhältnisse sich dort gestaltet hatten; denn weder Jemand von der alten Bewohnerschaft, noch Curt hatten sich seither in Branitz blicken lassen. Nur ganz verworrene Gerüchte von der Pelchower „Revolution“ waren unter den Branitzer Leuten verbreitet.

Bei einer Waldecke horchte Herr von Pannewitz auf.

„Was Teufel, ist das nicht der Baron Boddin?“ fragte er zum Kutscher hinauf.

„Das ist wohl seine Stimme, Herr!“ war die Antwort.

„Ganze Compagnie – kehrt!“ erscholl es jenseits der Ecke.

Als der Wagen um die Büsche kam, bot sich dem Auge des Herrn von Pannewitz ein erstaunlicher Anblick dar. Der alte Baron saß auf seinem Pferde, wie gewöhnlich im grünen Rocke, in Lederhosen und Stulpstiefeln, die Jockeymütze auf dem Kopf. Dazu holte er aber einen Reitersäbel umgeschnallt, dessen Klinge er in der Hand hielt. Hinter ihm marschirten ein paar Dutzend Männer und Weiber, Heugabeln, Aexte, Harken, Sensen und anderes Gerät schulternd, zu drei und drei hinter einander. Die Gesellschaft kehrte dem Wagen den Rücken zu: sie war im Abmarsch begriffen.

Herr von Pannewitz brach in ein schallendes Gelächter aus. Sofort wandten sich die Köpfe zu ihm herum – lachende Gesichter. Auch der alte Baron.

„Ganze Compagnie – halt!“ rief es aus dem Wagen, der rasch bei der seltsamen Truppe anlangte. „Was ist denn das, Boddin?“

Der Alte saß seelenvergnügt auf seinem Rappen.

„Wir arbeiten spazieren, Fritz,“ sagte er.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_795.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)