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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

er dann. „Die Tasten schlagen zu den frivolen Liedern, die sie singt, wie mir dies zugemuthet worden? Der Mann muß seiner Frau zur Seite stehen und für sie sorgen, so heißt ja Euer Sprüchlein, aber wendet doch einmal das Blatt! Lehrt die Frau doch lieber, mit dem kärglichen Schreiberlohn des Mannes sich begnügen. Freilich, für Alma reichte ein ganzes Vermögen nicht aus; mit vollen Händen streute sie das Geld aus, unbekümmert, woher es kam; sie erschmeichelte, erlistete, erzwang es und fragte, wenn sie es verpraßte, nicht, welchen Preis es galt, war es auch das Leben ihres Kindes. Wie ein Licht ohne Oel verging die holde Kleine an meiner Seite, und ich sah zu und konnte nichts thun, den armen in Durst verdorrten Lippen nicht einmal einen Schluck Wasser reichen, denn ich lag selber gelähmt und einsam auf dem Stroh – kein Ohr da, das meine Stimme erreichen konnte – ach –“

Wie ein tiefes Schluchzen kam es aus seiner Brust.

„Entsetzlich!“ flüsterte Hilda, und ihre Finger schlangen sich bis zum schmerzhaften Drucke in einander.

„Es ist gewiß nicht Alma’s Schuld gewesen,“ meinte der alte Schauspieler. „Wir Künstler wissen, mit wie schwerem Herzen wir oft unserem Berufe folgen müssen.“

„Ja, ihrem Berufe!“ stieß Wilhelm mit unsäglicher Verachtung hervor.

„Und es war auch ein allzu schweres Loos,“ fuhr der Taschenspieler fort, „das ihr aufgebürdet worden. Wie konnte sie ahnen, als sie den Umwerbungen eines eleganten reichen Officiers nachgab, daß sie einst als das Weib eines Flüchtlings – eines Wechselfäl–“

„Schweig!“ unterbrach ihn Wilhelm. „Ich denke, Du weißt am besten, wie ich dazu kam, jene unseligen Papiere zu unterschreiben. Von jener Zeit an –“

Mühsam nur hatte der Kranke die letzten Worte gesprochen. Seine Zunge rang mit einem unsichtbaren Hemmniß – jetzt versagte sie ihm ganz. Leise aufstöhnend sank er zurück; er war furchtbar bleich geworden und preßte die Hand krampfhaft auf die Brust.

Bestürzt neigte sich Hilda über ihn.

„Was ist Dir? Wilhelm, was ist Dir? Er wird ohnmächtig – schnell das Wasser!“

Und ohne zu beachten, aus wessen Händen, nahm sie das von Schöpf dargereichte Glas, netzte Stirn und Schläfen ihres Bruders und suchte ihm einige Tropfen einzuflößen. Er nickte ihr leise zu.

„Es ist nichts, nichts,“ sagte er mit schwacher Stimme, „nur wieder ein bischen Herzklopfen!“

Er versuchte sogar zu lächeln.

Da sank Hilda in dem schmalen Raume zwischen Tisch und Bank auf die Kniee und legte ihre Stirn auf seine Hand, die sie mit ihren beiden Händen krampfhaft drückte.

„Mein Bruder, mein armer Bruder!“ weinte sie, und nach einer kleinen Weile erst fügte sie flehend hinzu:

„Vergieb mir!“

„Ich Dir?“ fragte er, dann aber wehrte er ihr leise:

„Ich soll mich nicht aufregen, weißt Du – das dumme Herzklopfen –“

„Soll ich den Arzt rufen?“

„Nein, nein – ich bin es schon gewohnt,“ beschwichtigte er ihre Angst. „Und es ist auch schon vorüber – nur eben keine Aufregung!“

Sie hatte sich erhoben und wendete sich streng zu Schöpf.

„Sie hören es. Gehen Sie!“

„Mit dem größten Vergnügen, sobald wir uns nur erst geeinigt haben. Als Vertreter meiner Tochter darf ich nicht früher weichen. Unsere Ansprüche sind bescheiden und –“

„Unverschämt!“ unterbrach ihn Hilda.

„Sie haben ja noch nicht gehört, wie hoch sie sich belaufen.“

„Machen Sie dieselben vor Gericht geltend, wenn Sie wollen, aber befreien Sie uns endlich von Ihrer Gegenwart! – O, daß doch Meinhard hier wäre!“

Ihr Seufzer rief bei Schöpf nur ein breites, widerliches Lachen über das ganze Gesicht hervor, daß eine häßliche Reihe geschwärzter und mangelhafter Zähne zum Vorschein kam.

