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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

nicht ohne Schadenfreude die Prophezeiungen damaliger tonangebender Recensenten lesen, welche, wenn irgend eine Vorstellung des Stückes einmal weniger besucht war, gleich verkündeten, es könne keine Dauer auf der Bühne haben, während dasselbe noch heute ein Repertoirestück, noch heute so frisch und wirksam ist, wie vor hundert Jahren. Mag man „Die Räuber“ für eine dramatische Jugendsünde des Dichters halten: nie hat sich eine solche Jugendsünde so glücklich conservirt. Mag man zugeben, daß der Dichter mit einer Explosion seines Genies seine Laufbahn eröffnete: es war dies kein verpuffendes Feuerwerk, sondern dieses Feuerzeichen leuchtete noch den kommenden Geschlechtern. Gerade hierin sind „Die Räuber“ ein Phänomen, wie die Literatur aller Zeiten kein zweites aufzuweisen hat.

Der Säculartag der ersten Aufführung des Stückes ruft alle Erinnerungen an dieselbe wach; diese erste Aufführung fand unter Verhältnissen von seltener Abenteuerlichkeit statt, die sich so leicht nicht wiederholen dürften.

Auf der Militärakademie des Herzogs von Württemberg hatte Schiller „Die Räuber“ gedichtet, und das Jahr 1780 kann als ihr Geburtsjahr betrachtet werden. Den äußern Anlaß hatte ihm eine Erzählung in Haug’s „Schwäbischem Magazin“ gegeben, auf welche ihn sein Freund von Hoven aufmerksam gemacht. Doch fanden sich in dieser Erzählung nur die beiden Brüder, der leichtsinnige und der intrigante, welcher letztere den Brief des ersten unterschlägt, während dieser später dem Vater das durch den andern bedrohte Leben rettet. Der schließliche Ausgang der Handlung war noch dazu ein versöhnlicher. Daß die Erzählung bei ihrer Umwandelung in’s Drama in die Räubersphäre hinübergespielt wurde, daran trug wohl der Räuber Roque im Cervantes die Schuld, zu der ganzen Auffassung des Helden aber gaben die Theorieen des Plutarch und Rousseau von den erhabenen Verbrechern Anlaß. Den revolutionären Geist, der die Handlung durchweht, schöpfte Schiller aus dem eigenen Ingrimm und dem der Genossen über die strenge militärische Disciplin der Anstalt und aus der glühenden Freiheitssehnsucht, welche sich aller Gemüther bemächtigt hatte. Der Materialismus des Franz Moor aber war das Resultat medicinischer Studien, welche der junge Schiller als Fachwissenschaft betrieb; es bereitete ihm Vergnügen, mit cynischem Hohn ihre letzten Consequenzen zu ziehen. Unter solchen Einflüssen entstanden die „Räuber“, aber nicht im freien Fluß und Guß einheitlichen Schaffens. Der Dichter mußte sich die Muße zum Dichten stehlen; er meldete sich krank, um Abends und Nachts das Licht im Krankenzimmer benutzen zu können. Und so schrieb er zunächst nieder, was ihm am lebendigsten vor der Seele schwebte, die am meisten hervortretenden Scenen und Situationen; nicht in geschlossener Scenenfolge entwickelte sich das Gesammtbild der Dichtung. Was er geschaffen, las er in unbewachten Augenblicken den Commilitonen vor und hörte dabei auf ihren Rath; er wurde ermuthigt durch ihren begeisterten Beifall, manchen Charakterzug der Genossen aber nahm er in die Charaktere seiner Räuber auf. Die verbindenden kleineren Scenen, die Zwischenglieder der Handlung, fügte er später ein.

Als Schiller die Militärakademie verließ, nahm er das fertige Manuscript der „Räuber“ mit in die bescheidene Stube, die er als Regimentsmedicus bewohnte. Sein heißester Wunsch war, das Stück gedruckt zu sehen. Doch in Stuttgart fand sich kein Buchhändler, der dazu bereit gewesen wäre, und auch in Mannheim nicht, trotz aller Bemühungen, die sich sein gerade dort anwesender Freund Petersen gab, einen Verleger zu entdecken. Schiller hatte Petersen geschrieben: „Was über fünfzig Gulden abfällt, ist Dein,“ und in einem Postscriptum hinzugefügt: „Höre, Karl, wenn’s reussirt, will ich mir ein paar Bouteillen Burgunder darauf einschänken lassen.“ Da Petersen aber nicht reussirte, so wagte Schiller, das Stück auf eigene Kosten drucken zu lassen, und borgte die dazu erforderliche Summe. Als die ersten sieben Bogen im Druck vollendet waren, sandte er sie an den Buchhändler Schwan in Mannheim, der als ein kunstsinniger und urtheilsfähiger Mann in Süddeutschland wohlbekannt war. Schwan erkannte das Talent des Dichters und machte den Intendanten des Mannheimer Theaters, Freiherrn von Dalberg, zuerst auf das Stück aufmerksam; er veranlaßte ihn, wegen einer Bühnenbearbeitung der „Räuber“ sich mit dem Dichter in Beziehung zu setzen. Auch theilte er Schiller kritische Bemerkungen mit, welche dieser willig beachtete, ja manches schon Gedruckte wurde wieder umgedruckt; die erste Ausgabe zeigt daher bisweilen zwischen den Absätzen große Zwischenräume. Sie erschienen indeß, was Druck und Papier betrifft, keineswegs in so abschreckender Gestalt wie die zweite, mit welcher sie oft verwechselt wird. Auch der Löwe, der sich gegen die Tyrannen aufbäumt, schmückte erst die letztere, während die erste Ausgabe als Titelbild die Schlußscene des vierten Actes zeigte. Der buchhändlerische Betrieb dieses im Selbstverlag erschienenen Artikels war indeß anfangs nichts weniger als glänzend, und melancholisch blickte der junge Schiller auf den Stoß von Exemplaren, den er in seiner Stube aufgethürmt hatte und der sich mit der Zeit, nach dem gemeinen Loos sterblicher und unsterblicher Werke, in Maculatur zu verwandeln drohte.

