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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

saß er und zeichnete und wäre gern ein Baumeister geworden. Weil aber sein Vater das sauererworbene Geld zum Studium nicht hergeben wollte, so ward er, vielleicht aus Trotz, ein Zimmermann. Und mit seinem Herzen war’s fast ebenso wie mit dem Kopfe. Er hätte allerorten die reichste Bürgerstochter haben können; denn er ging stolz aufrecht wie ein Gardist und sah im Gesichte aus wie Milch und Blut. Und doch hatte er sein Herz einem blutarmen Mädchen geschenkt, der braven Eva, die sich und ihr altersschwaches Mütterchen kümmerlich von ihrer Hände Arbeit ernährte. Freilich sahen die Beiden aus wie das erste gotterschaffene Menschenpaar, wenn sie so bei einander standen – schön, frisch, gesund und fröhlich. Es war eine Lust, sie anzuschauen.

Aber der Meister sträubte sich mit Hand und Fuß und wollte die ungleiche Heirath nicht zugeben. Allein der Kopf des Jungen war nicht minder hart, als der des Alten. Er erklärte rund weg, nicht von seinem Evchen lassen zu wollen; sein Arm sei ebenso stark und fest wie sein Muth; darum koste es was es wolle – selbst das Erbtheil!

Ganz so schlimm ward’s glücklicher Weise freilich nicht. Der Alte gab dem Sohne auf Zureden der Mutter, mit der’s dazumal gerade zum Sterben ging, ein kleines Capital zum Anfang. Damit war er abgefunden.

Inzwischen war der zweite Sohn des Alten, der jetzige Meister, auch zum Manne herangewachsen. Er, der bis jetzt immer in der Backstube gesteckt hatte, war nun plötzlich Hahn im Korbe – um so mehr, als er wirklich bald dem Vater die Schwiegertochter zuführte, mit deren Mitgift das eigene Capital ergänzt und die Mehl– und Schmeergrube erworben werden konnte.

Der Wilhelm und das Evchen aber durften dem Alten nicht „unter die Augen kommen“ – so hatte er ihnen beim Abschiede erklärt – über das eigene Herz hinaus! Aber der böse Tod wartet leider nicht, bis wir uns eines Andern, Bessern besonnen haben; er nimmt am liebsten aus vollem Leben heraus – auch das Lebenslicht des starken Bäckermeisters erlosch plötzlich, unter einem einzigen Hauch! So kam es, daß der immer noch helllodernde Zorn des Vaters gegen den ältern Sohn den jüngern um so weicher bettete. Der Wilhelm war wirklich durch das Testament mit dem abbezahlten Pflichtteil abgefunden worden, so nöthig er jetzt pecuniäre Hülfe im Geschäft gehabt hätte; denn dem jungen Ehepaare dort draußen, weit in der Vorstadt, fehlte es an Allem, am Gelde und am Segen. Die Projecte des jungen Bauunternehmers gediehen nicht, und von den Kindern, die ihm Evchen geschenkt hatte, blieb ein einziges am Leben.

Es war kein geringer Triumph für den jungen Meister, als ihn der früher tausendmal beneidete Bruder um Hülfe – oder Gerechtigkeit, wie er sagte – ansprach, und natürlich war derselbe nicht Thor genug, sich die kaum gefüllten Taschen zu erleichtern. Da hielt sich der Wilhelm nicht mehr; es gab bitterböse Worte von Betrug und Erbschleicherei, und im Groll schieden die beiden Brüder, um sich niemals wiederzusehen; denn das einmal siedende Blut des ältern Bruders trieb diesen plötzlich fort, weit in die Welt hinaus. Er wollte anderwärts ein neues Haus gründen und neues besseres Glück suchen.

Ob er’s ernstlich gesucht? Es ist möglich – gefunden aber hat er’s sicher nicht.

Schon nach einem Jahre tauchte ein Gerücht auf, daß der Wilhelm Klauer, der Bruder des reichen Bäckermeisters an der Marktecke, an den Folgen eines Sturzes vom Baugerüst gestorben sei. Draußen im Laden wurde es von den klatschmäuligen Kundinnen nach allen Seiten hin besprochen, und auf die Weise erreichte es auch das Ohr des Meisters. Etwas Genaueres wußte aber Niemand zu sagen; auch von Weib und Kind schien jede Spur verweht, und der von unvergessenem wildem Groll erfüllte Bruder war der Letzte, sich um sie zu kümmern.

Darüber ist nun auch schon wieder ein halb Mandel Jahre hingegangen, und der Grund des Hauses festete sich unter den jungen Leuten jährlich mehr – wo Tauben sind, fliegen Tauben zu. Selbst die Ehre ist zuweilen käuflich, wenigstens das, was die Leute gewöhnlich so nennen. Wenn der Meister in der Bierstube zu dem Bekanntenkreis trat, so wurde er halb im Spaß, halb im Ernst „Herr Stadtvertrockneter“ angeredet. Dazu war er Mitglied und Vorstand verschiedener Vereine, und seit Kurzem sogar Kirchenrath, was die junge Meisterin veranlaßte, sich von dem Dienstmädchen, welches sie Sonntags allemal Frau Kirchenräthin zu nennen pflegte, lieber schlechtweg „Frau Räthin“ nennen zu lassen – der Kürze wegen. – –

