Seite:Die Gartenlaube (1882) 039.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Lüschnat hatte unter dem Schmettern der Finken und dem furchtlosen Hin- und Wiederflattern der Schwalben, die in seiner Nähe kaum mehr ihren Warnungsruf anschlugen, schon früh Morgens ganze Bündel von Springauf, Nachtschatten und Waldmeister gepflückt und vertheilte sie nun auf seiner Karre. War noch etwas vom Gärtner in ihm geblieben? Kam ihm das duftige Blumen und Kräuterzeug zu lieb vor, um es in die Säcke zum Kien zu stecken? Er band lauter kleine Sträuße davon, machte dann aus vielen derselben ein kräftiges Bund und steckte diese zwischen die Kiensäcke, sodaß die Karre schier selbst zu einem Stückchen Frühling wurde. Sonst war dergleichen stets mit einer gewissen Hast gethan worden, als gälte es viel zu versäumen, wenn er nicht pünktlich um Acht auf seinem Posten am Ecksteine des Rathhauses einträfe. Hente ließ er sich augenscheinlich Zeit, sprach auch öfter und erregter, als gewöhnlich, mit sich selbst, ja setzte die Karre ein paarmal nieder, bevor er zu seinem gewohnten soldatischen Schritte kam. Dann ging es aber scheinbar in alter Weise, nur daß er nicht wie sonst den Umweg über die Waldschenke machte, sondern den kürzeren Fußpfad nach der Chaussee einschlug. An Begegnenden karrte er, wie meistens, stumm vorüber, und als ihm der Förster trotzdem einen Gruß nachrief, war seine Antwort ein unverständliches Brummen. Sein weißes Haar wehte im Winde; es war unbedeckt wie die nackten Füße, das dünne leinene Beinkleid schlotterte um die Knöchel, und der Dolman, auf welchem Flick an Flick saß, daß aus dem Ehrenkleide ein Spottkleid geworden war, flog hinter ihm her. So betrat er die kurze Querstraße, die nach dem Marktplatze führte, und wie gewöhnlich johlten ihm Knabenstimmen entgegen:

„Der Kienhusar! Der Kienhusar!“

Sonst hatte er dann gedroht, auch wohl gegen Einen, den ihm die Anderen zu nahe auf den Leib gestoßen, eine Wachholderruthe erhoben, heute sah er nur gerade aus und ließ, endlich an seinem Platze angelangt, die Karre beinahe fallen, indem er sich schwer athmend an den kühlen Stein lehnte. Der Verkauf ging aber sofort los: dieses Mädchen brauchte Kien, jenes Wachholder, ein Fräulein nahm ein ganzes Bund Nachtschatten, der dicke Kellner aus dem „Englischen Hause“ viel Maikräuter, und eine Gnädige wollte ihm für ein paar Sträußlein Springauf sogar den ganzen Groschen lassen. Er brummte aber nur wieder, und sie mußte die beiden Dreier zurücknehmen.

Als die Säcke leer waren, auch von dem Grünzeuge blos noch abgefallene Blüthen umherlagen, brach er wieder auf, doch selbst die leere Karre, welche er nun hinter sich herzog, schien ihm zu schwer. Es war wohl recht warm geworden, fast schwül: als er auf die Chaussee herauskam, sah er, daß über dem Meere ein starkes Gewitter niederging. Dann und wann ein wenig ausruhend, hörte er auf den fernen Donner und verfolgte den Zickzack der Blitze. Außer einigen Wagen mit altem Eisen, die nach den Hämmern im Thale fuhren, begegnete ihm Niemand. In der Nähe der Waldschenke hörte er aber etwas kommen, was leichter dahinrollte, nachdem er die Biegung erreicht, sah er ein Gefährt, dessen Grauschimmel ihm bekannt erschienen.

Er bog seitwärts aus und blieb stehen, um den Wagen vorbei zu lassen. Eine Dame saß im Fond, schon ehe sie ganz nahe gekommen, nickte sie ihm zu. Da ließ er die Karre fallen und blickte, die Hände faltend, wie in Verzückung zu ihr auf. „Prinzeß Louischen!“ weiter kam nichts über seine Lippen.

Prinzeßchens Mund verzog sich wie immer zu einem Lachen; dann war der Wagen vorbeigerollt, allzu bald auch die Biegung erreicht und der wehende Schleier unter dem Gezweige des Birkenwäldchens verschwunden.

