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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Petrus, ja dem Stifter der christlichen Religion selber andere Züge geben müssen, als sie in der Wirklichkeit hatten. So hatte die Kirche schon gezeigt, daß sie bei ihrer Auffassung des Katholicismus den Reichthum individueller Gestaltungen nicht in sich zu ertragen vermöge. Die Einförmigkeit der Lehrmeinungen war an die Stelle der im Urchristenthum vorhandenen lebensvollen Einheit des Geistes getreten. In denjenigen neutestamentlichen Schriften, die noch später als das Johannes-Evangelium oder höchstens mit ihm gleichzeitig entstanden sind, den sogenannten Pastoralbriefen (den beiden an Timotheus und dem an Titus) tritt deshalb die Sorge für die eine rechte und heilsame Lehrmeinung in den Vordergrund. Was hatte Jesus von einer Einheit der Lehre gewußt! Die von der Orthodoxie der Schriftgelehrten ausgestoßenen Ketzer, die Samariter, die Zöllner, die sich mit heidnischer Berührung befleckt hatten – das war ja sein liebstes Publicum gewesen. Nicht die reine Lehre, sondern das reine Herz gab den Ausschlag. Das war jetzt anders geworden. „Ein jeglicher Geist, der nicht bekennt, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist der Geist des Widerchrists,“ so heißt es nun in dem ersten der sogenannten Johannes-Briefe. Die Religion war katholische Theologie, eine bestimmte, alleinseligmachende Bekenntnißweise geworden.

Wahrlich, ein theurer Preis! Doch was hilft es uns, heute um den Preis zu rechten! Was geschichtlich geworden ist, das ist auch kraft innerer Nothwendigkeit geworden. Und der Preis ist gar nicht einmal zu theuer, wenn er uns, den nachgeborenen Geschlechtern, wenigstens die Einsicht verschafft, daß eine solche Einheit, die nur entstehen kann auf Kosten der Wahrheit, der Freiheit, der lebendigen Mannigfaltigkeit, weder der Religion, noch der Kirche angemessen ist.

Das Neue Testament ist ja nicht nur ein Erzeugniß des Katholicismus. Es ist ebenso sehr auch ein wesentlicher Factor bei der Entstehung des Protestantismus; denn es enthält nicht nur die ersten Ansätze zu einer Versteinerung der Religion zum Dogma, sondern ebenso wohl die unaustilgbaren Spuren eines freien, innerlichen religiösen Lebens. Lernen wir die Schlacken vom edlen Golde unterscheiden, damit wir nicht thörichter Weise Beides mit einander verwerfen!

Wenn die Kirche die alten Urkunden ihrer Religion jedem ihrer Glieder mit der Aufforderung in die Hand giebt, frei darin zu forschen, zu prüfen und nur das Gute zu behalten, wird auch das Neue Testament, anstatt eine Fessel für den denkenden Menschengeist zu sein, ein Sporn für den Wahrheitsdrang, eine Quelle der Belehrung und Erbauung, ein Mittel zur Belebung der Religiosität werden.




Blätter und Blüthen.

Ilmenauer Goethe-Erinnerungen. Von den Reliquien, welche in der Umgegend Ilmenaus an Goethe und die frohen Tage der Genie-Periode erinnern, ist bekanntlich die interessanteste, das Goethe-Häuschen auf dem Kickelhahn, durch Unvorsichtigkeit von Beerensuchern, die darin übernachtet hatten, am 12. August 1870 vom Brande vernichtet worden. Am Morgen nach der Katastrophe stand ich an den wüsten, rauchenden Trümmern des Häuschens und suchte das Holz, auf welches Goethe am 7. September 1783 sein innig wehmüthiges Lied „Ueber allen Gipfeln ist Ruh’ etc.“ geschrieben hatte, zu retten. Leider war es mit vernichtet worden. Aber ein Bild des alten Bretterhäuschens, sowie eine Photographie des Goethe’schen Gedichtes existirte noch, und nach diesen Bildern ist auf Betrieb und unter Mitwirkung zahlreicher Goethe-Verehrer, vor Allem unseres hierfür begeisterten Ernst Keil, auf der alten Grundmauer das neue Häuschen als getreue Nachbildung des alten entstanden. Wenn auch das ringsum aufgewachsene Holz die Fernsicht über die Gipfel des Thüringer Waldes unmöglich macht, bietet doch der Aufenthalt in dem bescheiden kleinen Raume noch jetzt jene Stimmung, wie das am ursprünglichen Platze neben einem Fenster wieder angebrachte Gedicht unseres großen Dichters sie athmet.

