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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Und die Lampe, und die Stiefel?“

„O, das besorge ich Alles morgen früh mit beim Einkaufen.“

Die Hausfrau kann ruhig darüber sein, daß Beides auch – übermorgen noch nicht besorgt sein wird. Will sie aber anfangen zu schelten, so zeigt sich das Mädchen ganz zerknirscht von Reue; sie bittet demüthig um Vergebung, ja es kommt ihr nicht darauf an, noch spät am Abend mit verweinten Augen den Rest der Wäsche fertig zu legen. Man kann ihr nicht gram sein; sie hat so guten Willen und ist immer in athemloser Geschäftigkeit. Die Arbeit geht ihr, wie man zu sagen pflegt, zwar nicht „aus der Hand“, aber dieser Fehler ist eine Folge ihres zu guten Willens, ihrer zu großen Gutmüthigkeit.

Alle Hausgenossen benützen ihre Bereitwilligkeit, und so wird sie beständig hin und her gesprengt durch hundert verschiedene Befehle. Wohl hat sie nie schlechte Laune und macht keine Ansprüche, aber niemals auch ist ihre Küche sauber aufgeräumt und sie selbst nett angezogen; nie ist eine Arbeit zur bestimmten Stunde gethan.

Die „Selbstbewußte“ ist von alledem das Gegentheil. Ihr darf man überhaupt nur selten eine bestimmte Arbeit zuertheilen. Sie macht nur das, was sie will, und zu der Zeit, wo es ihr am besten paßt. Höchstens noch darf sich die Hausfrau gestatten, schüchtern zu fragen: „Heute wirst Du wohl die Wäsche rollen?“ „Weiß nicht, es ist noch nicht Alles trocken,“ antwortet das Mädchen in ziemlich brummigem Tone.

Die Frau geht fort, etwas ärgerlich über das vorlaute Wesen der Magd, der zu widersprechen sie doch nicht den rechten Muth hat. Am Abend aber findet sie die ganze Wäsche nicht nur gerollt, nein auch schon gebügelt vor. In der spiegelblanken Küche sitzt das Mädchen mit Näharbeit beschäftigt, so ruhig und gleichgültig, als hätte sie nicht in den wenigen Nachmittagsstunden außer dem Rollen und Bügeln auch noch das Putzen und Scheuern der ganzen Küche vollbracht.

Die Frau sieht es und freut sich darüber. Sie ist durstig und möchte gern noch ein Glas frischen Wassers haben. Wird sie das Mädchen wohl schicken, es zu holen? O, beileibe nicht! Sie nimmt selbst das Glas und geht damit hinaus an den Wasserhahn. Es ist nicht Hausbrauch, daß um zehn Uhr Abends noch Wasser geholt wird, und sie wagt es nicht, dem Mädchen solch eine außergewöhnliche Anstrengung zuzumuthen.

Die „Selbstbewußte“ ist stets flink, sauber, zuverlässig, aber sie macht, wie schon gesagt, nur was sie will, und der kleinste Querbefehl trübt ihre Laune auf halbe Tage hinaus. Wenn sie Gemüse zuputzt, so ist es nicht denkbar, daß sie abgerufen werden könnte, um einen Gang zu machen; wenn sie „Waschtag“ hat, so können ihretwegen ruhig Herr und Frau und Kinder verhungern; sie weicht nicht von ihrem Troge, bis das letzte Stück Wäsche fertig ist. Eine Mahnung, die Semmel bei einem andern Bäcker zu holen, die Milch in einem andern Gefäß abzukochen, als sie gerade für passend hält, wäre ebenso fruchtlos, wie der Versuch, ihr Einhalt zu thun, wenn sie sich für einen bestimmten Tag das große Scheuerfest vorgenommen hat. Still und geduldig fügt man sich in ihre Tyrannei, bis dieselbe doch einmal gar zu arg wird; da endlich faßt man den heroischen Entschluß, ihr doch zu kündigen. Der „Erste“ des Monats ist da. Mit Herzklopfen steht die Hausfrau auf; sie hat schon die ganze Nacht nicht geschlafen und sich hundertmal überlegt, mit welchen Worten sie die beabsichtigte Kündigung einleiten soll. Alles, womit das Mädchen sie in der letzten Zeit ärgerte, hat sie sich in’s Gedächtniß zurückgerufen, um sich zur nöthigen Höhe der Entrüstung hinauf zu schrauben. Jetzt schreitet sie in die Küche, gepanzert in ihrem Innern, jede Muskel schlagfertig. Da tritt ihr die Magd entgegen, ein blüthenweißes, duftiges Häubchen in der Hand:

„Was? Gnädige Frau sind schon auf? Wie schade! Gerade wollte ich das Morgenhäubchen heimlich hinein legen; ich weiß doch, daß es gnädige Frau gern recht bald haben wollten, da hab’ ich es nicht zur Wäscherin getragen, sondern gleich selbst garnirt.“

„Ja, aber Minna – wann denn?“ stammelt die Frau, in allen ihren Maßnahmen erschüttert, „wann hast Du denn das gemacht?“

„Na, gestern Abend,“ triumphirt das Mädchen, „just um ein Uhr Nachts war ich fertig.“

Die Frau steht verblüfft da. Soll sie jetzt ihre schön ausgedachte Rede halten? Unmöglich! O Minna, du Pfifficus, du hast es gar wohl gewußt, daß heute der „Erste“ ist, und mit Hülfe deines Kalenders hast du dir abermals den Sieg gesichert.

