Seite:Die Gartenlaube (1881) 832.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Ihre Tracht ist bis heutigen Tages die altsächsische: die Männer gehen in kurzen Jacken, langen Tuchmänteln und niedrigen Filzhüten einher. Mäntel tragen sie natürlich nur zum Kirchgange, zu Festlichkeiten und bei Besuchen der Stadt dann aber selbst im heißesten Sommer. Frauen und Mädchen kleiden sich in kurzen blaue Röcke, welche bis zur halben Wade die rothen Strümpfe sichtbar lassen, über den Rock fällt eine lange Jacke, und große, schneeweiße Tücher, oft reich gestickt, hüllen Kopf und Schultern ein.

Nach dem Dreißigjährigen Kriege, welcher auch über jene Gegenden Verheerung und Noth brachte, verlegten sich die rührigen, arbeitsamen Schönwälder auf das Fuhrwesen, weil ihre Aecker wüst und brach lagen und der wieder aufblühende Handel dieses Geschäft sehr lucrativ machte. Sie dehnten ihre Touren östlich bis Kerms, Krakau, Warschau, Lemberg und bis nach Ungarn hinein, westlich bis Breslau, Frankfurt an der Oder und Sachsen aus. Einzelne Bauern hielten sich damals dreißig bis vierzig Pferde und verdienten viel Geld mit diesem Fuhrwesen. Dagegen ward in jener Periode die Landwirthschaft sehr vernachlässigt, welche erst später sich wieder hob.

Bis 1810 – dem Jahre der Aufhebung der Klöster in Preußen – blieb das Kloster Rauden der Grundherr des deutschen Dorfes, worauf dieses in den Besitz des Kurfürsten von Hessen-Kassel, darauf 1820 des Landgrafen von Hessen und endlich 1834 in den Besitz des Herzogs Victor von Ratibor gelangtes.

Wie groß die Zähl der ursprünglichen Ansiedler war, ist nicht mehr zu ersehen. Die älteste Urkunde aus dem Jahre 1534 weist neunundvierzig zinspflichtige Stellen auf. Auf den zum Klosterbesitz gehörenden zwei herrschaftlichen Vorwerken dienten in früherer Zeit nur polnisches Gesinde und polnische Tagelöhner, die aber vielfach als Colonisten der Gemeinde sich anschlossen und deutsches Wesen annahmen. Daher neben den überwiegend altdeutschen Namen der Bewohner die polnischen.

Der wachsende Wohlstand – gestattete auch den fleißigen Bauern, die Dominialländereien ihrer Gemeinde aufzukaufen, ebenso das benachbarte, am Ende des vorigen Jahrzehnts von seinem Besitzer dismembrirte große Rittergut Nieborowitz zum größten Theil zu erwerben. Die über fünfhundert Familien und nahezu dreitausend Seelen zählende Gemeinde besitzt also eine sehr große Feldmark, welche ohne jene Nieborowitzer Dominialäcker schon 1864 über neuntausend Magdeburger Morgen umfaßte und seitdem durch neue Ankäufe noch bedeutend gewachsen ist. Weder Staats- noch andere Hülfe hat zu diesem Aufblühen beigetragen. Aus eigener Kraft hat hier der aller Trägheit und Trunksucht abholde Fleiß des deutschen Bauern, umgeben von den schlimmsten Beispielen, ein Gemeinwesen geschaffen und erhalten, das schon äußerlich, schon in seinen Hofbauten den erquickenden Eindruck der Ordnung der Reinlichkeit, des Behagens und großen Wohlstandes macht. Die Schönwälder lieben es denn auch, bei festlichen Gelegenheiten den armen polnischen Nachbarorten ihren Reichthum zu zeigen. Mag ihnen dies hier und da einen gerechten Tadel zugezogen haben, so wird doch kein unbefangner Betrachter dieses großen und reichen Dorfes bestreiten, daß seine Bewohner eines der eclatantesten Beispiele von der Macht höherer Cultur, daß sie in Wahrheit „deutsche Pioniere im Osten Deutschlands“’ sind.




Der Zweifler.

Von Friedrich Bodenstedt.[1]

Ein Mann, der lange zu den gläubigst Frommen
Gehört, gerieth in zweifelndes Gewirre.
Des Grübelns Geist war über ihn gekommen;
Die Wunder machten ihn am Glauben irre.

