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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

meistens eilig zurück, doch nahmen sie unter Umständen auch von einem solchen verstärkten Lichtreize weniger Notiz, wenn sie nämlich gerade damit beschäftigt waren, Blätter zu verzehren oder in ihre Löcher zu ziehen; sie scheinen also, wie Darwin bemerkt, ähnlich wie höhere Thiere, der Aufmerksamkeit oder Vertiefung in eine bestimmte Beschäftigung in dem Maße fähig, daß sie darüber gewisse Störungen – wenn man bei ihnen von solchen reden darf – übersehen.

Der Gehörsinn scheint den Regenwürmern vollständig abzugehen. Weder die hohen Töne einer schrillenden Pfeife noch die tiefen eines Fagotts, weder lautes Sprechen noch Clavierspiel in ihrer Nähe störten sie in ihrer überirdischen Thätigkeit; dagegen zeigten sie sich sehr empfänglich für die Erschütterungen fester Körper, und sobald der Topf, in welchem sie sich befanden, auf den Clavierdeckel gesetzt war, genügte das Anschlagen eines höheren oder tieferen Tones, um sie zum eiligen Verschwinden von der Oberfläche zu veranlassen. Offenbar entgehen sie durch diese Fähigkeit bisweilen den Maulwürfen und Tausendfüßen, die ihnen im Innern der Erde nachstellen, und den äußeren Feinden, die sie von der Mündung ihrer Löcher aus bedrohen. Gegen Gerüche scheinen sie, ausgenommen natürlich gegen diejenigen, welche auf ihre nackte und feuchte Haut ätzend wirken mögen, wie Essig- und Salmiakgeist, wenig empfindlich zu sein, doch wußten sie unter der Oberfläche der Topferde vergrabene Stückchen von allerlei Blättern, rohem und gekochtem Fleisch bald zu finden. Im Geschmacke scheinen sie dagegen wählerischer zu sein, und Stückchen von Mohrrüben- oder Zwiebelblättern wurden stets früher verzehrt als solche von Kohl- und Rübenblättern. Einige Blätter, deren scharfes Aroma ihnen wahrscheinlich antipathisch ist, wie diejenigen von Thymian, Salbei, Beifuß u. dergl. m., blieben unangerührt.

Höchst merkwürdig sind nun die Beobachtungen, welche Darwin über die Behandlung der abgefallenen Blätter und anderer Gegenstände, welche die Regenwürmer in ihre Löcher ziehen, angestellt hat. Wenn wir an einem feuchten Spätherbstmorgen ein Gartenbeet betrachten, auf welchem abgefallenen Blätter lagen, so sehen wir eine Anzahl derselben sowie Blattstiele, Kiefernadeln, Strohhalme etc., noch halb aus den Löchern hervorschauen, in welche sie hinabgezogen wurden. Durch viele Hunderte von Einzelnbeobachtungen hat Darwin festgestellt, daß die Regenwürmer hierbei weitaus in der Mehrzahl der Fälle ganz so verfahren, wie ein Mensch verfahren würde, der solche Gegenstände in eine enge Röhre hineinziehen wollte. Ist nämlich das Blatt gegen das Stielende erheblich verschmälert, so ziehen sie dasselbe, indem sie den Mundtheil zu einer Ober- und Unterlippe gestalten, mit dem schmalen Stielende voran in die Oeffnung, ist dagegen das Stielende breit und das obere Ende, wie z. B. beim Lindenblatt, zugespitzt, so ziehen sie es in der Mehrzahl der Fälle an der Spitze herab. Die Nadeln verschiedener Kieferarten, welche zu Zweien in einer kleinen Scheide stecken, wurden ausnahmslos an dieser Scheide erfaßt und hinabgezogen, und diese im gegebenen Falle offenbar zweckmäßigste Methode wurde auch beibehalten, wenn die Spitzen der Nadeln vorher abgeschnitten oder mit einander verklebt worden waren. Rundliche Blätter, die gar keine Schmalseite darbieten, wurden, wenn sie von Natur oder durch das Absterben weich genug waren, um sich zusammenzufalten, mit dem Munde auf der Mitte der Fläche durch Anfangen ergriffen und so hinabgezogen.

Es gewinnt mit einem Worte den Anschein, als ob die Regenwürmer sich ihren mangelhaften Sinnesorganen und ihrer abgeschiedenen Lebensweise zum Trotze genug Intelligenz erworben hätten, um die Form der Gegenstände und die zweckmäßigste Behandlungsweise derselben beurtheilen zu können. Ganz ebenso wie die Blätter wurden Papierdreiecke behandelt, die, um ihr Aufweichen im Nachtthau zu verhüten, vorher mit Fett eingerieben worden waren. Die schmäleren wurden meist mit einer Spitze voran hinabgezogen, die breiteren meist in der Mitte erfaßt und durch Zusammenfalten in die Oeffnung gezwängt.

