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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Curt stimmte zu, und der Radmacher brachte am nächsten Morgen günstigen Bescheid.

„Ich habe aber mit meiner Frau Streit gekriegt, Herr,“ setzte er ernst hinzu. „Es will ihr gar nicht in den Kopf, daß unser gnädiges Fräulein aus Pelchow fort soll, und sie hat mir was vorgeweint gestern Abend. Ich habe Ihnen den Gefallen gethan, aber es ist mir schwer geworden.“

Curt wendete sich ein paar Secunden ab; dann drehte er sich finster herum und erwiderte kurz:

„Mein lieber Radmacher, mir ist wahrscheinlich schwerer um’s Herz als Ihnen und Ihrer Frau. Sagen Sie ihr das!“

In der Schulstube des Herrn Mederow ging es am Nachmittage lebhaft her. Was der „junge Herr“ zu reden haben würde, stand leicht zu vermuthen. Der Radmacher war nicht anwesend; nur Herr Mederow bewegte sich zwischen den Leuten, welche erst vereinzelt auf den Schulbänken Platz genommen hatten, und der Schulmeister war ein beredter Anwalt des Administrators. Allein er fand wenig günstiges Gehör. Man erkannte die Tüchtigkeit und den guten Willen Curt’s an, aber es ging doch nichts über den guten alten Herrn. Und das Zauberwort „Amerika“ feite gegen alle Anwandlungen von Furcht und Nachgiebigkeit.

In der Frühlingssonne draußen hielt Curt’s Engländer; Herr Mederow eilte hinaus, um die Zügel zu ergreifen. Drinnen schoben sich die Leute – nur Männer – zwischen die Bänke. Neugierige Gesichter empfingen den Eintretenden und erwiderten auf sein „Guten Tag, Leute!“ in rauhem Atempo.

„Ich habe Euch hierher beschieden, um Euch vor eine Entscheidung zu stellen, Leute. Der erste April naht; bis zu diesem Termin muß ich wissen, wie ich mit Euch daran bin. Ich mache Euch keinen Vorwurf aus dem Vergangenen. Aber so, wie bisher, geht’s nicht weiter. Der Baron, mein Onkel, den Ihr als Euren Herrn anerkennt, verläßt mit dem ersten April Pelchow. Ich habe Euch im Herbst Arbeit verschafft, indem ich einen Theil der Feldfrüchte auf dem Stiel und in der Erde an die nächsten Güter verkauft habe. – Ihr werdet fortan keine Arbeit mehr finden, außer derjenigen, welche ich Euch als Herr biete. Und diese müßt Ihr annehmen, wohlverstanden, wenn Ihr in Pelchow bleiben wollt. Weigert Ihr Euch, so seid Ihr Armenhäusler; arbeitskräftige Armenhäusler aber können zur Arbeit gezwungen werden; also nützt Euch die Weigerung nichts. Widerstrebt Ihr, so werdet Ihr abgeführt und von Polizeiwegen in ein Arbeitshaus unter Bummler und Vagabunden gesteckt.“

„Wir wollen nicht in Pelchow bleiben; wir gehen nach Amerika; unser Herr Baron giebt uns das Geld dazu,“ unterbrach Curt eine Stimme.

„Irrt Euch nicht! Mein Onkel wird Euch das Geld nicht geben, denn er hat es nicht. Fragt ihn darum! Aber bis zum ersten April will ich Eure Entscheidung haben. – Und nun noch Eines: unterwerft Ihr Euch bis dahin freiwillig, so behaltet Ihr Euren Pachtacker und den bisherigen Lohnsatz, auch was Euch sonst früher vom Gute an Vergünstigungen gewährt wurde. Laßt Ihr Euch erst durch Noth und Enttäuschung zwingen, so berechne ich den Schaden, den ich bis dahin durch Eure Hartnäckigkeit gehabt, und ziehe Euch die Summe nach und nach vom Lohn ab, alle anderen Vortheile aber, mit Ausnahme der freien Wohnung, verliert Ihr. Ueberlegt Euch das! Adieu!“

Diesmal folgte ihm nur ein vereinzeltes „Adschüs!“, als er raschen Schrittes vom Katheder stieg und das Zimmer verließ. Noch saß Alles mit langen Gesichtern da, indeß draußen bereits die Hufschläge seines Pferdes sich entfernten, und Keiner hatte recht den Muth, seine Meinung über das Vernommene zuerst zu äußern.

„Das ist ’n Teufelskerl,“ platzte endlich ein alter Mann heraus. „Ja, da müssen wir wohl erst unsern alten Herrn mal fragen, ob uns der auch wirklich das Geld giebt, daß wir nach Amerika fahren. Er muß uns das bis zum ersten April aufweisen.“

Und so lautete auch das Resultat des Hin- und Widerredens, das nun in der Schulstube sich entspann. Die drei Sprecher, welche einst die Lohnzettel vom Baron angenommen hatten, wurden wiederum zu der heiklen Verhandlung mit demselben deputirt.

Der alte Herr empfing seine Getreuen ruhiger, als sie erwartet hatten.