Unfern davon, an dem Wege nach dem schönen Manebacher Grunde, ragt, aus üppig grüner Fichtenwaldung sich imposant erhebend, der große Hermannstein, eine zweite Erinnerung an Goethe. Schon im ersten Sommer seines weimarischen Lebens, am 19. Juli 1776, weilte er, von Manebach kommend, am Hermannstein. Am 22. Juli bestieg er ihn abermals und erklomm auch die kleine, in dem mächtigen Porphyrfelsen befindliche Höhle. In ihrer romantischen Waldeinsamkeit gefiel sie ihm ausnehmend; sie war „sein geliebter Aufenthalt, wo er wohnen und bleiben möchte“, und von dieser Höhle aus schrieb er an Frau von Stein:

„Wenn Du nur einmal hier sein könntest! Es ist über alle Beschreibung und Zeichnung. – Es bleibt ewig wahr: sich zu beschränken, einen Gegenstand, wenige Gegenstände recht bedürfen, sie auch recht lieben, an ihnen hängen, sie auf alle Seiten wenden, mit ihnen vereinigt werden, das macht den Dichter, den Künstler – den Menschen.“

Am 5. August traf dann auch Frau von Stein in Ilmenau ein, und schon am folgenden Tage führte er sie an seinen Lieblingsplatz, zum Hermannstein und in die Höhle. Ueber ihren Aufenthalt dort schrieb er am 8. August: „Wenn ich so denke, daß sie mit in meiner Höhle war, daß ich ihre Hand hielt, indeß sie sich bückte und ein Zeichen in den Staub schrieb – es ist wie in der Geisterwelt.“

Nach ihrer Abreise war er am 8. August wieder auf dem Hermannstein; er zeichnete die Höhle und grub zur Erinnerung an die Stunde vom 6. August ein S in den Felsen. An der Wand, dem Eingange gegenüber, war dieses S als eine interessante Goethe-Erinnerung noch vor Kurzem zu sehen. Neuerdings ist dasselbe aber von frevelhafter Hand (die nicht bedachte, daß solche Reliquie eben nur an diesem Orte und in dieser Umgebung eine Bedeutung haben kann) abgestemmt und entwendet worden. Doch die alte Bank in der jetzt durch Stufen bequem zugänglich gemachten Höhle ist noch geblieben, und am Eingang zu letzterer ist (dem Vernehmen nach auf Anregung des Herrn Bergmeisters Mahr in Ilmenau) eine Erztafel angebracht, mit den schönen Goethe’schen Versen:

„Was ich leugnend gestehe und offenbarend verberge,
Ist mir das einzige Wohl, bleibt mir ein reichlicher Schatz.
Ich vertrau es dem Felsen, damit der Einsame rathe,
Was in der Einsamkeit mich, was in der Welt mich beglückt.“