Die in die Oeffnungen hineingezogenen Gegenstände dienen den Würmern theils zur Nahrung, theils zum Ausfüttern und Verstopfen der Eingangsthore, um das Eindringen der Kälte und vielleicht auch des Regenwassers in die Gänge zu hindern. Zu demselben Zwecke häufen sie, wenn sie keine Blätter oder Stiele finden, auch kleine Steine, die sie ebenfalls durch Ansaugen herbeiziehen, über ihren Gangmündungen an, oder kleiden die Wandungen, namentlich in den erweiterten tieferen Theilen, wohin sie sich bei starkem Winterfroste, wie auch in der Sommerdürre, zurückziehen, mit denselben aus, wahrscheinlich um ihren Körper vor der unmittelbaren Berührung mit der naßkalten Erde zu schützen. Die Blätter, welche ihnen zur Nahrung dienen, pflegen sie in ihren Gängen mit einer alkalischen Flüssigkeit zu benetzen, welche, wenn sie noch grün sind, ihr Welken befördert und ihre Bestandtheile wahrscheinlich löslicher und verdaulicher macht. Den Regenwürmern fehlen die harte Kiefer, welche viele ihrer Verwandten besitzen; dafür erfreuen sie sich eines mit kräftigen Quermuskeln versehenen Kropfes, der vor dem eigentlichen Magen liegt und in welchem stets eine Anzahl kleinerer Steine enthalten ist, die zur weiteren Zerreibung des zum Theil aus Erde und härteren Substanzen bestehenden Speisebreis dienen. Da der Humus und die verwesenden Blätter, welche die Würmer verzehren, schon an sich sauer sind, so findet eine saure Verdauung, wie im Magen der höheren Thiere, bei den Würmern nicht statt, vielmehr ist ihr Verdauungssaft, wie derjenige der Mund- und Bauchspeicheldrüse bei den Wirbelthieren alkalisch und wird in seiner die Säure des Speisebreis abstumpfenden Eigenschaft nach durch ein paar Drüsen unterstützt, die reichliche Mengen van kohlensaurem Kalk in den Verdaungscanal absondern. In den Zeiten, wo keine Blätter von den Bäumen fallen, verschlingen die Würmer große Mengen von Dammerde, um derselben die in Form von Humusstoffen, Insecteneiern, Pilzsporen etc. in ihr enthaltene Nahrung zu entziehen; sie besorgen dabei die feinere Zerreibung und Vertheilung dieser Erde und befördern sie, mit ihren eigenen thierischen Ausscheidungen innig vermischt, in Form der bekannten, aus zerbrochenen fadenartigen Masse bestehenden Wurmhäuschen über die Mündung ihrer Löcher. Oftmals verschlingen sie aber die erdige Masse auch nur zu dem Zwecke, um sich durch sie hindurch den Weg in die Tiefe zu bahnen. Während sie sich nämlich in die Ackerkrume leicht und schnell hineinwühlen können, indem sie ihren Schlundkopf wie einen Keil wirken lassen, der die lockeren Massen bei Seite schiebt, müsse sie sich durch festeren Boden förmlich hindurchfressen, und dann bestehen, je nach der Bodenart, ihre sonst schwärzlichen Auswürfe fast aus reinem, weißem kohlensaurem Kalke, gelber oder rother Ziegelerde, die gleichwohl dabei fein zerrieben und, wenn auch in geringerem Maße, mit animalischen Flüssigkeiten durchtränkt werden.

Auf diese Weise verwandeln sie selbst einen unfruchtbaren Boden allmählich in einen fruchtbaren, sobald es ihnen nur möglich ist, Blätter hineinzuziehen und darin zu leben. Hensen sah, wie durch die Thätigkeit zweier Regenwürmer die Oberfläche einer Quantität weißen Sandes, die vorher mit Blättern bestreut und in einem Kessel von achtzehn Zoll Durchmesser enthalten war, in Verlauf von sechs Wochen mit einer centimeterdicken Schicht dunkler Ackererde bedeckt wurde. Außerdem führen sie eine Menge auf der Oberfläche verstreuter, abgestorbener, organischer Reste, wie Blätter, Insectenleichen, Schneckenschalen, Knochen etc., dem Boden zu, indem sie dieselben mit ihren Häufchen bedecken, und die Pflanzensamen, welche sonst frei an der Oberfläche verwittern würden werden durch diese Ueberschüttung in günstigere Bedingungen für die Keimung vesetzt. Die Wurzeln gleiten zum Theil in den alten Wurmgängen hernieder, deren Wände mit animalischen Ausscheidungen gedüngt sind, und rings umher finden sie einen von den Würmern wohlvorbereiteten und durchlüfteten Boden.

Die Leistungsfähigkeit der Würmer hinsichtlich der Erdmengen welche sie uns der Tiefe an die Oberfläche bringen, wurde meist unterschätzt, weil sich Niemand die Mühe genommen hatte, das Gewicht ihrer Auswürfe zu bestimmen und für ein gewisses Areal zu berechnen. Hensen schätzte die Anzahl der auf einem Hektar geeigneten Bodens lebende Regenwürmer ans 133,000 Stück, und die über einem einzigen Loche gefundenen Auswürfe wechseln in ihrem Gewichte von einer halben bis zu vier Unzen oder einem Viertelpfunde. Eine wahrscheinlich aus Ostindien stammende und an die Nordküste des mittelländischen Meeres verschleppte Art errichtet dort über ihren Löchern, indem sie das Hinterende hoch emporhebt, zwei bis drei Zoll hohe Thürmchen, die bei einem Zoll Durchmesser ganz aus diesen darmartig gewundenen erdigen Excrementen bestehen und einen merkwürdigen Anblick gewähre. Auf Ceylon giebt es eine zwei Fuß lange und einen halben Zoll dicke Art, deren Auswürfe natürlich reichlicher ausfallen werden.

In England berechnet sich die von den Regenwürmern auf geeignetem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_822.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)