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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Wie er es nur angefangen haben mag, daß ihn nicht einmal die Hunde meldeten? Hektor ist sonst gerade nicht liebenswürdig gegen Unbekannte.“

„Solche Leute haben allerlei Mittel; das gehört zum Métier, erhöht aber nicht gerade ihre Vertrauenswürdigkeit.“

„Du lieber Gott, sagen Sie nur Papa nichts!“ bat die Kleine mit plötzlichem Schrecken. „Er würde von Einschleichen sprechen, über die Unordnung und Aussichtslosigkeit schelten. Ein Donnerwetter ginge los über Fritz, über Tantchen und Alle. Wenn Papa heftig wird, schont er nichts, so gut er sonst ist.“

„Er wird jetzt gar nicht Zeit haben, zu schelten,“ tröstete Meinhard. „Und wenn er übler Laune sein sollte, wird es nur ein gutes Wort von Mama bedürfen.“

„Das wäre noch schlimmer,“ fiel die Kleine beinahe mit der von ihr selbst gefürchteten Heftigkeit ein. „Tantchen wird doch nicht einer Fürbitte bedürfen von einer – einer Fremden – die erst in ein Haus kommt, in welchem Tantchen geboren ist und, so lange sie lebt –“

Hier unterbrach Hilda den stockenden und dann wieder sprudelnden Redestrom.

„Mimi, Du vergißt, von wem Du sprichst,“ sagte sie tadelnd. „Solche Aeußerungen klingen wie die Anklage gegen mich, Dich schlecht erzogen zu haben; sie wären zudem noch ein Grund für Deinen Vater, zu bedauern, daß er im Schmerze um den Verlust Deiner Mutter die Pflicht vernachlässigte, Dir für sie einen Ersatz zu suchen, ehe Du der leitenden Hand entwachsen warst.“

„Aber warst denn Du nicht für mich die sorgsamste Mutter?“ erwiderte die Zurechtgewiesene. „Ich brauche keine andere, und ich verlange keine andere.“

Das kam aber mit solchem Ungestüm heraus, daß es kaum noch den Charakter der Zärtlichkeit trug und Hilda keineswegs ganz Unrecht hatte, wenn sie kopfschüttelnd sagte:

„Du verlangst keine – das ist möglich, aber brauchen – das ist eine andere Frage, die nicht Du zu beantworten hast. Es scheint doch bisher an der rechten Strenge gefehlt zu haben.“

Da dieser Selbstvorwurf von der beschämt, gekränkt und wohl auch ein wenig trotzig in ihre Ecke sich drückenden Kleinen keinen Widerspruch erfuhr, so nahm Meinhard die Lanze auf.

„Sie beurtheilen eine ganz natürliche Regung, wie ich glaube, zu hart, Fräulein Hilda,“ begann er und fuhr, ohne sich von dem leisen, aber nachdrücklichen „Nicht wahr!“ Mimi’s unterbrechen zu lassen, im warmen Tone der Ueberzeugung fort: „Fast seit ihrer Geburt war sie in Ihrer Obhut; Sie nahmen der kränklichen Mutter von allem Anfange an die Mühe ab und traten nach deren Tod ganz an ihre Stelle. Sie pflegten und erzogen das Kind; Sie haben sich ihm ganz hingegeben und es so möglich gemacht, daß es die Heimath gar nicht zu verlassen brauchte und in der Nähe des Vaters bleiben konnte, der diese Erheiterung in seinem Gemüthszustande gar schwer vermißt hätte. Sie haben sich eine edle und bewundernswerthe Aufgabe gestellt, sich dieselbe zum ausschließlichen Lebenszwecke gemacht und derselben Alles zum Opfer gebracht.“

„Ah bah!“ fiel ihm hier die Gepriesene in einem Tone, der leicht sein und keine Rührung aufkommen lassen sollte, in’s Wort. „Welche Tirade! Was habe ich denn für Opfer gebracht? Ich habe noch nie etwas davon gemerkt.“

Einen Moment blieb er stumm; dann sagte er gedämpfter:

„Das ist kein Grund, Alles als selbstverständlich von Ihnen hinzunehmen, und ich begreife recht wohl, daß soviel Liebe und Hingebung tiefe Dankbarkeit erweckt, welche sich zu einem exclusiven, jede Theilung ablehnenden Gefühle entwickeln kann.“

Das Schweigen, in welches Mimi versunken gewesen, hatte nun lange genug gewährt. Sie nahm sich aus der schon ungeduldig mit angehörten Beweisführung, was ihr eben taugte, um daran anzuknüpfen.

