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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 2.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


Hatte bei dem unsicheren Dämmerlichte, beim raschen Wechsel der Blätter, das sonst so scharfsichtige Auge Hilda getrogen? Aber woher die Aehnlichkeit von Wilhelm’s Stimme mit jener so unheimlich aus den Brettern des Fußbodens herauftönenden? Hilda war von dem Laute betroffen worden, als antworte in der That ihr Bruder unter den Parketen herauf, auf denen sie stand. Wohl war ihr das Kunststück des Bauchredens nicht fremd, aber sollte es wirklich nur Zufall gewesen sein, daß diese forcirte Stimme jener anderen glich, die ihr noch so deutlich im Ohre klang, ohne daß der Täuschende sie je zuvor gehört? Und fanden sich denn ebenso leicht Erklärungen für den befremdlichen Sinn der Worte? „Bill“ hatte der Mann den Fernen angerufen, Amerika genannt, auf die Gefahr seiner Rückkehr nach Europa hingewiesen. Und das alles sollte wirklich nur ein harmloses Zusammentreffen von Umständen sein, nicht eine beabsichtigte Nachahmung der Stimme, eine bedeutungsvolle Mahnung, ein wohlvorbereitetes Spiel zu ganz bestimmtem Zwecke? Und welcher war dieser Zweck?

Darüber sollte der Mann selbst Auskunft geben. Es blieb ja immerhin möglich, daß hier der Hinweis auf eine alte Bekanntschaft als wirksame Unterstützung einer Bettelei benutzt wurde, aber vielleicht hatte dieser Mensch den Exilirten doch in neuerer Zeit erst gesehen und konnte Nachricht geben über ihn. Aber nein, vielleicht zerrann schließlich doch noch alles in Nebel – vielleicht war alles nur ein Traumbild, wie es, von einem Worte, einem Laute, irgend einem Anblick hervorgezaubert, in des Menschen Innern plötzlich auftaucht, in der Dichter-, in der Künstlerseele sogar greifbare Gestalt annimmt und doch vorüberzieht und verweht – ein Hauch, ein Nichts.

„Aber, Tantchen, wo bleibst Du denn so lange? Der Wagen ist schon vorgefahren, und Du verplauderst Dich in einem Kaffeestündchen mit Bußbuß.“

Mimi’s Stimme weckte die in tiefes Sinnen Versunkene. Ihre Stirn lehnte an der Fensterscheibe, und ihre Hand kraute in dem Pelze des schnurrenden Kätzchens, das sich zu ihr auf’s Fensterbrett geschmeichelt hatte.

Es mußte eine geraume Weile verstrichen sein, während sie auf den Mann mit den geheimnißvollen Andeutungen gewartet hatte; denn Dunkelheit hüllte bereits ringsum alles immer tiefer und tiefer ein. Aber wo war er geblieben, der unheimliche Eindringling?

Eben kam Liese fast athemlos herein.

„Ich weiß nicht, wo der Mensch hingekommen ist,“ berichtete sie. „Im Vorhause ist er nicht; in der Küche hat ihn Niemand gesehen und draußen auch nicht. Der Martin ist freilich erst vorgefahren, aber Fritz hätte doch besser aufpassen können. Er stand vor der Thür und machte noch schnell die Tannenbäumchen fest. Dort sei nichts vorbeigekommen, sagt er. Aber wie ein Geist kann doch Niemand bei lebendigem Leibe verschwinden.“

„Ausgenommen ein Zauberer,“ fiel ihr Mimi in’s Wort.

„O, auch die lassen eine Wegzehrung nicht im Stiche,“ parirte die praktisch denkende Liese den Schlag.

„Es giebt doch auch stolze Zauberer,“ widersprach Mimi lachend. „Wer weiß, ob er sich nicht durch die Zumuthung beleidigt fühlte, sich in der Küche wie ein Handwerksbursche ein Almosen zu holen. Ich lasse mir nun einmal meine gute Meinung nicht nehmen.“

Hilda that keinen Einspruch; sie ließ es auch geschehen, daß ihr das Mädchen Hut und Handschuhe reichte und Mimi ihr den weichen Herbstmantel um die Schultern legte. Die Frage, wie dieses Verschwinden zu deuten, beschäftigte sie noch, als ihr Meinhard, der sie am Kutschenschlage erwartet, in den Wagen half.

„Vielleicht hat Mimi Recht,“ dachte sie, erleichtert aufathmend. „Dann aber hatte es ja auch keinen Zweck, und es war doch alles nur eine Täuschung meiner Sinne.“




2.

Die Nacht war schon hereingebrochen; ihre Schatten schienen das Schloß zu verschlingen, während der Wagen in das Dunkel hinaus rollte. Dunkel herrschte auch in seinem Innern; denn von den Laternen drang kein so ausgiebiger Strahl herein, um etwas genauer erkennen zu lassen. Wie der nachdenkliche Ausdruck in Hilda’s Zügen, entging auch ihr Schweigen der Aufmerksamkeit ihrer beiden Gefährten. Mimi führte das Wort für alle Drei. Zunächst war es noch der Taschenspieler und sein gespensterhaftes Auftreten, worüber sie sich vollends aussprechen mußte. Die Bemerkung Meinhard’s, daß es in der Weise solch verkommener und zuweilen halb verrückter Genies liege, ihrem Erscheinen etwas Geheimnißvolles zu geben und sich, vielleicht mehr noch ihrer Eitelkeit, als dem zu erhoffenden Nutzen zuliebe, womöglich immer mit einem Theatercoup in Scene zu setzen, gefiel ihr schließlich doch noch besser, als die ebenfalls aufgestellte Vermuthung, diese vagabondirenden Subjecte hätten oft allerlei Gründe, ein Haus auszuspioniren.

„Ach, Gruselmacher giebt’s nicht!“ meinte sie. „Diese Taschenspielerei ist nicht gefährlich. Und geschickt ist er gewiß sehr – sehr!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_021.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)