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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

er dann, „jetzt will aber auch ich gehen und mir Hektor mitnehmen – die Diana ist doch noch zu kindisch. Einen Begleiter finde ich, da mich alles im Stiche läßt, wohl im Jägerhause. Hoffentlich bringen wir für’s Nachtessen ein paar Hühner herein. Sag: ‚Waidmannsheil!‘, Albertinchen!“

„Und ich, Papa?“ verlangte Mimi eifersüchtig ebenfalls ihren Kuß auf die Stirn.

Frau Rohrwek nickte vergnügt vor sich hin, streichelte ihr Hündchen und folgte mit schlauem Blicke Hilda, die langsam das Gemach verließ.

„Wie schade um meinen Bruder!“ äußerte Albertine, welche sich ihr angeschlossen hatte. „Er ist so talentirt. Zu allem Möglichen hat er Anlage, Malerei, Musik, Poesie, auch mit den verschiedensten Wissenschaften hat er sich schon beschäftigt und in allen Fächern eine Weile debutirt, aber ihm fehlt die Ausdauer, und so bringt er es zu nichts. Das Schlimmste ist, daß er für jede Untreue an seinen Vorsätzen immer wieder die schlagendsten Gründe findet, wie eben jetzt. Ich weiß nicht, was noch aus ihm werden soll, und bei einem Manne, der nicht mehr weit von seinem dreißigsten Jahre ist, sollte sich das doch schon entschieden haben.“

Hilda hatte keine Erwiderung darauf, und selbst Mimi’s vorwitzige Zunge schwieg diesmal.

Mit einschmeichelnder Zudringlichkeit hatte das Mädchen den Arm in den der Stiefmutter geschlungen, wie um ihrer Unzertrennlichkeit auch eine äußere Form zu geben. Sie liebkoste sie, schäkerte mit ihr, nannte sie ihr liebes, scheues Mamachen, spielte mit ihrem Haar und stahl ihr plötzlich das Häubchen vom Kopfe, daß die goldenen Wellen in breitem Falle über den losen Pudermantel herniederrieselten.

„Ach wie prächtig!“ rief sie entzückt. „Warum trägst Du Dich nicht so?“

„Du Närrchen!“ schalt Albertine. „Das paßt nur für Kinder.“

Dann mag ich aber auch nicht mehr so gehen. Nicht wahr, Du zeigst mir eine Frisur? Ich möchte sie so haben, wie die Deine. Ach, könnte ich nur Dir gleichen, so groß sein wie Du, so hübsch und elegant! Dann –“

Was dann geschehen sollte, blieb unverrathen; die Kleine war ja auch zu emsig beschäftigt, die blonde Fluth aufstecken und unter dem Morgenhäubchen bergen zu helfen, was nicht ohne kleine Neckereien und einen Kuß zum Schlusse abging.

Diese Zärtlichkeiten der kleinen Ueberläuferin thaten Hilda fast noch weher, als der Gedanke, daß sie nun ihre Schlüssel, das Attribut ihrer Hausfrauenherrschaft, ausliefern solle. Aber tapfer wußte sie ihrer Bewegung Herr zu werden.

„Hier!“ sagte sie, indem sie die zierlich gearbeitete Schlüsselcassette öffnete. „Jeder hat seine Bezeichnung.“

Die Uebergabe war in aller Form erfolgt.

Die künftige Hausfrau nickte nur freundlich und hütete sich wohl, mit einem tactlosen Worte – und welches wäre es nicht gewesen? – die scheinbare Ruhe und Gleichgültigkeit zu stören, die dem großen Acte das Gewicht benehmen sollte, und kein Zug in Hilda’s ernstem Antlitz verrieth andererseits die Bedeutung, welche er für sie hatte.

Sie raffte ihr einfaches graues Kleid auf, so daß die festen und doch zierlich schmalen Stiefelchen frei wurden, setzte den schmucklosen schwarzen Strohhut auf, zog die rehledernen Handschuhe an, und, ein Henkelkörbchen ergreifend, verließ sie mit Mimi und Albertine das Zimmer; sie schritt über die Stufen, die in den Blumengarten führten, hinab.

„Man braucht mich nicht mehr!“ Das war der Gedanke, mit dem sie gesenkten Blickes durch den Garten schritt, der hier vor dem südwestlichen Flügel den Parkgrund ersetzte, welcher auf den anderen Seiten und gegen die Wirthschaftsgebäude hin das Haus umschloß. Diesmal hatte sie kein Auge für die Lieblinge, die sie unter ihre specielle Pflege genommen. Der Herbst hatte die Blumen schon gelichtet; sie schnitt die verwelkten nicht ab, wie sonst im Vorüberstreifen. Langsam trat sie durch das Gatterthürchen hinaus auf den Wiesplatz, wo die Aepfel und Birnen schon im Grase unter den Bäumen kollerten und Diana mit täppischem Spiele denselben nachsprang, um sie lüstern den auflesenden Mägden abzujagen.