Die „Gutmüthige“ und die „Selbstbewußte“, Beide bleiben sie meistens längere Zeit in einem Dienste. Die Erstere behält man aus Mitleid immer wieder, und die Letztere versteht es, sich so unentbehrlich zu machen, daß man sich stets auf’s Neue ihrer Alleinherrschaft im Hause fügt. Pfiffig wie sie ist, studirt sie genau den Charakter ihrer Herrschaft und weiß die kleinen Schwächen jedes einzelnen Familiengliedes zu benutzen. Sie erkundigt sich zehnmal am Tage mit bedauernder Miene nach den Zuständen der nervösen Dame des Hauses; sie legt dem Herrn pünktlich und genau jeden Gegenstand, den er braucht, an den dazu bestimmten Ort; sie öffnet ihm die Hausthür, ehe er noch die Glocke gezogen hat. Den erwachsenen Töchtern bringt sie die Neuigkeiten der Stadt nach Hause, und den Sohn benachrichtigt sie rechtzeitig, wenn Damenbesuch da ist, damit er geräuschlos in sein Zimmer verschwinden kann, statt in den Rachen der Besucherinnen zu fallen. Den Kindern hilft sie bei ihren Weihnachtsarbeiten für die Eltern oder steckt ihnen heimlich ein Butterbrod zu. Ein solcher „Tresor“, wie man dergleichen Unicum zu nennen pflegt, dient am liebsten allein in einem Hause, da er sich selten mit Nebendienstboten vertragen kann. Solch ein Mädchen ist auch fast immer ein Erbstück der Familie, etwa die Amme des ältesten Kindes oder gar die Amme der jungen Hausfrau selbst. Sie ist mit der Geschichte der Familie vertraut bis in die kleinsten Falten und kennt jedes Geräth im Hause, jedes Stück Wäsche viel genauer, als die Besitzerin dieser Dinge selbst.

Kommt aber solch ein „Tresor“ doch einmal in einen andern Dienst, so ergiebt es sich meistens, daß man dort durchaus nicht ebenso zufrieden mit ihm ist. Ich habe überhaupt ein entschiedenes Mißtrauen gegen solche lebendige Familienerbstücke.

Keiner Herrschaft möchte ich gerathen haben, meine alte „Strieglermutter“ in den Dienst zu nehmen, nachdem sie in unserem Hofe durch siebenundzwanzig Jahre gedient und sich dort als Factotum so unentbehrlich gemacht hatte, daß man sich unsere Wirthschaft gar nicht hätte vorstellen können ohne die „Strieglern“. Eigentlich war sie ihres Zeichens Garten- und Waschfrau. Aber sie hatte auch andere Aemter: war eine Kuh krank, so mußte sie bei derselben wachen; fuhren wir in’s Theater, so blieb sie bei den Kindern – zu deren größtem Jubel und Entzücken; denn so schöne Geschichten wie die alte „Strieglern“ konnte Niemand erzählen. Gab es einen Geldbrief zu besorgen, oder einen besonders delicaten Auftrag mündlich zu bestellen, wer anders als sie hätte der Bote sein können?

Wenn diese Frau später zu einer andern Herrschaft gekommen wäre, so hätte sie gewiß nur die stehende Redensart solcher Familienerbstücke im Munde geführt: „Bei uns wurde das anders gemacht; unsere Herrschaft machte es so und so“, etc. Unmöglich hätte sie sich in ein anderes Regiment fügen können, und so ist es am besten, daß sie an dem Orte blieb, wo ich ihr lebenslängliche Wohnung mit Gärtchen für den Rest ihrer Tage gesichert hatte.

Die gewöhnlichen bunt bekritzelten Dienstbücher unserer Stuben- und Küchenmädchen, die für jedes Jahr mehrere gefüllte Seiten von Zeugnissen aufzuweisen haben, sind mir stets sehr verdächtig. Am liebsten nehme ich ein Mädchen aus braver, solider Familie, die noch gar nicht gedient hat, aber zu Haus überall tüchtig mit zugreifen mußte; denn in den bei uns üblichen Zeugnissen ist ja überhaupt nichts weiter zu berücksichtigen, als die Dauer des Dienstes; einen Tadel schreibt ja Niemand hinein. So lange die Herrschaften sich nicht entschließen, genauere Atteste auszustellen, werden die Dienstbücher nicht mehr Werth für sie haben, als ein polizeilicher Aufenthaltsschein. Und doch ist solches Angeben der Wahrheit ein schwierig Ding. Ich habe es ein einziges Mal versucht, werde es aber für alle Zukunft bleiben lassen. „Ist ehrlich gewesen, aber sehr nachlässig,“ schrieb ich einer Küchenmagd in’s Buch. In Folge dessen hatte ich dreimal an Amtsstelle zu erscheinen und mußte eine lange schriftliche Erklärung über die gerügten Vernachlässigungen abgeben. Nun, das Verzeichniß des zerbrochenen Geschirres, der angebrannten Suppen etc. war lang genug, um dem Herrn vom Gericht zu imponiren – mein Attest blieb daher auch unverändert stehen. Aber an diese stundenlangen Zeugenverhöre will ich denken, so oft ich wieder die Feder ansetze zu einem Dienst-Attest.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_063.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)