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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 1.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.


1.

„Lassen Sie nur, Liese! Ich werde ohne Mühe schon allein fertig.“

So ganz ohne Mühe geschah es aber doch nicht; denn die schlanke Dame, welche lieber sich selbst helfen, als den Beistand der Dienerin annehmen wollte, mußte sich auf die äußersten Fußspitzen erheben und sich weit über den runden Eßtisch vorneigen, um die Majolikaschale in dessen Mitte zu setzen. Die Blumen und Gräser, von den schönen Händen geordnet, schmückten nun die festlich gedeckte Tafel; die zierliche Gestalt richtete sich wieder auf, und ein rascher Griff stellte ein zur Seite geschobenes Glas in die symmetrische Reihe zurück.

„Sie haben doch Susannen gesagt,“ fuhr die Herrin, während sie die durch die frühere Berührung zerknitterte Damastserviette von Neuem zum kunstvollen Aufbau formte, in ihren Unterweisungen fort, „daß der Braten nicht zu sehr ausschmoren darf? Mein Bruder liebt ihn, wenn er noch im Safte ist, und er soll zu Hause die Table d’hôtes nicht vermissen. Wir müssen ja auch vor der jungen Frau Ehre einlegen.“

„Ist geschehen, wie das gnädige Fräulein befohlen, aber —“

„Und dann soll Fritz immer bei meiner Schwägerin mit dem Serviren beginnen, nicht bei mir.“

Ein zufriedener Blick überflog noch einmal den Tisch, und so blieben die Zeichen und Mienen des Mädchens unbeachtet. Jetzt faßte sie sich ein Herz und sagte:

„Ja, gnädiges Fräulein, ich habe es ihm schon eingeschärft, aber der Herr Statthaltereirath stehen schon eine Weile hier.“ Liese deutete nach der Thür des kleinen Speisezimmers.

Das Fräulein, das derselben den Rücken zugekehrt hatte, wendete sich überrascht um, hatte aber nur ein flüchtiges Kopfnicken für den auf der Schwelle Stehenden, der jeder Bewegung der zarten Figur, die sich eben in ihrer ganzen Geschmeidigkeit und Grazie gezeigt, mit Blicken voll warmer Bewunderung gefolgt war. Unter den starken Brauen funkelte es wie jugendliches Feuer in den blauen Augen, die im Widerspruche zu dem Eindruck der ganzen Erscheinung standen; denn der Herr Statthaltereirath war bereits ein Mann in jenen Jahren, die man die „besten“ zu nennen liebt. Das kurzgehaltene, dunkelbraune Haar stand zwar noch dicht, zeigte aber in scharfer Beleuchtung schon den verrätherischen Stahlglanz der höheren Mannesjahre, und zwei Silbersträhnchen theilten glitzernd zu beiden Seiten des Kinns den schönen vollen Bart, in den sich der markig und ansprechend geformte untere Theil des Gesichtes verlor. Auch die gesetzte Haltung, die gelassenen Bewegungen der breitbrüstigen Gestalt standen in scheinbarem Gegensatze zu der Lebhaftigkeit des Auges, das zu den Worten, die um Verzeihung baten und das „unangemeldete“ Eintreten entschuldigten, einen fast schalkhaften Commentar bildete.

„Braucht es das? Guten Abend, lieber Meinhard!“ lautete die Entgegnung, aber unmittelbar nach dem familiären Gruß wendete sich die junge Dame wieder an das Mädchen, sodaß der flüchtige Uebergang eine gewisse Absichtlichkeit merken ließ. Die Aufträge waren jedoch bald erschöpft, und ein letztes: „Und was ich noch sagen wollte,“ machte dann den Schluß. „Sorgen Sie für ein kleines Feuer im Schlafzimmer, Liese! Wenn man von der Reise kommt, ist man immer ein wenig frostig.“

„Sie wissen das und lassen mir doch einen so kühlen Empfang zu Theil werden? Nicht einmal die Hand haben Sie mir gegeben,“ beklagte sich der Eintretende, rief damit bei dem Fräulein aber statt des Mitleids nur ein spottendes Lachen hervor.

„O, o! Sie wollen doch nicht zu den hohen Reisenden gezählt werden? Keine Einschleichereien!“ Dabei hatte sich die kleine Hand aber doch in die dargebotene gefunden, und ein ganz kurzes, aber herzliches Schütteln stellte das Einverständniß wieder her. Es klang nur noch ein vollkommen unschädliches Nachgrollen des schnell vorübergezogenen kleinen Ungewitters in der Erklärung: „Eigentlich sollte ich böse sein — wissen Sie, Meinhard? Mich so in der Noth zu lassen, ohne zu helfen!“

„Aber Sie wollen ja gar nicht, daß man Ihnen hilft. Ich habe es eben selbst gesehen und gehört. Nicht wahr, Liese, Fräulein Hilda will alles selber machen? Wir werden uns hüten, uns unberufen einzumischen.“

„Ich habe Sie aber berufen,“ sagte Fräulein Hilda vorwurfsvoll nickend und mit ein ganz klein wenig Verdruß um den selbst im Schmollen noch freundlichen Mund. „Allein Fritz wurde gar nicht vorgelassen. Seine Unnahbarkeit, der Herr Statthaltereirath, hatten Amtsstunde. Und diese währte, wie es scheint, nicht kürzer als vom Mittag bis zum Abend. Irgend eine Audienz der Herren Stadträthe oder sonst eine Wichtigkeit, über welche die alten Freunde getrost in Vergessenheit gerathen können!“

„In Vergessenheit gerathen?“ wiederholte er, „— das ist unmöglich, Sie wissen es wohl, Hilda.“ Der volle, tiefe Brustton der Ehrlichkeit, durch den diese Versicherung ungewöhnliche Bedeutsamkeit erhielt, ging jedoch sofort unmerklich wieder in Scherz über. „Uebrigens finde ich auch ohne mich alles gethan. Der ganze Garten ist für Guirlanden geplündert; ich sehe sogar Blumen auf den Tischen, Silberzeug auf dem Büffet, Lichter in den Fenstern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)