5
In seiner Noth kam er zu einem Greise,

Der hoch im Ruf der Weisheit stand beim Volke
Und um sich zog lichthelle Lebenskreise,
Die nie verdunkelt eines Zweifels Wolke.

Der sprach: „Die größten Wunder, die ich kenne,

10
Steh’n nicht geschrieben und sind keine Sage;

Im Ei legt mir ein Wunder jede Henne;
In jedem Grashalm tritt mir eins zu Tage.

Hier duftet der Jasmin, dort der Hollunder;
Im Lichte tanzt der Mücken bunt Gewimmel;

15
Staub wirbelt auf, und Alles ist voll Wunder

Auf Erden, wie die Sterne dort am Himmel.

In diesem Steine schlummert noch das Leben –
Er ward aus Staub: mach’ ihn auf’s neu zu Staube,
Und Nahrung wird er jeder Blume geben

20
Im Felde und im Weinberg jeder Traube.


Wer gab der Rose Gluth und Duft zu eigen
Und des Gewebes wundervolle Feinheit?
Wer ließ aus schwarzer Erde Lilien steigen,
So weiß wie Schnee in ihrer heil’gen Reinheit?

25
Der Stein kann sich nicht über sich erheben;

An ihre Wurzeln bleibt gebannt die Pflanze –
Der Mensch nur kann im Geist zum Lichte streben,
Erkennt sein Blick im kleinsten Theil das Ganze.

Und du magst zweifelnd noch nach Wundern fragen?

30
Sie athmen aus des Lebens Kern und Wesen;

Das Buch der Welt liegt Jedem aufgeschlagen,
Doch Wen’ge nur versteh’n darin zu lesen.




Zur Literaturgeschichte des Neuen Testaments.

Von Dr. Kalthoff.


II.
Die Entstehung des Katholicismus.

Motto:

„Ich seh’s, der wunderbare Mutterschooß
Des menschlichen Gemüths ist nicht erschöpft.
Zerfällt in Staub die abgelebte Welt,
Das Menschenherz gebiert sie ewig neu.“

Rob. Hamerling, Ahasver in Rom.

Jenseits des Oceans giebt es noch Urwälder, die von der menschlichen Cultur bis jetzt nicht urbar gemacht worden sind. Wenn der Fuß des Wanderers in dieselben eindringen will, so muß er sich erst mit der Axt den Weg bahnen, den ihm Schlinggewächse und üppig wucherndes Gehölz zu versperren sucht. Bei dem Schlage der Axt wird unheimliches Gethier emporgescheucht, das den kühnen Eindringling ächzend und krächzend umschwärmt, um ihn in seinem Unterfangen zu stören.

In ähnlicher Lage, wie ein solcher Wanderer, befand sich die Theologie, als sie bei ihren Untersuchungen an die Evangelienschriften des Neuen Testaments gelangte. Ein undurchdringlich erscheinendes Gewirr von Sagen und Legenden, von traditionellen Vorurtheilen und dogmatischen Anschauungen trat ihr entgegen, verworrene Schlinggewächse, die jeden Durchblick hemmten. Da nahm die Wissenschaft ihre Axt, um sich den Weg durch diesen Urwald zu bahnen. Aber bei jedem Schlage krochen die Kirchenmänner aus ihren Schlupfwinkeln vor, schreiend und polternd, daß man sie in ihrer Ruhe störe. Indeß die Wissenschaft ließ sich nicht beirren. Sie ist unter unsäglichen Mühen in das Dickicht eingedrungen, und wenn dasselbe heute auch noch keineswegs vollständig

gelichtet ist, so ist es doch möglich, ein wenigstens in den

  1. Aus der soeben zur Ausgabe gelangten Sammlung: „Aus Morgenland und Abendland“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) in welcher der berühmte Dichter zum ersten Mal neben dem Orient auch die Neue Welt in das Gebiet seiner poetischen Betrachtung zieht. Außer der hier wiedergegebenen Probe sind als Perlen der Sammlung gerade diejenigen Gedichte zu bezeichnen, zu welchen des Dichters Reise in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Anregung gegeben hat. Möge diese neueste Frucht vom Baume Bodenstedt’scher Poesie in allen Kreisen des deutschen Lesepublicums dasjenige freundliche Entgegenkommen finden, welches sie vermöge ihrer reinen und edlen Natur unbedingt beanspruchen darf!
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_832.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)