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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Mein Gott,“ fiel hier Frau Rohrwek mit dem süßesten Lächeln, das ihr zu Gebote stand, ein. „Wir müssen uns ohnedem schwere Vorwürfe machen, daß wir Ihnen so viel zu schaffen geben. Ich kann wirklich nicht genug danken, liebe Hilda, Sie haben mich gerettet, ich wäre ohne Ihre Hülfe verloren gewesen.“

„Das ist wohl eine kleine Uebertreibung sowohl der Gefahr wie des Beistandes,“ versuchte Hilda zu scherzen, aber Frau Rohrwek ließ die Ablehnung nicht gelten.

„Glauben Sie ihr nicht, lieber Franz!“ wandte sie sich an ihren Schwiegersohn. „Nur die Bescheidenheit spricht so aus ihr. Ersticken hätte ich können, hätte ich müssen. Ich weiß wirklich nicht, wie es gehen wird. Der Ofen scheint mir einer gründlichen Untersuchung zu bedürfen. Denken Sie, wenn ein Feuer auskäme! Ich begreife überhaupt nicht, lieber Franz, wie Sie noch eine hölzerne Treppe in Ihrem Schlosse dulden können, und dazu noch eine so steile, daß ich mit meinem Asthma sie kaum ersteigen kann. Im Fall einer Feuersgefahr wäre ich ein Kind des Todes.“

„Beruhigen Sie sich, Mama!“ sagte Herr von Reinach, ein wenig ungeduldig auf dem Sessel rückend. „Es wird nicht dahin kommen. Zum Glücke brauchen Sie ja nicht zu heizen. Es sind noch ganz warme Tage; selbst die Nächte – heute Morgen hatten wir nicht einmal einen Reif. Ich begreife nicht, wie das Feuer –“

Er sprach nicht aus; dafür griff Edwin die abgebrochene Frage auf.

„Wahrscheinlich war der Spiritus ausgegangen,“ meinte er, „und Mama wollte ihre Lockeneisen heiß machen.“

Im Hinblick auf die große Haube der Frau Rohrwek, unter der sich nur ein paar gekräuselte Haarbüschelchen auf die Stirn hervorstahlen, klang die verrätherische Mittheilung so komisch, daß sich auch Hilda eines Lächelns, das sie freilich in die Tasse versteckte, nicht enthalten konnte.

Für Frau Rohrwek aber bot sich im Momente glücklicher Weise ein Mittel, über diese unangenehmen Enthüllungen hinwegzukommen.

„Um Gotteswillen, die Katze! Die Katze ist wieder da!“ rief sie und fuhr, als ob sie von derselben schon an der Kehle gepackt würde, entsetzt empor, um wieder, einer Sterbenden gleich, unter Zuckungen auf ihren Sitz zurückzusinken.

Der kleine weiße Pintscher, auf diese Weise unangenehm aus seinem trägen Wohlleben aufgestört, glitt zur Erde und gab seinen Unmuth in einem wüthenden Gekläffe kund, wobei er mit der possirlichsten Entrüstung, so schnell es ihm seine Wohlbeleibtheit erlaubte, auf die arme Bußbuß losfuhr, die pfauchend auf’s Büffet flüchtete und sich dann mit einem ungeheueren Buckel in ihrer unzugänglichen Stellung zur Gegenwehr rüstete. Während der Belagerer bellte und an seinem Zorngekeife zu ersticken drohte, lag seine Herrin mit zurückgeworfenem Kopfe und geschlossenen Augen in ihrem Fauteuil, focht mit den Händen und ächzte und stöhnte, wie in den heftigsten Krämpfen.

„Ruhig, Fipps!“ rief Edwin ein Mal über das andere. „Hierher, kleine Canaille! Wirst Du Frieden geben!“

Es war ein Spectakel, daß die Eile begreiflich war, mit der plötzlich die junge Frau und Mimi auf der Schwelle erschienen. Die offen gebliebene Thür wurde von der armen Mieze, die sich in ihrem eigenen Territorium nicht mehr sicher sah, sofort für den Rückzug in’s Auge gefaßt, und dieser konnte um so geordneter in’s Werk gesetzt werden, als es nun auch Edwin gelungen war, den athemlosen und nur noch quäkenden kleinen Köter im Genick zu fassen und vom Boden aufzuheben.

„Bußbuß muß mit mir hereingekommen sein,“ suchte Hilda in bedauerndem Tone zu entschuldigen. „Sie ist so gewöhnt daran, beim Frühstück zu sein, und unsere Hunde vertragen sich alle mit ihr.“

„Ach was, die sind auch nicht hier. Warum sperrst Du die Katze nicht ein, wenn Du schon weißt –“

Sie nahm ihres Bruders Vorwurf, der sich in ein ärgerliches Brummen verlief, ohne Entgegnung hin, aber das Schweigen war nicht das der Ergebung, sondern nur das der guten Sitte, welche Zurückhaltung gebietet. Sie beeilte sich übrigens nicht übermäßig, der aus ihrem nervösen Anfalle nun langsam zu sich Kommenden mit einem Glase Wasser oder, wie dieselbe für gewöhnlich vorzog, mit einem Tropfen Rum auf Zucker zu Hülfe zu springen. Hilda empfand wenig Mitleid für Frau Rohrwek. Ihrer starken, geistig und körperlich in gleicher Gesundheit blühenden Natur waren solche krankhafte Eigenheiten unfaßbar.