Der Alte lief die paar Schritte zur Biegung zurück und stand, bis ihm eine neue Wendung des Weges auch das Letzte entzog. Sehr langsam, wie schwankend, ging es dann von Neuem vorwärts.

Die Wirthin vor der Waldschenke saß vor der Thür und sagte, als er herangekommen war, kopfschüttelnd:

„Was ist Euch, Lüschnat?“

„Ich wüßt’ nichts,“ versetzte er heiser und trat in die Schenkstube.

„Er sieht heut’ wie ein recht armes Lastthier aus,“ wandte sich die Wirthin an ein Weib, das seinen Tragkorb zuband.

Lüschnat, der wieder auf die Schwelle getreten, rief, heftig nach den Frauen gesticulirend:

„Die Thiere sind nicht arm; sie sind immer gekleidet; ihr Haus ist unter’m Himmel, und zu fressen finden alle.“

Die Wirthin zuckte die Achseln mit einer Bewegung, als lohne es ja nicht, sich mit ihm einzulassen, ging in die Stube voran und gab ihm so viel Brod und Wachholderbranntwein, wie er für die Woche zu bedürfen glaubte. Kein sonstiges Wort wurde mehr gewechselt; er hüllte seinen Einkauf behutsam in die Säcke, und ein wenig später sah die Wirthin seinen weißen Kopf sich noch einmal nach der Schenke zurückwenden, bevor er zwischen den Fichten verschwand.

*      *      *

Am nächsten Sonnabend war der Alte, wie er doch stets pflegte, nicht bei der Schenke vorgesprochen. Den Wirth, dem er lieb geworden, überfiel es wie Sorge, und schon am Sonntag Vormittag ging er das halbe Stündchen zu des Alten Hütte hinüber, um nach ihm auszuschauen. Im Walde war es so festlich still, nur die langgezogenen Ringel aus der Pfeife des ruhig Hinschreitenden zeigten, daß ein leichter Wind ging.

Als der Wirth sich der Hütte näherte, bemerkte er, daß eine Spinne ein großes Netz über den Eingang zu derselben gesponnen hatte und ein paar Mauerschwalben ihre Köpfchen neugierig aus einer Spalte hervorreckten. Erschrocken öffnete er die Thür: da lag der Alte friedlich entschlafen auf seinem Mooslager – und sein Dolman, der ihn bedeckte und der so lange ein Spottkleid gewesen, war nun wieder ein Ehrenkleid.




Traum und Wahrheit.

Das war vor vielen, vielen Jahren,
0Daß ich durch dies Gelände zog,
Ein Jüngling, dem von braunen Haaren
0Ein froh Gelock das Haupt umflog.

5
Und lachend, wie dies Thalgefilde,

0Lag meine Zukunft hell vor mir:
Rings sah ich gold’ne Traumgebilde –
0Jedoch den schönsten Traum in – Dir.

In Dir, Du Kind von fünfzehn Lenzen,

10
0Du scheues Reh am Waldessaum:

Es hing die Welt voll Blüthenkränzen,
0Und Alles war mir wie ein Traum. –

Heut abermals durch dies Gelände
0Thu’ ich erinn’rungsvolle Fahrt:

15
Schon neigt mein Leben sich zum Ende;

0Im Herbstwind weht mein grauer Bart.

Da seh’ ich Herdesflammen glimmen:
0Das ist Dein Haus – hier waltest Du:
Da hör’ ich helle Kinderstimmen –

20
0Dein Töchterlein hüpft auf mich zu.


Dein Töchterlein von fünfzehn Lenzen!
0Bist Du’s nicht selbst? Ich weiß es kaum:
Nur fühl ich feucht mein Auge glänzen,
0Und Alles ist mir wie ein Traum. –

25
Nein! Nicht ein Traum! – Was wir gesonnen,

0Was wir gelebt, gewirkt, erreicht,
Das ist kein Schatte, rasch zerronnen,
0Das ist kein Schein, der schnell entweicht.

Nein, was sich einmal schön vollendet,

30
0Von zartestem Gefühl geweiht,

Das wird uns nie mehr rückgewendet,
0Das ward ein Tropfen Ewigkeit.

 Felix Dahn.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_039.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)