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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Noch viele Andere aus der illustren Schaar der Wiener Baukünstler haben sich rühmlich hervorgethan; denn zu der langen Reihe der schönen Bauten von Neu-Wien gehört auch eine lange Reihe guter Namen. Es ist erfreulich, zu berichten, daß es all diesen Talenten an Anerkennung nicht gefehlt hat. Die Wiener Baukünstler haben sich eine Stellung in der Welt errungen, auf welche stolz zu sein sie ein gutes Recht haben. Wien ist auch stolz auf sie und auf ihr Werk, auf Neu-Wien. Balduin Groller.     




Adolf Wilbrandt.

Von Wilhelm Goldbaum.

Unsere Zeit, sagt man, sei eine realistische und demgemäß auch für die Entwickelung unserer poetischen Literatur keine allzu günstige. Jedes Decennium in unserem Jahrhundert, mit Ausnahme des letzten, welches wir durchlebt, habe seinen bestimmten literarischen Charakter gehabt, das erste durch die Romantiker, das zweite durch die Schicksalstragödien, das dritte durch die Schwaben und Heinrich Heine, das vierte durch das „Junge Deutschland“, das fünfte durch die politische Lyrik, das sechste durch Victor Scheffel und Friedrich Bodenstedt, das siebente durch die großen Zeitromane Gutzkow’s, Auerbach’s und Spielhagen’s, nur das achte sei der Poesie fast Alles schuldig geblieben, weil es ausschließlich der Wirklichkeit sich zuwenden und der Lösung politischer Probleme nachleben mußte, welche ihm der deutsch-französische Krieg und die deutsche Einigung hinterlassen. Was ist richtig an dieser Wahrnehmung, und in welchen Punkten widerspricht sie den Thatsachen? 

Gewiß ist, daß wir über die Zeit der blos literarisch genießenden Geschlechter weit hinaus sind; der Inhalt unseres geistigen Lebens hat sich complicirt und Elemente politischer, socialer, materialistischer Art in sich aufgenommen, welche jeden Rahmen eines poetischen Kunstwerkes sprengen. Wir vermögen nicht mehr in der engen Umfriedung eines poetischen Almanachs uns zu bescheiden und blicken über die Dichtung, die unsere Aufmerksamkeit beansprucht, hinweg auf die geschwätzige Zeitung, in welcher täglich der elektrische Draht seine Neuigkeiten ablagert. Wir vermögen uns nicht zu sammeln, wie es die Dichtung von uns fordert, weder im Schaffen noch im Genießen. Vordem war manches Buch ein Ereigniß, konnte sogar ein einziges Gedicht ein Ereigniß sein. Man sprach in allen Cirkeln von den „Spaziergängen eines Wiener Poeten“, von Börne’s „Pariser Briefen“ und Heine’s „Reisebildern“, von Ferdinand Freiligrath’s Gedichten und dem „Mirza Schaffy“, von Gustav Freytag’s „Soll und Haben“ und Gutzkow’s „Rittern vom Geiste“, als wäre damit das gesammte Leben der Nation erschöpft.

Das ist vorbei. Der Dichter bildet nicht mehr den Mittelpunkt unserer geistigen Interessen und Bedürfnisse; das Amt ist von ihm genommen, der einzige Dolmetsch derselben zu sein; es ward auch auf die Redner in den Parlamenten, auf die Staatsmänner, auf die Presse übertragen. Aber hat dadurch der Dichter auch den Beruf eingebüßt, der Verkündiger des Schönen und Guten zu sein? Ist es nicht mehr wahr, was Anastasius Grün gesungen, daß der letzte Mensch der letzte Dichter sein wird? Nein, das kann der Sinn der Klage nicht sein, welche über den Realismus unserer Tage angestimmt wird. Der Poet ist geblieben, was er war, ein Fürsprecher aller edleren und höheren Triebe, welche die Seele der Völker bewegen; nur die Wirkungen, welche er übt, haben sich eingeschränkt; nur die Gemeinde, welche ihm lauscht, hat sich verringert; nur die Kränze, welche man ihm windet, sind spärlicher geworden. Wenn er nicht dem Götzen des Tages  schmeicheln, nicht hasten und jagen will, um mit dem größten Sensationsmacher unserer Tage, dem Telegraphen, zu wetteifern, so herrscht Stille und Geräuschlosigkeit auf seinen Wegen. Aber er ist darum nicht weniger ein Dichter, nicht weniger ein Liebling Aller, denen im andächtigen Verkehr mit Kunst und Poesie die Herzen aufgehen. Und hat auch die Zeit, in der wir leben, keine ausgesprochene literarische Signatur, so hat sie doch ebenso wie vergangene Jahrzehnte hervorragende Dichter, deren sie sich rühmen darf, darunter den liebenswürdigen Adolf Wilbrandt, der soeben zum Leiter des Wiener Burgtheaters, zum Nachfolger Franz Dingelstedt’s bestellt worden ist.

