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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 50.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.

Erzählung von 'Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


Am anderen Morgen brachte Jochen fünf Musikanten von Demmin. Sie waren lustig; denn als sie in’s Dorf einfuhren, spielten sie, auf der engen Wagenbank zu einem wahren Knäuel geballt den Großvater-Tanz zum Stein-Erweichen. In der Schänke stiegen sie ab. Und am Nachmittage entwickelte sich auf dem kleinen Dorfteiche das seltsamste Schaustück von der Welt.

Eine spiegelblanke Eisfläche, ein Naturparquet von gefährlicher Glätte; darüber ein wolkenlos blauer Winterhimmel. In der Nähe des Ufers luden die braungestrichenen, verscheuerten Tische und Bänke des Schänkwirthes und eine Anzahl Stühle zu Sitzen ein, während für die Füße durch Legen von Brettern und Roggenstroh gesorgt war. In diesem Ballsaale herrschte eine Temperatur von zehn Grad Kälte und völlige Windstille.

Die Kinder tummelten sich, Tanzversuche anstellend, mit lautem Geschrei auf der weiten Fläche. Neugierige Gruppen Erwachsener, das helle Vergnügen in den Gesichtern, gingen ab und zu, dann aber zog es in hellen Haufen heran, vorweg die Musik, dahinter der Wirth, einen Karren vor sich herschiebend, auf welchem Körbe zahlreiche Flaschen und Gläser bargen Nach ihm trug ein Mann etliche Stangen und einen Kupferkessel ein Zweiter auf der Schulter ein Fäßchen, ein Dritter eine Anzahl Reisigbündel, ein Vierter zwei Eimer voll Wasser. Nun folgte im Festputz die „Compagnie“, umschwärmt von Kindern. In der Nähe des Gutsgartens, wo das Ufer am niedrigsten und der Zugang zum Teiche am bequemsten war, lenkte man ein; der Wirth begann auszupacken, indessen man am Ufer, an einer von Schnee gesäuberten Stelle, den Kessel aufhing, ihn mit Wasser füllte und unter ihm Reisig anzündete. Die fünf Musikanten saßen um ihren Tisch in der Nähe des Wirthsstandes, rieben sich die Hände und bliesen die Backen auf. Dann dudelte die Clarinette ein paar Läufe auf und ab; der Baß rummelte einige Griffe; zwei Blechinstrumente quiekten. Endlich sagte die Pauke: „Bum“. Sie war ihrer Sache sicher. Und nun begann ein Walzer.

Zaghaft sahen die ersten Tritte aus, aber es ging. Ein nie gekanntes Vergnügen!

„Junge Welt ist lustig, sagt das alte Weib und läßt das Kind aus der Wiege hüpfen – da liegt schon ein Paar.“ Es ist gut abgegangen. „Was, das ist ja wohl Zielenzig? Der alte Dämel tanzt auch mit!“

„Ist ‚ne Pracht,‘ sagt Widal ‚macht Platz, meine Tochter kommt‘ – nein, was sich Fieken Stiermann aufgedonnert hat! Die hat ja wohl so viel Bänder hinten als der Regenbogen Farben hat?“

„Da liegen ja wohl sechs auf einander! – ,Siehst Du, siehst Du Vagel, aus der Hast kommst nichts Gutes,’ sagte Eulenspiegel, da ließ er den Senftopf fallen.“

„Ist ’n Spaß, ist ’n Spaß – juh! Lüchting, noch einen in das Glas und ’nen Haufen d’rauf! Heute muß von inwendig Feuer gemacht werden. Na, wenn unser alter Herr kommt, der muß auch mal mittanzen.“

„Was, da kommen ja wohl die Knechte vom Hofe? Das giebt nichts ! Das Vergnügen ist blos für die Compagnie. Wir werden mit unserm Schnaps allein fertig.“

„Oho, andere Leute sind doch auch Leute; unsern Schnaps wollen wir wohl bezahlen“

„Na, laßt sie nur!“

„Lüchting, ist das Wasser noch nicht heiß? Meine Frau will was Warmes trinken.“

„Geduld, sagt Schult. Das kommt all noch.“

Das quiekte, dudelte und brummte; das sprach, schrie und jauchzte durch einander; das drehte sich, fiel und stand wieder auf unter hellem Gelächter. Aus dem Dorfe kam Zuzug; die Compagnie war bald nicht mehr allein. Was nicht am Tanze sich betheiligte, erschien wenigstens zum Zuschauen.

„Ho, unser alter Herr kommt! Unser Herr Baron soll leben und das gnädige Fräulein daneben!“

Aber das gnädige Fräulein war nicht dabei; der Baron hatte allein gehen müssen. Anne-Marie „fror so“ und „hatte Kopfschmerzen“ und saß müde am lodernden Kaminfeuer. Der alte Herr hatte seinen Fuchspelz an und die Pelzmütze auf dem Kopfe; mit Pelzhandschuhen hielt er die qualmende Jagdpfeife, und sein Gesicht war voll ingrimmigen Vergnügens. Er schritt langsam um den Teich herum bis zu dem Wirthsstande, wo die älteren Leute die Mützen abzogen und ihn mit grinsenden Gesichtern erwarteten.

„Nu wie gefällt Euch das, Kinnings?“

„Das soll uns wohl gut däuchten, Herr. Auf die Art halten wir das Arbeiten lange aus.“

„Das habt Ihr auch verdient, indem daß Ihr bei Euerm alten Herrn geblieben seid. Das vergeß’ ich Euch nicht.“

„Nun kommen wir doch wohl nach Amerika, Herr, wenn’s Frühjahr wird?“

„Das müssen wir mal sehen, wie das wird. – Was willst Du denn von mir, mein Döchting?“

Er streichelte dem hübschen Kinde, das von Andern vorgedrängt wurde und endlich couragirt zu ihm trat, väterlich das Kinn.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_825.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)