So ehrte Ilmenau unsern großen Dichter, es hat ihm aber nicht nur da oben aus der waldigen Höhe an „seiner“ Höhle ein Erinnerungszeichen, sondern jetzt auch in nächster Nähe der Stadt ein einfach-schönes Denkmal gestiftet. Es ist das Werk des Ilmenauer Verschönerungsvereins und vor Allem des Herrn Oberamtsrichters Schwanitz in Ilmenau, der – als Vorsitzender des genannten Vereins – um die Verschönerung der Ilmenauer Umgegend sich hohe Verdienste erworben hat. Der Ertrag einer sinnigen Gedächtnißfeier, welche in Ilmenau zu Ehren der großen Künstlerin Corona Schröter an dem Tage stattfand, als an der Stätte ihrer Wohnung und ihres Todes eine Gedenktafel angebracht wurde, ist zu dem Denkmal für den Dichter mit verwendet worden. Am Eingänge zum idyllischen Manebacher Grunde, rechts oberhalb des „Pindar-Brunnens“, wurde ein „Goethe-Platz“ angelegt; aus dem Felsen rauscht ein frischer Brunnen, und über diesem Brunnen ist ein nach der Rauch’schen Büste meisterhaft gefertigtes, großes bronzenes Portraitmedaillon Goethe’s in den Felsen eingefügt. Ruhebänke gegenüber, links und rechts, laden zur stillen Betrachtung ein. Es war ein schöner, heller Tag, als ich den von duftigem Grün umgebenen Platz betrat und mich dem Eindrücke hingab, den das ebenso schöne wie einfache Denkmal auf jedes Herz üben muß. Medaillon und Brunnen waren mit frischen Kränzen geschmückt; in den Büschen und Bäumen rauschte es; von dem Felsen schauten die markigen, genialen Züge Goethe’s, und durch die Seele gingen mir Schiller’s köstliche Verse:

„Selig, welchen die Götter, die gnädigen, vor der Geburt schon
Liebten, welchen als Kind Venus im Arme gewiegt,
Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset,
Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stirne gedrückt!“

Robert Keil.




Die Anwendung der sogenannten Leuchtfarben, über welche wir im vorigen Jahrgange wiederholt (S. 10 und 544) berichtet haben, tritt immer mehr aus dem Kreise der Spielereien heraus in’s Praktische Leben. Sie lassen sich in zwei Hauptgruppen theilen, je nachdem bestimmte Gegenstände bei stockfinsterer Nacht selbstleuchtend gemacht werden, oder ausgedehntere, derartig bestrichene Flächen zur Erleuchtung ganzer Räume dienen sollen. Zu der ersteren Gruppe der selbstleuchtenden Gegenstände gehören Hausgeräthe und Einrichtungen: die leuchtenden Schlüsselloch-Umrahmungen, Feuerzeugbehälter, Leuchter, Stiefelknechte etc.

Alle diese Gegenstände erfordern aber, um wirklich ihrem Zwecke zu genügen, gewisse Vorbedingungen, als z. B. daß sie vorher genügend vom Tageslichte getroffen werden und daß es an dem Orte, wo sie des Nachts leuchten sollen, auch wirklich hinreichend finster sei. So haben sich dem Vernehmen nach die leuchtenden Pferdebahn-Aufschriften, die auf einer Berliner Linie versuchsweise eingeführt worden waren, gar nicht bewährt, weil es eben auf den Berliner Straßen dazu nicht finster genug ist.

Ganz praktisch dürften dagegen die leuchtenden Rettungsbojen sein, die sich den des Nachts auf Schiffen in Gefahr befindlichen Personen dauernd sichtbar machen sollen. Ueber ihren Werth und über sonstige Anwendungen der leuchtenden Farben für Schifffahrtszwecke sucht unter Anderen auch die Swinemünder Hafenbaudirection zur Zeit Erfahrungen zu sammeln. Einen originellen, wenn auch nicht gerade künstlerischen Effect machen die von der Thonwaarenfabrik Seegerhall in der Neumark hergestellten leuchtenden Büsten, Statuen und Statuetten. Sie leuchten zwar recht schön und sind wetterbeständig, aber da die Wirkung eines plastischen Kunstwerkes ohne Schatten keine vollständige sein kann, und hier Alles Licht ist, so sind die Züge einer solchen Büste kaum zu erkennen, und man gewahrt in geringer Entfernung nicht viel mehr als eine unbestimmte Lichtmasse von der ungefähren Gestalt einer menschlichen Büste. Es soll nicht geleugnet werden, daß eine derartig leuchtende Statue in einer Grotte oder einem dunklen Gartenbosquet eine ganz überraschende Wirkung erzielen kann, indessen immerhin keine künstlerische.

Viel weniger Bedeutung und Zukunft können wir der Idee einer

Zeitschrift mit leuchtenden Schriftzügen für Nachtlectüre, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_854.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)