„So ist nun son’ Kerl,“ sagte der Baron, „wenn er sich nicht anders zu helfen weiß, dann geht das auch gegen Gottes Gebot, was doch besagt, daß Eins dem Andern nicht soll sein Gesinde abtrünnig machen. Na, beruhigt Euch nur, Kinnings! Ich habe zwar das Geld auf den Augenblick nicht hier, aber bis dahin will ich Euch das schon noch ausweisen. Ihr könnt wieder kommen – bis aus den Ersten hat das Zeit.“

Er überlegte hin und her. Am späten Nachmittag des letzten Märztages fuhr er mit Jochen nach Branitz. Warum sollte ihm Pannewitz nicht ein paar tausend Thaler vorschießen?

Als es dunkel wurde, saß Anne-Marie von Lebzow am offenen Fenster. Am stahlfarbenen Himmelsgewölbe blinzelten die Sterne; kühl und doch weich wehte die Abendluft um das heiße Gesicht des einsamen jungen Mädchens. Der Bernhardiner, welcher den Winter zumeist im Stalle zugebracht, saß in der Dämmerung zu ihren Füßen und hatte seinen Kopf auf ihr Knie gelegt, und sie streichelte ihn leise mit der Linken, während die Rechte mit dem Taschentuch ihre Wange stützte.

Ihr war bitter weh zu Sinn, und sie weinte. Diese Thränen schienen unversieglich zu sein; wie oft sie das Taschentuch auf die brennenden Augen preßte, immer quollen sie auf’s Neue. Sie starrte verloren in die schweigende Nacht, als suche sie unter den blinzelnden Sternen da draußen den ihren. Wo war er? Sie hatte keinen. Morgen – ach wer das Morgen erst überstanden hätte!

Manchmal grub sie wohl das Gesicht tief in das schimmernde Tuch und schüttelte langsam den Kopf und stöhnte leise. Wenn nur der Onkel nicht so lange bliebe! Diese Einsamkeit war furchtbar.

Es klopfte. Dürten war es; sie kam mit der brennenden Lampe, stellte sie auf den Tisch und ging schweigend hinaus. Anne-Marie hatte sich geflissentlich weiter zum Fenster gebogen, um ihr Gesicht nicht sehen zu lassen.

Minuten vergingen. Der Bernhardiner erhob sich, schritt schwerfällig zum Ofen und legte sich dort nieder.

Es klopfte noch einmal, unvermuthet; die Bewegung des Hundes hatte die nahenden Tritte überhören lassen, und Anne-Marie fuhr heftig zusammen

„Herein!“

Curt von Boddin stand in der Thür, schweren Ernst im Gesicht.

„Verzeihung, gnädiges Fräulein! Noch einmal – –“

Anne-Marie hatte ihn mit geisterhaft großen Augen angestarrt. Nun sprang sie mit abwehrenden Händen empor und stieß einen Schrei aus. Er klang wie der Schrei eines zur Marter Verdammten, der den Folterknecht kommen sieht: verzweifelt, herzzerreißend.

„Nicht – nicht – bleiben Sie draußen, um Gotteswillen gehen Sie! Wenn Sie im Leben oder Sterben eine Gnade hoffen: gehen Sie! Sie tödten mich!“

Sie flüchtete sich mit zitternden Knieen hinter einen Stuhl, den sie wie einen Schild vor sich hielt und dessen Lehne sie stützen mußte; denn sie war dem Umsinken nahe.

Curt von Boddin bewegte die Lippen, als wolle er noch etwas sagen; sein Gesicht war verstört und kreidebleich; nun neigte er stumm den Kopf, machte Kehrt und ging hinaus.

„Für immer, Anne-Marie von Lebzow!“ hörte sie ihn sagen ehe er die Thür schloß.

Für immer! Für immer! Warum? Weshalb hatte sie ihn nicht angehört? Was konnte sie für ihre Nerven, die gequälten, gemarterten die sich gewöhnt hatten, bei dem Gedanken an ihn zur Flucht in alle Winde zu drängen? Ach, und sie liebte ihn doch – sie liebte ihn – und nun sank sie schluchzend vor dem Sopha nieder und legte das Gesicht in das Taschentuch. Sie hatte ihn lieb mit tausend Schmerzen – sehr, sehr lieb.

Eine Weile war es still im Zimmer, still bis auf ihr zuckendes Aufschluchzen; nur dann und wann hörte man einen tiefen Athemzug des Hundes am Ofen. Endlich rasselte draußen ein Wagen, und Anne-Marie erhob sich. Der Baron kam unverrichteter Sache, und in Folge dessen ein wenig verdrießlich heim: er hatte Herrn von Pannewitz nicht zu Hause gefunden. So mußte er denn am nächsten Morgen die Fahrt noch einmal unternehmen. Er betrachtete Anne-Marie mit Besorgniß, fragte auch, plötzlich wieder in Zärtlichkeit umschlagend, was ihr fehle, erhielt aber ausweichende Antwort. Das war ihm ungemüthlich, und er zog sich bald auf sein Zimmer zurück.

Es mochte nach zehn Uhr sein, und Anne-Marie war im

Begriff einzuschlafen, da klang zum ersten Male wieder drüben der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_827.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)