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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Ich meine übrigens, in das Gesicht und auf das ganze Gebahren eines Mädchens muß man mehr sehen, als in ihre Zeugnisse. Dann muß vor Allem nach der Familie gefragt oder mündlich Nachfrage gehalten werden bei der letzten Herrschaft. Das sind die einzigen Vorsichtsmaßregeln, die man ergreifen kann – sie werden selten ganz trügen.

Hat man aber einmal ein Mädchen in’s Haus genommen, deren Aeußeres und Herkommen Vertrauen einflößt, dann zeige man ihr auch Vertrauen! Viele Frauen klagen: „Nicht das Geringste kann man stehen lassen vor dieser Näscherin.“ Eben weil jede Kleinigkeit weggeschlossen wird, so glaubt das Mädchen in seinem Recht zu sein, wenn sie dasjenige verbrauchte, was nicht verschlossen wurde. Wenn Du sie aber daran gewöhnst, selbst Speisereste aufzubewahren, nachdem sie den ihr gebührenden Theil davon empfangen hat, so wird Dein Mädchen solches Vertrauen meist zu würdigen wissen.

Aehnlich verhält es sich auch mit dem Vertrauen in wichtigeren Dingen. Nur ein Dienstbote, vor dem man mit peinlicher Sorgfalt jedes Familienereigniß geheim hält, den man energisch ausschließt von allen Interessen seiner Herrschaft, nur ein solcher wird an den Thüren horchen und das dort Erlauschte weiter klatschen. Wenn ich irgend ein Vorkommniß im Hause geheim halten will, so ist gewiß das Erste, daß ich es meinem Dienstmädchen erzähle mit der Anempfehlung, die Sache nicht weiter zu sagen. Wie stolz, wie geehrt fühlt sich das Mädchen durch solches Vertrauen! Wenn sie brav und rechtschaffen ist, so wird sie das Geheimniß ihrer Herrschaft hüten wie ihr eigenes. Das ihr anvertraute Geheimniß ist ein Heiligthum für sie, aber was sie erhorcht oder errathen hat, fühlt sie sich nicht verpflichtet, heilig zu halten.

Ein Dienstbote, der das Vertrauen seiner Herrschaft genießt, wird sich überdies bald genug den nöthigen Tact aneignen, um nicht störend in die intimen Beziehungen des Hauses einzugreifen. Er wird es bemerken, daß das Gespräch bei seinem Eintritte stockt, und deshalb die im Zimmer nöthige Verrichtung so rasch als möglich erledigen. „Wie der Herr, so der Knecht“, es giebt kein wahreres Sprüchwort.

Wer nur fühllose Maschinen als Dienerschaft wünscht, der wird sie bald genug haben; er darf aber auch dann von diesen Automaten nicht mehr verlangen, als daß sie die tägliche Aufgabe richtig abschnurren; er darf nicht erwarten, daß sie in entscheidenden Momenten das Maß ihrer Pflichten freudig überschreiten, um der Herrschaft ihre Liebe und Anhänglichkeit zu bezeigen.

Gute und treue Dienerschaft muß man sich selbst erziehen; sie wächst nicht in den Vermittelungsbureaux heran. Zwischen Vertrauen und Vertraulichkeit aber ist noch ein großer Unterschied, und nur das erstere sollen unsere Dienstboten von uns genießen. Hier ist die Klippe, die am schwersten zu umschiffen, die Grenze, die am schwersten einzuhalten ist. Durch würdig ernstes Vertrauen gewinnen wir uns die Herzen unserer Dienerschaft; durch läppische Vertraulichkeit geben wir uns selbst in ihre Hände. So wie ein Kind niemals, selbst in den Momenten zärtlichster Hingabe nicht, vergessen darf, daß es Vater und Mutter vor sich hat, nicht gleichstehende Gespielen, so darf auch ein Dienstbote – selbst wenn er seit vielen Jahren im Haus wäre – nie seine dienende Stellung zur Herrschaft vergessen. Dieses Bewußtsein braucht kein drückendes zu sein; es ist im Gegentheil ein erhebendes.

Einen Dienstboten, wie er sein soll, kann das Vertrauen seines Herrn nur um so mehr erheben, je tiefer er sich an Bildung unter demselben stehen fühlt, und dieses Vertrauen wird ihn sicher weit mehr befriedigen, als jene leichtfertige Vertraulichkeit, die er bei seines Gleichen überall finden kann, also nicht erst bei der Herrschaft zu suchen braucht.

Von einem Dienstboten, den man in dieser Weise vertrauensvoll an sich herangezogen hat, muß man dann aber auch etwas verlangen können. Man darf nicht nur verlangen, daß er das ihm Anbefohlene pünktlich ausführt, nein, man muß auch darauf halten, daß er selbst etwas sieht. Ich kenne eine Dame, welche ihrem Stubenmädchen klingelt und, wenn dasselbe eingetreten ist, nur die drei Worte zu ihr sagt: „Sieh Dich um!“ oder: „Was fehlt denn auf dem Tisch?“

Immer muß das Mädchen selbst finden, was sie versäumt hat. Es ist ein klein wenig Grausamkeit bei diesem Vorgehen, das gebe ich zu; denn das arme Ding steht dann wie mit Blut übergossen da und läßt in tödtlicher Verlegenheit die Blicke rundum schweifen. Weiß sie doch nicht, ob das, was sie sehen soll, ein Spinnengewebe an der Zimmerdecke oder ein Schmutzfleck auf dem Boden ist! Aber gerade die kleine Strafe dieser Verlegenheit ist recht wirksam, und jene Dame hat stets sehr accurate Dienstleute.