„Guten Abend, Papa!“ sagt hinter dem Rücken des Meisters plötzlich eine frische Kinderstimme und erschreckt den starken Mann ein wenig. Er hatte nämlich ganz gegen seine Gewohnheit ein Weilchen wie sinnend dagestanden. Woher kamen ihm mit einem Male die Gedanken? Es ist doch sonst seine Sache nicht, sich mit dergleichen viel abzugeben. Ist’s das Weihnachtsfest, was die Erinnerungen wachruft, besonders die Jugenderinnerungen? Er wendet sich auch sogleich nach der Störung um, wie um seinen Fehler zu verbessern und erblickt die Gustel, die eben aus der Nachmittagsschule kommt, das letzte Mal vor den Ferien. Und das breite schwammige Gesicht des Mannes gewinnt an Ausdruck und Leben, als die Kleine herantritt; denn die Gustel ist Meister Klauer’s einziges Kind und sein Augapfel. Verspricht sie doch ein hübsches Mädel zu werden, und daß sie ein liebes Mädel ist, davon ist die ganze Hausgenossenschaft überzeugt – selbst Hofhund und Hauskater sind über diesen Punkt einig. Wie sie so neben dem Vater steht, reicht sie ihm fast bis an’s Kinn. Zärtlichkeit ist natürlich nicht die Sache eines gesetzten Mannes und wohlbestallten Meisters; dennoch fährt ihr der Vater, wohlgelaunt, wie er in Hinblick auf das Wachsthum des Geschäftes nun einmal ist, fast liebkosend über das Haupt, und der feine Mehlstaub, der dabei dem Arbeitskamisol und der blüthenweißen Schürze entfällt, legt sich auf das blonde, krause Haar des Mädchens wie Puder. Dazu nimmt er sich im Stillen vor, dem Töchterchen gegenüber morgen auch in seinen tiefsten Schubsack zu greifen. Die Weihnachtskunden gehen aus und ein, und vergnügt tritt der Meister in den dämmerigen Flur und streckt sogar das behagliche, wohlgenährte, aber ein bischen blasse Gesicht bis auf die Straße hinaus, um sich etwas zu verpusten und sich der lieben Abwechselung wegen den reinen kalten Winterodem einmal um die Nase ziehen zu lassen.

„Meister Hallmsleben schickt mich zum Fegen,“ tönt es ihm plötzlich entgegen. Die Stimme klingt fast noch kindlich, und als er aufblickt, sieht er einen Schornsteinfegerjungen mit Leiter und Besen, der soeben in’s Haus tritt um im Auftrage seines Herrn an die unsaubere, beschwerliche Arbeit zu gehen.

Die sonst alltägliche Nachricht lautet dem Ohre des Meisters heute wie eine Störung; denn die unangenehme, aber nothwendige Arbeit des Essenkehrens wird immerhin einigen Aufenthalt verursachen, und die Zeit ist kostbar. Doch läßt sich nichts dagegen machen. Aergerlich und der Ordnung wegen fragt der Meister kurz:

„Ist’s gemeldet worden?“

„Gestern Abend –“

„So hat’s der Geselle vergessen – Kreuzmillionenelement! Unsereins muß sich einmal um Alles kümmern! Scher’ Dich in’s Haus, Junge, und warte!“ Mit diesen Worten schlurft der Meister den dämmerigen Hausflur entlang; vermutlich giebt’s drinnen im Backhaus ein neues Donnerwetter.



2.

Der kleine Essenkehrer duckt sich indessen scheu und still in einen Seitenwinkel des großen feuchten Hausflurs, zwischen die Mehlsäcke, die rings an den Wänden stehen. Es ist bitterkalt draußen, und er klopft der Schneestaub von den Holzpantoffeln der nackten Füße. Dann liebkost er flüchtig den auf ergiebiger Mäusejagd befindlichen Kater, der auf den hochaufgerichteten Mehlsäcken umhersteigt und sich schnurrend und buckelnd an ihn herandrängt. Der Hinz hätte gewiß nicht mit ihm getauscht: er hatte es besser als „der schwarze Fritz“. Ja, „der schwarze Fritz“ – so nennen ihn nämlich höhnend die Cameraden und Genossen, mit denen zusammen er ehemals die Schule besuchte – ehe Vater und Mutter starben und er in’s Waisenhaus kam. Ja, ja, der Hinz hatte es gut. Alltäglich war ihm der Tisch mit übriggebliebener Milch und altbackenen Semmelbrocken vollauf gedeckt, und der liebe Gott hatte ihm selbst den warmen, bunten, dauerhaften Rock gemacht, während Fritz in seiner dünnen rauchgeschwärzten Kleidung wie ein Espenlaub zitterte. Er pustet in die Hände – ach, wenn er sich doch einmal tüchtig aufwärmen könnte! Halt, dort steht ja die Thür zur Back- und Knetstube offen, und ein Duft von allerlei feinen kostbaren Gewürzen weht ihn appetitreizend an. Dort drinnen ist’s gewiß mollig warm. Ob er wohl nicht ein bischen eintreten könnte, bis er in die zugige Esse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_858.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)