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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Hatte Frau Rohrwek Recht gehabt mit ihrer Bemerkung? Wendet man sich in solcher Vereinsamung wirklich an eine unvernünftige Creatur, an ein Thier, dem man seine sonst nirgends verstandene Liebe schenkt? „Bußbuß, ist es wirklich so? Bist Du meine ‚Altjungfern-Liebhaberei‘?“

Ein Lächeln umspielte Hilda’s Lippen. Nein, so weit war es noch nicht gekommen; die Menschen standen ihr doch noch näher, als ein Thier, und würde sich die ganze Welt von ihr wenden – Einer thäte es gewiß nicht; der Eine würde ihr treu bleiben – dessen war sie sicher.

Aber wo blieb er denn, der alte Freund, der wohlmeinende Vertraute und Rathgeber, an dessen Gegenwart sie fast wie an die eines Familiengliedes gewöhnt war? Einmal hatte sie ihm wohl weh thun müssen, aber das war lange her und seitdem vergeben und vergessen worden. „Die Freundschaft,“ dachte sie, „ist doch das Beste und Dauerhafteste auf Erden.“ Aber wo blieb er denn? Es hieß doch allzu weit gehen in der Rücksicht auf den Hausbesuch, daß er sich in den letzten Tagen seltener gemacht. Fürchtete er das junge Ehepaar zu stören, so war doch noch sie da. Er hätte gerade in diesem Augenblicke ihr erwachendes Mittheilungsbedürfniß ahnen sollen.

Indem sie, das Landschaftsbild vor Augen, weiter schritt, wendete sie sehnsüchtig den Blick der Stadt zu. Von dem Punkte, wohin Hilda im achtlosen Aufwärtswandeln über die sanft geneigte Fläche gelangt war, konnte man zwischen dem Schlosse und der kleinen Dorfansiedelung hindurch in das breite Flußthal sehen, wo die Straßen der Stadt sich ausdehnten. Lange, gerade Dunstbänke zogen sich über die Niederung; nur ein paar Kirchthürme stiegen darüber sonnenbeglänzt auf in den fahlblauen Himmel. Zarte Dunststreifen, die sich abgelöst hatten und weitergeflattert waren, hingen wie Schleier an der niederen Berglehne. Dort stand der Wald; er prangte nur noch im dunklen Grün der Fichte. Die Buche röthete sich schon, und gelblich färbte sich das dünne Laub der Birke.

Da fiel ein welkes Blatt vor Hilda’s Füße, langsam und leise wie ein müdes, sanftes Abschiedswort. Ein Seufzer hob ihre Brust.

Es ist Herbst.

Sie mußte es ohne zu wissen halblaut vor sich hingesagt haben; denn das Wort weckte ein Echo.

„Ja, Herbst! Und die melancholischste Jahreszeit ist es bei Gott, wenn man sie in dieser matten, charakterlosen Weise vor sich hat. Dort der Flußnebel und hier der Obstmost, beide im ersten Stadium ihrer Entwickelung und beide ungesund! Aber für uns Maler hat sie ihren besonderen Werth. Man muß nur die richtige Perspective wählen. Wenden Sie sich gefälligst um! Der Wein und der Wald! Da ist Kraft und Farbe. Weil aber die Kraft sich zu ihrer Entwickelung noch etwas Zeit läßt, so wollen wir uns an die Farbe halten. Malen wir vorerst! Ein guter Schluck folgt nach. Ich lobe mir den Herbst.“

Es war Edwin, der sich in einer seiner Rhapsodien erging. Hilda gab sich Mühe, in seinen oberflächlichen Ton einzustimmen und heiter zu erscheinen; denn sie schämte sich ihrer schwermüthigen Anwandlung. Es brauchte ja auch Niemand zu wissen, daß die kleinen Besorgnisse für sie eigentlich große waren.

Plaudernd und scherzend kamen sie allmählich an die Grenze des Baumgartens. Edwin war auf seinen Plan, eine malerische Stelle im Walde zu suchen, zurückgekommen, und Hilda – noch unter der Nachwirkung der bitteren Stimmung – meinte auch einmal ihren Aufsichtsposten beim Obstpflücken verlassen zu dürfen. So hatten sich Beide der Hecke genähert, welche Wiese und Wald schied, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch ein wüthendes Gebell von ihrem Gespräche abgelenkt wurde.

Diana, die sich ihnen, als sie eine Excursion in den Wald witterte, ganz still angeschlossen, war plötzlich in mächtigen Sätzen gegen das Drehkreuz in der Heckenöffnung losgefahren und gab nun mit voller Stimme Laut. Aber im Nu und ehe Hilda den Hund nur zurückrufen konnte, hatte sich der lärmende Angriff in einen kläglichen Rückzug verwandelt: mit eingezogenem Schweif und allen Zeichen des Entsetzens kroch der Hund winselnd rückwärts, stand dann still und retirirte endlich wieder.

„Es muß ein Igel sein,“ meinte Edwin, „und Diana wird sich an ihm die Schnauze verletzt haben. Wir wollen doch einmal nachsehen.“

„Wünsch’ recht guten Morgen,“ ließ sich da eine tiefe, glucksende Stimme vernehmen.