Einem braven und anstelligen Mädchen sollte man auch die Eintheilung der Arbeit zum größeren Theil selbst überlassen. Sobald sie lange genug im Hause ist, um einen Ueberblick über die gesammte ihr zufallende Arbeit gewonnen zu haben, ist sie selbst auch diejenige, die sich ihre Zeit am besten eintheilen kann, und erspart sie durch kluge Zeitbenutzung ab und zu ein Stündchen, so sei die Hausfrau nicht so grausam, ihr zur Ausfüllung desselben eine besondere, neue Arbeit zu dictiren. Es ist ein falsches Princip, zu sagen: „Meine Dienstboten müssen von sechs Uhr früh bis acht Uhr Abends arbeiten.“ Es muß heißen: „Meine Dienstboten haben dies und das zu vollenden; ob sie damit um sechs Uhr fertig sind oder bis in die Nacht hinein arbeiten, das ist ihre Sache.“

Faule und unordentliche Dienerschaft, vor Allem aber Lügner, würde ich nie im Hause behalten. Da ist, wie das Sprüchwort sagt, „der erste Aerger der beste“. Die angelobte Reue und Besserung hat meistens nur kurze Zeit Bestand, und man thut später doch, was man besser sogleich gethan hätte.

Da heißt es eben: wechseln, immer wieder wechseln, bis man eine Person erlangt hat, die ehrlich und aufrichtig ist und mit gutem Willen und Fleiß an die Arbeit geht. Ist aber eine solche gefunden, dann sei sie auch danach gehalten! Wenn ein gutes Mädchen bei Euch nicht gedeiht und nicht Stand hält, dann seid Ihr selbst daran schuld, verehrte Hausfrauen und Mitschwestern.

Ich sehe Euch im Geiste leise den Kopf schütteln. Ihr mögt es nicht gern geschehen lassen, daß man den Spieß herumdreht und Euch selbst als die Schuldigen hinstellt. Aber dieser Weg ist in jeder mißlichen Sache der einzig richtige zur Abhülfe. Zuerst muß man immer fragen: „Trage ich selbst keinen Theil an der Schuld?“ ehe man den Stab bricht über Andere, und es ist seltsam, daß auf diese Frage meistens ein rasches, entrüstetes: „O nein!“ zu erschallen pflegt, das sich aber bei näherer Beleuchtung oft in ein beschämt demüthiges „Ja – vielleicht doch!“ verkehrt.

So ist es auch in der leidigen Dienstbotenfrage, bei der die Schuld häufiger als sonst irgendwo auf beiden Seiten liegt, wenn unsere Frauen klagen: „Es giebt keine braven Dienstleute mehr“, und die dienende Classe seufzt: „Es giebt keine guten[WS 1] Herrschaften mehr“.

Gar komisch war mir die Klage einer Hausfrau, die da sagte: „Sowie man ein braves Mädchen hat – Schwupp, heirathet sie Einer weg. Warum nur nicht lieber die unordentlichen heirathen? Es wäre doch wohl weniger schade um sie.“

Das macht eben: die Männer haben den unbegreiflichen Geschmack, lieber nach den braven und fleißigen Mädchen zu greifen.

Es ist eine schöne, milde Ansicht, daß jeder Mensch sich bessern kann und daß man also Nachsicht haben soll, vorzüglich mit Dienstleuten, aber in der Praxis ist diese Ansicht nur auf einen bestimmten Kreis von Fehlern anwendbar. Nachlässigkeit, unbeholfenes Wesen, ja sogar Unsauberkeit läßt sich zuweilen bei den Dienstboten bessern, aber Frechheit, Betrügerei, Verstocktheit, Lügen- und Launenhaftigkeit niemals! Wer also die Humanität nicht so weit treiben will, aus seinem Heim eine Besserungsanstalt zu machen, der handelt klüger, wenn er Dienstboten so schnell als möglich entläßt, an denen sich einer der obigen Charakterfehler gezeigt hat.

Und nun die Moral von meiner Plauderei? Das Geschlecht der braven, treuen Dienstboten ist nicht ausgestorben, und wer da sucht, der wird auch heute noch finden. Ader er soll das „Gefundene“ dann auch werth und warm halten – nicht in blinder Schwäche, nicht in läppischer Vertraulichkeit, aber in freundlich theilnehmender Weise, ganz ähnlich der Art, die zwischen guten Eltern und braven Kindern herrscht. Ein Dienstbote aber, der solch eine Herrschaft gefunden hat, soll auch seinerseits Alles aufbieten, um sich deren Vertrauen und Zufriedenheit zu erhalten; denn was auch trügerische Verheißungen ihm vorspiegeln mögen von höherem Lohne, mehr Freiheit u. dergl. m. in anderen Häusern, er hat das Beste gefunden, was es geben kann, nächst der eigenen Heimath, so oft ist er sogar bei einer guten Herrschaft noch sicherer geborgen, als im eigenen Elternhause.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gute
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_064.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)