Weil der Einzelne zu schwach war, sich zu beherrschen, mußten darum alle Uebrigen leiden? Bußbuß einsperren! Als ob das so leicht ginge, und wozu hatte sie denn die Katze, wenn sie nicht vom Boden bis zum Keller das Haus durchstreifen durfte? War es nicht schon schmählich, daß des streitsüchtigen weißen Seidenballs wegen Hektor von seinem angestammten Erbsitze zu Füßen seines Herrn verbannt war?

Indessen hatte die junge Frau in aller Gelassenheit ihrer Mutter Beistand geleistet, und diese ergab sich in die Nothwendigkeit, die Augen endlich aufzuschlagen.

„Ach, wie mich das wieder alterirt hat!“ stöhnte sie mit eigenthümlichem, durch das rumgetränkte Zuckerstückchen verursachtem Wispern. „Mich greift alles so sehr an. Ich verstehe nicht, wie man diese abscheulichen Thiere in seiner Umgebung dulden kann; mir flößen sie das unüberwindlichste Grauen ein, und ich habe doch sonst wirklich keine Vorurtheile und Schwächen. Ich könnte, glaube ich, eine Spinne fortkehren oder das Abschlachten einer Henne mit ansehen. Aber Katzen! Huhu! Mich schüttelt’s, wenn ich nur den Namen aussprechen soll. Und so ein widerliches Geschöpf hätscheln? Solche Altjungfernliebhabereien sollte man, meine ich, denen überlassen, die schon wirklich auf dieses letzte Subject ihrer Zärtlichkeit beschränkt sind – auf die Katze.“

Object, meinst Du Mama,“ corrigirte Edwin mit Humor.

„Ach geh, Du machst mich nur verwirrt. Ich werde doch wissen, was ein Subject ist. Oder soll ich Dich vielleicht ein loses Object nennen?“

Hilda hatte recht gut die mißbilligende Bewegung bemerkt, mit welcher Albertine der Mutter Aeußerung begleitete, und wandte sich nun lächelnd an die junge Frau.

„Ich bin ja aber eine alte Jungfer; da darf man mir die Liebhaberei wohl gönnen.“

„Du darfst das nicht auf Dich beziehen.“

„Warum denn nicht? Mit fünfunddreißig Jahren hat man wohl Anspruch auf diesen Ehrentitel.“

„Ist es möglich, daß Sie das auf sich bezogen?“ wandte sich Frau Rohrwek an Hilda. „Ach, wie empfindlich heutzutage die jungen Leute sind! Jedes Wort muß man auf die Wagschale legen, und ich bin so gewohnt, ohne alles Arge zu reden. Nein, meine liebe Hilda, nicht einmal im Scherze dürfen Sie mir eine solche Tactlosigkeit zutrauen. Ich sollte mich eigentlich ernstlich beleidigt fühlen. Gerade weil ich es unpassend finde, daß sich junge Mädchen selbst vorzeitig so alt machen, durfte ich mir erlauben – ich, die alte Frau, an das Kind – in aller Delicatesse eine Mahnung ergehen zu lassen. Ach ja, ein wahres Kind! Und es liegt ja auch ganz in Ihrer Hand, der Fatalität vorzubeugen, wenn Sie selbst auf die Jahre ein so großes Gewicht legen – obwohl ich immer sage, die Jahre sind es nicht, die alt machen, auf die kommt es nicht an. Sie brauchen ja nur zu heirathen. Glauben Sie mir, Liebste, das ist das beste Mittel. Ein altes Mädchen wird eine junge Frau. Ich an Ihrer Stelle würde mich nicht lange bedenken und rasch den Sprung thun. Es ist nichts schrecklicher als eine alte Jungfer zu werden.“

„Aber nichts bequemer und friedlicher, als es zu bleiben.“

„Zu bleiben! Nein, so hören Sie doch! Es ist schrecklich, diese Empfindlichkeit! Aber so sag’ Du ihr doch, Edwin, daß sie ein Kind ist! Dir, dem jungen Manne, wird sie schon glauben.“

„Unsinn!“ brummte der Gutsherr. Der Aufgerufene aber verbeugte sich mit dem artigsten Lächeln vor Hilda.

„Wenn ich mich auch Mama’s letztem übertreibendem Ausspruch nicht anzuschließen vermag,“ erklärte er, „da man darin vielleicht auch eine Beleidigung erblicken könnte, so muß ich mit Rücksicht auf meinen Zeugeneid doch nach bestem Wissen und Gewissen die Ueberzeugung aussprechen, daß hier offenbar eine böswillige Fälschung des Taufscheines durch die Besitzerin des wichtigen Documents selbst stattgefunden hat. Leugnen nützt nichts. Sie müssen mich schon als Sachverständigen in dem Wettkampfe gelten lassen, in dem Wettkampfe, aus dem Sie siegreich selbst gegen die jüngsten Ihrer schönen Schwestern hervorgehen müssen.“

„Bravo, wenn auch Rococo. Aber das wird ja wieder Mode!“ rief schlagend seine Schwester.

Aber er hatte in der That nicht so ganz Unrecht mit seiner letzten Behauptung, so sehr sie auch nach einer Schmeichelei klang.

Die feine Röthe, welche bei dem Anhören der von Frau Rohrwek vorgebrachten Widersprüche trotz der angenommenen Ruhe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_042.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)