Aus den Berichten der Genossen des Dichters, eines Streicher und Scharfenstein, kann man sich ein treues Bild dieser Situation entwerfen, die freilich nichts von dem Zauber hat, den das verklärende Auge der Nachwelt gern in sie hineinlegen möchte. Da sehen wir eine Stube, die mit einer gewöhnlichen Wachtstube eine bedenkliche Aehnlichkeit hat. Das Parterrezimmer auf dem „Kleinen Graben“, das stark nach Tabak duftete, hatte, außer einem großen Tisch und zwei Bänken, nichts an Mobiliar aufzuweisen; sein dekorativer Schmuck aber bestand in Militärgarderobe und angestrichenen Hosen; in der einen Ecke lag ein Haufen Kartoffeln nebst leeren Tellern, Bouteillen und dergleichen, in der andern der Bücherballen der „Räuber“.

Und der Dichterjüngling selbst entsprach keineswegs dem Ideal, welches eine mädchenhafte Phantasie sich von gottbegnadeten Poeten zu entwerfen pflegt. Er kam vielleicht gerade aus dem Dienste, eingepreßt in seine nach altem preußischen Schnitt fabricirte Uniform, auf jeder Seite des Gesichtes drei starre vergipste Rollen, welche Locken vorstellen sollten, einen kleinen Militärhut auf dem Scheitel, einen langen dicken Zopf am Hinterkopf und weiße Kamaschen an den Füßen, die er in dieser einzwängenden Bekleidung kaum bewegen konnte, sodaß er wie ein Storch einherstelzte. Und dann die Erscheinung des Dichters selbst, die baumlange, für einen Flügelmann prädestinirte Gestalt, die rothen Augenbrauen über den tiefliegenden grauen, meist entzündeten Augen, in denen nicht, wie in den Augen Goethe’s, der Ordensstern des Genius leuchtete! Dazu die blassen, eingefallenen Wangen, das dunkelrothe, buschige Haupthaar! Das war kein Adonis, und wenn sich der Dichter nicht, wie dies oft vorzukommen pflegt, in späteren Jahren verschönert hätte, so würde man alle seine Bilder und Statuen der verwegensten Schmeichelei anklagen müssen.

Das erlösende Wort für die in den Bücherballen gebundenen Geister der „Räuber“ sollte von Mannheim kommen; der Zauberstab der Bühne sollte, wie schon so oft, eine schlummernde Dichtung zu nationalem Leben erwecken. Dem Wunsche einer Umarbeitung, welchen der Mannheimer Intendant ausgesprochen, kam Schiller bereitwillig entgegen: sollte er doch auch ein bestimmtes Honorar dafür erhalten; er erklärte dem Freiherrn von Dalberg, „er werde es für ein ausnehmendes Glück schätzen, Seiner Excellenz wärmster Literaturliebe sich mit allem, was er sei, zu eigen zu machen“. Am Eifer des Dichters lag es nicht, wenn sich die Umarbeitung bis in den October 1781 hinein verzögerte, sondern an einem sehr unpoetischen Zwischenfall, an einer unter den Grenadieren ausgebrochenen Ruhrepidemie, welche die Thätigkeit des Regimentsmedicus in hohem Maße in Anspruch nahm und ihn besonders nöthigte, täglich auf der Wachtparade Rapport zu erstatten. Daß er diese Epidemie mit sehr energischen Mitteln bekämpfte, dafür bürgt zunächst schon sein Eifer, sie so rasch wie möglich aus dem Felde zu schlagen, weil sie seinem poetischen Schaffen gerade damals sehr im Wege war, doch auch sonst besaß er den Ruf eines Mediciners, der starke Dosen zu geben liebte; er war ein Kraftgenie in der Heilkunst, wie in der Dichtkunst. Das umgearbeitete Stück schickte er zunächst seinem Freunde Petersen zu, der ihm über Charakter, Vermittelung, Entwickelung, Dialog etc. eine mindestens sechs Bogen lange Kritik schreiben sollte. Dann wanderte das Manuscript nach Mannheim.

Doch der künstlerisch gebildete Intendant hatte immer neue Vorschläge zu Abänderungen zu machen: die Rathschläge der tonangebenden Dramaturgen sind den Dichtern oft genug verhängnißvoll geworden. Die Theaterausgabe der „Räuber“, die in solcher Weise zu Stande kam, steht gegen das Stück, wie es der Dichter im ersten Wurf gestaltete, wesentlich zurück, und es ist bedauerlich, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_046.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)