Still und unverdrossen ist Wilbrandt zum deutschen Parnaß hinangeklommen. Der schmale Mann mit dem blassen, länglichen Gesichte, den ernsten dunklen Augen und der hohen Stirn, bescheiden, fast schüchtern in seinem Auftreten, hat rastlos gearbeitet, bei den Griechen und Römern gelernt, an Heinrich von Kleist sich gebildet, für unsere nationale Idee an der Seite des unvergeßlichen Karl Brater publicistisch gestritten, bis es ihm vergönnt ward, durch eigenes dichterisches Schaffen seinen Platz zu gewinnen. Heute ist dem Vierundvierzigjährigen dieser Platz von Niemandem bestritten. Wilbrandt ging von seiner Geburtsstadt Rostock, der mecklenburgischen Universitätsstadt aus, wo sein Vater Professor war. Es zog ihn nach dem Süden hinab, nach München, wo er studirte und dann als Redacteur der „Süddeutschen Zeitung“ thätig war, welche das oberdeutsche Volk dem Nationalverein zuführte, nach Wien, wo allezeit der echte Dichter eine trauliche Heimstätte gefunden. Der Norden hatte sich ihm in seinem Aeußeren nur wenig eingeprägt, in den zurückhaltenden Umgangsformen, in dem Ernste der Ausdrucksweise; dagegen in seiner Physiognomie schien er für den Süden gleichsam prädestinirt; schwarzes, dichtes Haar, tiefliegende brennende Augen, festgeschlossener Mund, gebogene Nase. Und in Wien erschloß sich ihm erst die Pforte des Ruhmes, nachdem er lange vergebens an sie geklopft. Die Bühne nahm ihn auf ihre Schwingen, und sie schenkte ihm auch in der hochbegabten, geistsprühenden Burgschauspielerin Auguste Baudius eine Lebensgefährtin. Jetzt hat die Kaiserstadt an der Donau ihm den höchsten Preis zuerkannt, den sie für literarisches Verdienst zu vergeben hat, die Führung ihres Burgtheaters, welches die erste deutsche Bühne ist.

Dabei kann auch der hochfliegendste Ehrgeiz der Erfüllung froh sein; denn es ist allezeit eine Stelle für vornehme Geister gewesen, welche die Hohenpriester in dem ehrwürdigen Musentempel am Michaelerplatze einnahmen: Heinrich Laube, Friedrich Halm, Franz Dingelstedt haben sie geheiligt.

In seiner Geschichte des Wiener Burgtheaters erzählt Laube, wie er selbst den Directionsstab in die Hand bekam. Eine stürmisch applaudirte Vorstellung seines „Struensee“ bahnte ihm den Weg. Bei Adolf Wilbrandt hat sich die Sache umgekehrt vollzogen; sein Stück „Johannes Erdmann“ mißfiel, und dennoch wurde ihm Tags darauf der Posten an der Spitze des Burgtheaters angeboten. Er hatte es eben nicht nöthig gehabt, just mit diesem Stücke seine Befähigung zu erweisen, nachdem er dieselbe vorher[WS 1] wiederholt offenbart hatte. Das Mißgeschick des Dramatikers war nicht dasjenige des Dramaturgen. Der Dramatiker ist von dem Publicum abhängig; die Laune des Parterres ist sein Schicksal. Der Dramaturg aber ist der Vermittler zwischen dem Dichter und dem Publicum; seine Gottheit ist die Kunst, um deren willen er Allen, dem Dichter, den Darstellern, dem Publicum, die gleiche Liebe und Aufmerksamkeit zuzuwenden hat. Der Dichter muß auf sein unparteiisches Urtheil, das Publicum auf seinen Geschmack, das Bühnenpersonal auf die Ueberlegenheit seines Geistes zählen dürfen. Besitzt Adolf Wilbrandt die Eigenschaft des echten Dramaturgen? Kann man von ihm erwarten, daß er jene glorreiche Ueberlieferung lebendig erhalten werde, an welcher die deutsche Bühne seit Goethe zehrt, der sie einen Karl Immermann, einen Laube und Dingelstedt verdankt?

Es ist schwer, diese Fragen zu beantworten, wenn man Wilbrandt blos nach seinen theatralischen Erfolgen beurtheilt; man muß ihn als literarische Individualität aus seinem gesammten Schaffen zu begreifen suchen. Und geht man ihm auf solchem Wege nach, so findet man leicht, was seiner Persönlichkeit in Leben und Dichtung ihren besonderen Reiz verleiht. Er ist interessant. Durch diese Eigenschaft hängt er mit seiner Zeit zusammen, ja ist er ihr prägnanter Ausdruck. Das Interessante gefällt uns Heutigen; es ist der Maßstab unseres kritischen Urtheils, das Merkmal unserer poetischen und künstlerischen Empfindung. Das Interessante aber besteht nicht für sich; es ist nicht vom Können abhängig, sondern es bildet eine unfaßbare Zugabe, einen ganz und gar


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: verher
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_034.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)