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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Land und Leute.
Nr. 46. Wanderungen durch Bulgarien.
Von A. C. Wiesner.

Bulgarien, welches in der Jüngstzeit wieder in den Vordergrund der Tagesereignisse getreten, ist fast noch immer ein halbunbekanntes Land – um so interessanter ein Blick auf bulgarisches Land und bulgarische Leute.

Ueberaus anregend ist die Reise in dieses entlegene Ländergebiet auf einem der großen Donaudampfer, die mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet sind. Nachdem man das „Eiserne Thor“ passirt, beginnt die Uferlandschaft sich allmählich zu verändern. Zur Rechten des gewaltigen Stromes steigt das Land, oftmals in beträchtlicher Höhe, steil empor, während das linke rumänische Ufer sandig und völlig flach ist. Hier beginnt die große, endlose Ebene, die an schönen Sommertagen im blauen Duft der Ferne verschwimmt und nur durch vereinzelte Baumgruppen und Grenzwächterhütten unterbrochen wird. Die Donau durchströmt nun in mehreren großen Krümmungen das Land.

Inzwischen hat sich das Verdeck des Dampfers von den bereits zurückgelegten Uferstationen immer mehr mit interessanten Gestalten und Typen gefüllt, welche in der sonderbarsten Mischung Occident und Orient vertreten. Die Türken drücken sich stumm und theilnahmslos in eine Ecke, während die lebhaften Serben, Rumänen und Bulgaren sich laut und zwanglos unterhalten. Man hört hier alle Sprachen der osteuropäischen Völkermischung: Ungarisch, Serbisch, Rumänisch, Bulgarisch und Türkisch. Es pflegt auch nicht an deutschen, englischen, italienischen und russischen Reisenden zu mangeln, die, falls sie diese Fahrt zum ersten Male unternehmen, mit Interesse und Verwunderung auf ihre Umgebung blicken.

Die Donau beschreibt nun abermals einen Bogen hinter dem alsbald hohe, schlanke Minarets und die Stadt Rustschuk sichtbar werden. Wie alle orientalischen Städte, scheint Rustschuk durch die zerstreuten Häusergruppen und die dazwischen liegenden Gärten eine viel größere Ausdehnung zu haben, als es in Wirklichkeit hat. Nachdem wir uns mit der bulgarischen Zollrevision abgefunden, wobei noch, eigenthümlich genug, an der türkischen Ueberlieferung „Bakschisch“ (Trinkgeld) festgehalten wird, betreten wir das Innere der Stadt. In den engen, halbdunklen Straßen geht es überaus lebhaft her. Die Ladenbesitzer in den kleinen, zumeist ein Stockwerk hohen Häusern, sowie umherwandernde Verkäufer bieten uns alle möglichen Waaren an. Dazwischen drängen sich Obst- und Gemüsehändler, Fuhrwecke mit knarrenden Rädern, Reiter, russische Officiere, bulgarische Soldaten und allerlei Volk in charakteristischer, buntfarbiger Tracht. Von der Straße gelangen wir auf einen großen Platz, wo wir mehrere Zoll tief im Staube versinken. Jeder Reiter oder Wagen wirbelt deshalb förmliche Samumwolken auf, die das Athmen erschweren, die Einheimischen aber kaum zu belästigen scheinen.

Der Glockenthurm der Hauptkirche in Sofia
Originalzeichnung von J. J. Kirchner.

Ein Ziehbrunnen in der Mitte des Platzes, sowie ein neues Café nach europäischer Art sind hier die Hauptdecorationen. Vor dem Café, dessen Veranda von russischen und bulgarischen Officieren sowie Rustschuker Honoratioren gefüllt ist, singt ein bulgarischer Rhapsode, von einer lauschenden Volksgruppe umgeben, seine Heldenlieder, sie mit der Gusla begleitend, dem uralten musikalischen Instrumente sämmtlicher Südslaven.

In der Nähe des Platzes befindet sich eine Moschee, die durch den jüngsten Krieg arg gelitten hat. Auch eine ganze Häusergruppe in der Nachbarschaft ist durch die Geschosse in eine große Ruine verwandelt worden.

Der Landweg von Rustschuk nach der alten Bulgarenhauptstadt Tirnowo, den man entweder im Wagen oder zu Pferde zurücklegen kann, ist in landschaftlicher oder sonstiger Beziehung weniger bemerkernswerth. Erst nachdem man die hohen, imposanten Berge der Samowodakette im Angesichte hat, weicht die bisherige Einförmigkeit der Landschaft einem überaus anziehenden Gebirgscharakter. Zu beiden Seiten der Straße erheben sich hohe, zumeist mit üppigen Eichen oder anderem Laubgehölz bedeckte Bergrücken, von deren Gipfeln ab und zu schmucke Klöster oder die Trümmer einstiger Befestigungen in das Thal blicken. Aus den Schluchten stürzen über Felsen und Gerölle schäumende Gießbäche, um sich mit der Jantra zu vereinigen, welche uns später bis Tirnowo das Geleite giebt. Die Straße fährt nun nach einem engen bewaldeten Bergkessel, in dem die alte Bulgarenhauptstadt in überaus malerischer Lage amphitheatralisch emporsteigt. Der Ausblick von Tirnowo auf die Ausläufer des Balkangebirges und dieses selbst kann unbedingt prachtvoll genannt werden. Auch die Vegetation in der Umgebung der Stadt ist eine überaus üppige, kurz, Tirnowo darf ohne Widerrede als einer der schönsten landschaftlichen Punkte Bulgariens gelten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_848.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)