„Ja, und wenn ich noch wüßte, weshalb ich theilen soll? Hat denn die neue Mama mir irgend ein Opfer gebracht? Vielleicht, daß sie Papa geheirathet hat? O, das ist gar kein besonderes Verdienst; Papa ist noch ein ganz hübscher Mann; nicht mehr jung freilich, aber man merkt ihm die vierzig Jahre gar nicht an. Nicht ein graues Härchen hat er, und wie er reitet und Schlittschuhe läuft! Sie hat ihn auch nicht meinetwegen geheirathet, so wenig wie Papa sie aus diesem Grunde nahm. O, gewiß nicht! Soviel kann ich auch schon beurtheilen – dazu brauche ich nur meine gesunden Augen. Im Anfange, als wir nach Teplitz kamen, hatte es wirklich den Anschein, als ob Papa mich zur Gesellschafterin brauche, um sich nicht gar zu sehr zu langweilen. Da verkehrte auch Fräulein Albertine hin und wieder mit mir, während Papa schlief oder sich im Bade befand; in den letzten Wochen aber war es, als ob ich für die Beiden gar nicht mehr vorhanden wäre, und Papas Arm nahm nun wieder an Geschmeidigkeit zu. Er wurde aber auch recht fleißig geübt.“

„Was sprichst Du wieder für tolles Zeug!“

„Nur was ich gesehen habe,“ wehrte sie sich gegen den Verweis. „Ich konnte doch nicht jedesmal die Augen schließen, wenn ich auf den Spaziergängen im Walde hinter ihnen drein kam und sie mich ganz und gar vergessen hatten. O, ich schämte mich ohnedem genug vor Herrn Edwin und hätte dann lieber gewünscht, er würde mich nicht begleiten, obwohl ich mich ohne seine Gesellschaft recht verlassen gefühlt hätte. Ich mußte wirklich noch froh sein, daß er sich meiner annahm.“

Die Folgen einer sehr langsam heilenden Muskelzerrung, die er sich bei einem Sturze mit dem Pferde geholt, fortzubaden, war Herr von Reinach schon zeitig im Frühjahre nach Teplitz gegangen, um es nach sechs Wochen als Bräutigam zu verlassen. Frau Rohrwek, die Besitzerin des Hauses „Zur Aurora“ in Schönau, wo er seine Wohnung genommen, war Wittwe und hatte zwei Kinder aus verschiedenen Ehen. Aus der oberflächlichen Bekanntschaft des Sohnes Edwin mit den neuen Miethsleuten entspann sich bald ein näherer Umgang zwischen den Familien; dem Vater schien der Verkehr der beiden Mädchen erwünscht, doch allmählich entzog er seinem Töchterchen die Gefährtin immer mehr. Der Zwang, den ihm die Gegenwart eines Dritten auferlegte, mochte ihn beengen, und er wußte es Albertinens Stiefbruder Dank, daß er an der Seite „des Kindes“ blieb und es anderwärts beschäftigte.

Den Abschluß dieser so leicht und arglos angesponnenen Beziehungen bildete dann Ende August jene Heirath, welche der langjährigen Wittwerschaft Franz von Reinach’s ein Ende machte, dem Gute Waltershofen wieder eine Herrin und dem sechszehnjährigen Kinde eine Stiefmutter gab. Die Nachricht von der bevorstehenden Aenderung der Dinge hatte Mimi nicht ganz ahnungslos getroffen; denn die vorwitzigen jungen Augen hatten schon zu scharf beobachtet. Von einem Ausbruche kindlicher Eifersucht, wie ihn Hilda befürchtet hatte, war keine Rede, und ein Ungestüm, zu dem die Kleine sonst sehr neigte und wie er eben jetzt zum Ausbruche gekommen, hatte sich damals nirgends gezeigt, aber das kam auch wohl daher, weil Mimi gar nicht daran dachte, daß ihr Verhältniß zu Hilda davon berührt werden könnte. War sie ja doch darin eingelebt von Kindheit auf. Es war so naturgemäß, so felsenfest, daß sie ein Rütteln daran gar nicht für möglich hielt und die bloße Andeutung, auch wenn sie von Hilda ausging, wie eine tiefe Kränkung empfand.

Daher der stürmische Protest, daher nach dessen Zurückweisung das schmollende Schweigen, unter dem aber das hieran nicht gewöhnte Zünglein am meisten litt. Jetzt revanchirte es sich; denn von jenem Aufenthalte in dem böhmischen Bade auf die Hochzeit selbst übergehend, reihte Mimi allerlei Bemerkungen über die neue Ehe ihres Vaters bunt an einander, wie sie dies in den letzten Wochen nicht müde geworden war zu thun, vielleicht eben deshalb, weil sie in ihren eigenen Gedanken eine gewisse Uebereinstimmung mit denen der Tante zu entdecken meinte.

Was hätte denn auch Tantchens Fernbleiben von der Trauung für eine andere Bedeutung gehabt? Der Katarrh war doch sicher nur ein Vorwand; das Haus wäre wegen der paar Tage Abwesenheit gewiß auch nicht zu Grunde gegangen, und das Einbringen des Grummets hätte schon der Oberknecht allein besorgen können. Mimi hatte mit dem Vater allein zur Hochzeit reisen und bei der Heimreise einer bekannten benachbarten Familie anvertraut werden müssen.

Das war für der Kleinen Logik ausschlaggebend gewesen. Sie fühlte sich der Unterstützung einer ihr im Stillen Verbündeten sicher; die Stiefmutter erschien ihr, wenn auch gerade nicht als ein Eindringling, so doch als ein gewissermaßen Fremdes in der Hausgenossenschaft, an das man sich aber gewöhnen könne, wenn es sich nicht unbequem mache. Und nun mit einem Male mußte sie Worte hören, die viel zu ernst klangen, als daß sie sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_022.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)