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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

werden wir gewiß über das harmonische Gesetz auf der großen Schaubühne des Lebens staunen.

Im südlichen Afrika, dort, wo die Termiten, „die große Menschenplage beider Indien“, wie sie Linné nannte, ihre wundersamen Kunstbauten errichten, die man ursprünglich für menschliche Werke, für Negerhütten hielt, ist die Heimath unseres Thieres. Wohl giebt es auch in den nördlichen Gegenden des genannten Welttheiles Erdferkel, doch bilden diese eine besondere, wohl zu unterscheidende Art; unser Geschöpf ist ein echtes Kind des Südens. Mit bewundernswürdiger Meisterschaft und Schnelligkeit gräbt es sich auf trockener Ebene, auf Steppen oder in Wäldern dort, wo eben die Ameisen und Termiten die Herrschaft führen, eine große Höhle, in welcher es, verborgen vor der Welt des Tages, fast ununterbrochen, so lange die Sonne am Himmel steht in stumpfsinnigem Brüten verweilt.

Bricht jedoch die Nacht herein, dann wird es wie mit einem Zauberschlag lebendig und beginnt seine verheerenden Raubzüge. Hat es einen Termitenbau entdeckt, so vollführt es in kunstvoller Weise sein Minirwerk, untergräbt den Bau, bis es auf den Haupteingang oder auf einen Nebenweg zu dem Neste geräth, und macht nun von seiner eigenartig gestalteten Zunge Gebrauch. Es steckt nämlich einfach das wurmförmige klebrige Organ in die Oeffnung, läßt es von den zornigen Termiten erfüllt werden, und zieht es dann mit Behagen in den Mund zurück. Diese Manipulation wird so lange wiederholt, bis es sich vollkommen gesättigt hat und der Morgen naht.

Das lichtscheue Thier flieht die Sonne und den Menschen mit unbeschreiblicher Angst und vergräbt sich auch während der Nacht mit rasender Eile in die Erde, sobald es ein verdächtiges Geräusch vernimmt. Doch hat der Jäger es überrascht, dann versucht es sich mit aller Kraft gegen die Wandungen seiner Höhle zu drängen und sich auf diese Weise dem Einfangen zu entziehen. Sein Fleisch ist den Eingeborenen eine Lieblingsspeise und soll im Geschmack dem des Wildschweins überaus ähnlich sein; diesem Umstande verdankt es seinen Namen, und dem Wohlgeschmack seines Fleisches ist es zuzuschreiben, daß es so leidenschaftlich verfolgt wird.

Die Gefangenschaft soll das Erdferkel nicht lange zu ertragen vermögen. Man behauptete dies auch von dem Ameisenbär, und dennoch erfreut sich dieses wunderliche Geschöpf im Zoologischen Garten zu Berlin nun schon seit Jahren der blühendsten Gesundheit. Während jedoch dieser mit sichtlichem Behagen Ameisenpuppen als Surrogat der ihm mangelnden Termiten verspeist, hat das Erdferkel bis jetzt nur Neigung gezeigt, Milch mit Reis und rohe Eier zu genießen. Gegen seinen Wärter beobachtet es ebenso, wie sein struppiger Kumpan, die größte Zurückhaltung; es ist ebenso wie jener gegen Liebkosungen vollständig unempfänglich. Den ganzen Tag liegt es schlaftrunken da und erhebt sich nur dann, wenn es Nahrung wittert oder mit Gewalt aufgerüttelt wird. Doch zur nächtlichen Stunde scheint in ihm die Sehnsucht nach der Freiheit und den heimischen Gefilden wach zu werden, dann ist es in steter Bewegung und scharrt und kratzt, als ob es gelte eine Termitenveste zu erobern.

Obwohl die geistigen Fähigkeiten des Erdferkels ungemein beschränkt sind, was auch aus den geringen Windungen seines Gehirns hervorgeht, so soll es in der Freiheit doch seinen Sprößlingen gegenüber eine rührende mütterliche Liebe offenbaren und sie eine geraume Zeit hindurch mit ganzer Hingebung pflegen und beschützen.

Paul Hirschfeld.




Deutsche Pioniere im Osten.

Eine culturhistorische Skizze von G. Nentwig.

Es ist eine alte Erfahrung im Völkerleben, ein unumstößliches Naturgesetz, daß überall da, wo zwei Völker innerhalb eines Landes sich mit einander vermischen, das Volk von höherer Cultur das untergeordnete mit sich verschmilzt. Still und langsam, den Zeitgenossen kaum wahrnehmbar, vollziehen sich derartige Wandelungen, und erst die Geschichte von Jahrhunderten zeigt sie dem erstaunten Blicke des Beobachters oder Forschers.