Sie hatte keinen Zuruf für den Hund, der ihr übermüthig entgegen kam, kein aneiferndes Wort für die Dienstleute, kaum einen Gruß für sie. Beinahe hatte sie vergessen, daß sie hier Aufsicht üben wollte. Was sich begeben hatte, nahm all ihre Gedanken in Anspruch.

Freilich, hier hatte sie noch Theil; das schlug in die Bewirthschaftung des Gutes, und auf diesem stand ja, mit Ausnahme des kleinen, ihr später zugefallenen Capitals, welches auf des Bruders eigenen Wunsch unter andere Verwaltung gestellt worden, ihr ganzes Vermögen. Freiwillig hatte sie nach des Vaters Tode, als sie sah, mit welchen Schwierigkeiten ihr ältester Bruder zu kämpfen hatte, auf die Herausbezahlung desselben verzichtet. Das Gut gehörte nicht zu den großen; es hätte eine so schwere Belastung kaum ertragen; sie selbst aber forderte keine Verzinsung ihres Antheils. Das Gedeihen des Gutes war ihr Alles; von Kindheit auf hatte sie da gelebt, es nie verlassen; sie fühlte sich mit demselben verwachsen, und nichts hatte dieses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zu sprengen vermocht, selbst nicht die Aussichten, die sich ihr von Zeit zu Zeit geboten, in ein eigenes Hauswesen einzuziehen und eine eigene Familie zu gründen. Sie hatte ja beides und trug kein Verlangen nach einem Wechsel. Mit Pflichten und Rechten war sie auch hier reichlich bedacht. Seit dem früh erfolgten Tode ihrer Schwägerin war sie an deren Stelle getreten, und wie sie dem kleinen zappelnden Dinge, das von seinem Verluste noch nichts wußte, Mutter wurde, so suchte sie auch die Schwere des Verlustes den Anderen zu mildern. Schon zu Lebzeiten des Vaters hatte sie die Leitung des Haushaltes übernommen, und da Franz das Gut als Haupterbe übernahm, war es so geblieben – geblieben, bis auf den heutigen Tag.

Hatte sie gemeint, es müsse ewig so bleiben?

(Fortsetzung folgt.)




Die erste Aufführung von Schiller’s „Räubern“.

Von Rudolf von Gottschall.

Am 13. Januar dieses Jahres ist gerade ein Jahrhundert vergangen, seit Schiller’s „Räuber“ zum ersten Male zur Aufführung gelangten. Es ist dies einer der wichtigsten Säculartage der deutschen Bühne; denn Schiller’s Genie war vor Allem berufen, dieselbe auf eine höhere Stufe zu heben und das Künstlerische und Volkstümliche in einer Weise zu verschmelzen, wie sie nur den Glanzepochen dramatischer Dichtung eigen ist. Es war in Schiller etwas von Shakespeare’s urwüchsiger Kraft und hinreißendem Feuer; später kam besonders durch Goethe’s Einfluß der Adel und die Grazie künstlerischer Ruhe hinzu, doch in keinem andern Dramatiker war so mächtig wie in ihm der Sturm und Drang des geschichtlichen Geistes, und keiner hat wie er der Bühne ein Repertoire von Dramen großen Stils geschenkt, welche alle in sich die Bürgschaft unverwüstlicher Dauer tragen.

So großartig wie die Gesammtwirkung dieses hervorragenden Genius war auch schon sein erster Wurf: „Die Räuber“ flammten auf wie ein wunderbares Phänomen, entzückend für die Einen, schreckhaft für die Andern; es war eines jener dramatischen Ereignisse, dem gegenüber man Partei ergreifen mußte; es war die fulminante Ankündigung eines durchgreifenden dramatischen Genius; eine brüske Usurpation der Herrschaft über die Bühne mit dem kühnen Griffe eines unfehlbaren Instinctes. Der gute Geschmack mochte sich vor diesem Schauspiele bekreuzen, die feinfühlige Kritik ihm die schweren Sünden gegen die Gesetze geläuterter Schönheit vorwerfen[1]: „Die Räuber“ waren eine dramatische That, die sich von der Bühne nicht fortdisputiren ließ. In der That kann man

  1. Was die Kritik der Zeitgenossen über das neue Schauspiel betrifft, so findet man die Actenstücke zusammengetragen in dem verdienstvollen Werke von Julius W. Braun „Schiller und Goethe im Urtheile ihrer Zeitgenossen“ (Leipzig, Bernhard Schlicke), einer schätzenswerthen Publication, von welcher die ersten zwei Bände vorliegen und die einen der lehrreichsten Vorgänge der Literatur, das Werden und Wachsen der Classicität, im Wechsel günstiger und ungünstiger, anerkennender und feindseliger Urtheile aus authentischen Quellen auf das Interessanteste beleuchtet. Ich hatte selbst mehrfach in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ darauf hingewiesen, daß unsere überreiche Goethe- und Schiller-Literatur in Bezug hierauf noch eine Lücke enthält, und freue mich, dieselbe, wohl in Folge meiner Anregung, jetzt ausgefüllt zu sehen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_044.jpg&oldid=- (Version vom 27.7.2023)