„Teufel, ist das der Igel?“ rief Edwin erschrocken.

„Mein Gott, was thut der Mensch nicht alles für sein tägliches Brod! Ein Igel hat’s vielleicht gar nicht so schlecht und ist jedenfalls sicher, nicht von einem solchen Galgenvieh gefressen zu werden.“

Hilda stieß einen leisen Laut der Verwunderung aus; denn der Sprecher war kein Anderer als der geheimnißvolle Taschenspieler und Bauchredner, den sie in der Geschäftigkeit und unter den neuen Eindrücken der letzten Tage beinahe vergessen hatte.

Auch diesmal war es wieder eine ungewöhnliche Situation, in welcher er sich hier zeigte. Niedergebeugt und mit den Händen gestützt, knieete er auf der Erde, mehr einem vierfüßigen Thiere als einem Menschen ähnlich. Da Diana, während er sprach, wieder Muth gefaßt hatte und nun mit erneutem Bellen auf ihn zufuhr, ergriff der seltsame Mann rasch den zu Boden gefallenen Hut mit den Zähnen an der Krempe und bewegte ihn dann nach rechts und links, in einer Weise, daß dabei die innere Höhlung gegen den Hund gekehrt war. Dieser zog sich, wie gebannt vor den starr auf ihn gerichteten Augen, abermals winselnd zurück.

Hilda gedachte unwillkürlich der Worte Meinhard’s von den kleinen Mitteln dieser Gattung Leute, machte aber der peinlichen Scene schnell ein Ende, indem sie den Hund scharf abrief und zugleich in sein Halsband griff.

„Schade!“ meinte ihr Begleiter. „Sie sollten das amüsante Duett nicht unterbrechen. Diana scheint gute Gründe zu haben, auf solche Landstreicher nicht gut zu sprechen zu sein. Es schadet gar nichts, wenn der Hund ihnen dieses verdächtige Herumlungern abgewöhnt. – Darf ich fragen, was Sie hier zu suchen haben?“ wendete er sich barsch an den sich langsam von den Knieen Erhebenden, dem solche Anstrengung seiner alten Glieder alles Blut in das ernste Gesicht getrieben hatte. Der Mann verbeugte sich indessen nichtsdestoweniger mit dem Aplomb eines Granden von Spanien vor Hilda.

„Ich darf mich wohl auf Sie berufen, mein schönes, gnädiges Fräulein?“ sagte er, den Fragesteller geringschätzig übersehend. „Ich genoß bei einem Morgenspaziergange auf diesem äußerst günstig gelegenen Punkte die herrliche Aussicht und mein sehr frugales Frühstück. Zweifelsohne hat dasselbe die Gier des Hundes erweckt. Du lieber Gott – es ist hart für einen Mann meiner Jahre, sein Leben gegen solchen Gegner vertheidigen zu müssen. Ein starkes Thier übrigens und von edler Rasse! Also Diana heißt Du? Komm’ her, Diana! Wir wollen Freundschaft schließen.“

Aber das Stückchen Speck und Brod, welches er dem Hunde hinhielt, versagte vollkommen seine Wirkung, und damit war auch am unzweideutigsten die Behauptung von der Verlockung, die es auf den noch zitternden und knurrenden Hund ausgeübt haben sollte, widerlegt.

„Mir scheint vielmehr, daß Sie sich hier in den Hinterhalt gelegt hatten, um etwas auszuspioniren,“ beharrte Edwin auf seiner ungünstigen Meinung. „Verlassen Sie gefälligst – –“

„Ich bin noch Ihre Schuldnerin von neulich,“ unterbrach ihn Hilda, indem sie sich an den unheimlichen Mann wandte. „Aber Sie machten sich so schnell unsichtbar –“

Sie holte mit einer gewissen ängstlichen Hast ihr Geldtäschchen hervor und entnahm demselben, ohne jedoch den Hund loszulassen, schnell und mit einer gewissen Befangenheit ein kleines Geschenk, das der Tausendkünstler unter den Gesten einer verschämten Weigerung mit einem geschickten Taschenspielergriff in seiner Weste verschwinden ließ.

„O, es ist nicht meine Absicht, gnädiges Fräulein –,“ sagte er in gut gespielter Verlegenheit und mit schlauer Miene, „in der That, ich bin es nicht gewohnt – es ist sehr drückend für einen Mann in meiner Lage.“ Er schwieg einen Augenblick; dann stammelte er, scheinbar gerührt: „Aber ich darf nicht stolz sein. Ich glaubte schon am Tage nach meinem unterthänigsten Besuche meine Einladung wiederholen zu können, aber der Termin meiner Vorstellung ist immer noch nicht fixirt. – Allerlei Schwierigkeiten bei der Ertheilung des magistratlichen Consenses verzögerten sie wider mein Erwarten. Ueberall Chicanen, gnädiges Fräulein! In dieser unfreiwilligen Muße sehe ich mich Verlegenheiten ausgesetzt – und da verwende ich die Zeit, so gut ich kann, zu Promenaden in dieser reizenden Gegend, aber ich habe mir nun einmal in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_058.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)