Schauen wir sieben Jahrhunderte zurück, so finden wir das Land östlich der Elbe noch in den Händen der Slaven und erfahren zugleich, daß in jener Zeit die ersten Versuche gemacht wurden, Deutsche als Pioniere der Cultur, der Intelligenz und des Gewerbefleißes an der Oder (und später auch an der Weichsel) anzusiedeln. Denken wir nur an den Bienenfleiß des einst so großen und mächtigen Ritterordens, welcher mit zäher Ausdauer jene weitgedehnten Gebiete an der Ostsee germanisirte und dort deutsche Sitte, deutsche Cultur und deutsches Recht einführte!

Schlesien war um das Jahr 1200 noch eine Provinz des mächtigen Königreichs Polen, und seine Bevölkerung bestand überwiegend aus Slaven. Erst im dreizehnten Jahrhundert traten deutsche Colonisten in das so reich gesegnete Land ein.

Durch diese deutschen Colonien kam germanisches Blut und germanische Cultur in’s Land, und gingen auch viele derselben in den Jahrhunderte langen Kämpfen um den Besitz Schlesiens wieder unter oder nahmen ihre Bewohner slavisches Wesen und die sogenannte wasserpolnische Sprache an, welche ein Gemisch des polnischen Idioms mit deutschen Anklängen ist, so hielt doch im Großen und Ganzen diese Kraft sich aufrecht und drängte das slavische Element unaufhaltsam zurück. Als Beweis dafür sei nur die interessante Thatsache angeführt, daß in denjenigen Kreisen Ober- und Mittelschlesiens, welche die Grenze der slavischen Districte bilden, die Großeltern vieler Familien nur der polnischen Sprache mächtig sind, während die Enkel nur noch deutsch sprechen. –

Heutigen Tages wird ungefähr der fünfte Theil der Bevölkerung Schlesiens (circa 20 Procent) aus Polen gebildet, und zwar ist es der Regierungsbezirk Oppeln, also Oberschlesien hauptsächlich, wo sie auf dem platten Lande überwiegen. So machen sie, rund 750,000 Seelen zählend, im Osten der Oder reichlich drei Viertel der Bevölkerung aus und bilden fast ausschließlich die Landbevölkerung. Hier in den Kreisen Oppeln, Groß-Strehlitz, Lublinitz, Beuthen, Pleß, Rybnik, Gleiwitz etc., sehen wir denn auch an den viel niederen Erträgen des Landbaues den Unterschied zwischen slavischen Gewohnheiten und deutschem Fleiße hervortreten.

Die Lage des polnischen Landmanns war bis zur Emancipation desselben – der Aufhebung der Leibeigenschaft und später[WS 1] des Robothdienstes – materiell wie rechtlich äußerst kläglich: die slavischen Bauern waren Leibeigene des Grundherrn und bebauten den Acker des Adels und der Geistlichkeit, in deren Händen sich der gesammte Grundbesitz befand. Enorm waren die Anforderungen, die man an sie stellte, fast unerschwinglich, was sie an Naturalabgaben, an Wacht-, Spann- und Handdiensten etc. dem Gutsbesitzer und dem Landesherrn zu leisten hatten, wozu dann noch der Zehnte an den Clerus kam. Es blieb in der That dem Landmann nur das nackte, elendeste Dasein übrig – das tägliche Schwarzbrod mit saurer Milch bildete seine Hauptnahrung. – Geistig blieb er auf der niedrigsten Stufe der Civilisation stehen, und der katholische Clerus sorgt hier auch heutigen Tages noch für die Verwirklichung der alten Maxime: „Selig sind die Einfältigen; denn nur sie – gehorchen mir.“

Die Leibeigenschaft wurde im Anfang dieses Jahrhunderts aufgehoben, und 1848 folgte die Aufhebung des Roboths. Der Bauer wur also nun endlich frei auf seiner Scholle. Jahrhunderte lange Knechtschaft aber, der gänzliche Mangel an Geistesbildung, die despotische Gewalt, welche der Clerus über den durchweg der katholischen Religion angehörenden polnischen Bauern sich zu erhalten verstand – all dies ließ den gemeinen Mann jener Gegenden den Werth der Freiheit nicht erkennen und hielt ihn in der physischen wie psychischen Versumpfung, die uns in diesen Bezirken so unverkennbar entgegeutritt.

Um gerecht zu sein, müssen wir freilich hinzufügen, daß die genannten Kreise denjenigen Theil Oberschlesiens auf der rechten Oderuferseite bilden, welcher den unfruchtbarsten Boden enthält: Sand, überwiegend Sand, und schweren, zähen, kalten Letteboden. Aber auch dort, wo der Boden dankbarer ist, wie in einzelnen Districten der Kreise Ratibor, Oppeln, Pleß und Gleiwitz – auch da verleugnen sich die genannten Uebel nicht; auch dort ist die landwirthschaftliche Cultur sehr zurückgeblieben.

Der Typus des oberschlesisch-polnischen Landmanns, der meist noch in der polnischen Nationaltracht einhergeht, ist ein charakteristischer,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: spater
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_830.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)