„Soll ich ihn etwa herbeiholen?“ spottete er. „Damit wäre Ihnen wohl selbst der schlimmste Dienst erwiesen. Sie haben doch den Herrn Bezirkshauptmann gemeint? Scharmanter Mann, habe ja schon die Ehre seiner Bekanntschaft. Aber für steckbrieflich verfolgte – Auswanderer ist eine nähere Berührung mit der hohen Obrigkeit eben nicht sehr wünschenswerth, vermuthe ich.“

„Höre nicht auf ihn, die Strafverfolgung ist verjährt,“ sagte Wilhelm zu der ihn bestürzt anblickenden Schwester. „Ich habe mich genau darnach erkundigt. Nach dem österreichischen Gesetze genügen schon fünf Jahre dazu.“

„Sehr zutreffend, sehr präcis! Der Gewährsmann hat nur eine Kleinigkeit übersehen, eine winzige Klausel. Er ist wohl ein Rechtsgelehrter, der mit dem deutschen Gesetzbuche, in welchem sie nicht enthalten ist, vertrauter war, als mit dem österreichischen?“

„Was soll das für eine Klausel sein?“

„Die Bestimmung – es müssen recht umsichtige Leute gewesen sein, die sie aufgenommen – die Bestimmung – eine kleinliche Einschränkung, nicht zu leugnen, welche die ganze Rechtswohlthat eigentlich illusorisch macht – oder doch in der Regel bis zur Unbrauchbarkeit verkümmert – die Bestimmung,“ und nochmals hielt Schöpf mit einem grausamen Behagen an der Folter seiner Zuhörer inne, ehe er seine Rede vollendete, „die Bestimmung, daß die Verjährung nur Jenen zu Gute kommt, welche sich nicht aus den österreichischen Staaten geflüchtet haben. – Diese Rückkehr, mein Herr Schwiegersohn, war doch ein wenig unvorsichtig.“

„Ist das auch gewiß?“ fragte Hilda betroffen.

„Sie brauchen die Frage nur Herrn Statthaltereirath Meinhard vorzulegen und abzuwarten, ob die Verhaftung erfolgt.“

„O nimmermehr – er würde nicht – –!“ rief sie mit dem Ausdrucke voller Ueberzeugung.

Schöpf zuckte die Achseln.

„Aber die ihm untergebene Polizei! Es ist der Staat, in dessen Amt und Pflicht er steht. Meinen Sie nicht, daß es vielleicht doch besser wäre, den Ausgang dieses Conflictes nicht erst abzuwarten?“

„Hat er Recht, Wilhelm?“ fragte sie angstvoll, ihrem Bruder die Antwort von den geschlossenen Augen abzulesen bemüht, als aber keine andere erfolgte, als ein leises Erheben und Fallenlassen der Hand, eine stumme Bestätigung, es werde wohl so sein, da rang sich ein banger Klagelaut aus ihrer zitternd athmenden Brust … „Was thun?“

„Die gefährliche Position räumen,“ rieth Schöpf. „Ueber diese unangenehme Grenze wieder zurückgehen! Es muß ja nicht gerade nach Amerika sein. Mit einem kleinen Capital läßt sich irgendwo in der Schweiz, in einem Winkel Deutschlands oder Italiens eine neue Existenz gründen. Ich glaube nicht, daß noch sehr emsig nach einem gewissen Wilhelm von Reinach gesucht wird; die Polizei erfreut sich zu unausgesetzt neuer, interessanter Aufgaben für ihren Scharfsinn, als daß sie Lust verspüren sollte, ohne besondere Nöthigung sich mit der Ausräumung alter, vergessener Fälle, an denen Niemand mehr ein Interesse hat, zu befassen. Materiellen Schaden hat Niemand gelitten, und der moralische der Gesellschaft – bah! Man muß sich nur nicht geradezu in des Löwen Rachen setzen. Schon von Altersher gilt das Sprüchwort: Wer sich in die Gefahr begiebt –“

„So thun Sie denn, wozu Sie sich erbieten – bringen Sie ihn in Sicherheit!“ flehte ihn Hilda an.

„Mit Vergnügen – unter gewissen Bedingungen.“

„Nennen Sie Ihre Forderungen!“

„Ich hatte schon die Ehre, mein Fräulein, davon zu sprechen. Sobald die Abfindungssumme in meinen Händen ist – ich bin ein Freund klarer Geschäfte.“

„O!“ meinte Wilhelm, wieder in der müden, ironischen Gelassenheit, die seine Schwester zuerst so sehr gereizt hatte. „Das ist mir neu.“

Schöpf gab sich die Miene, als habe er die Bemerkung nicht gehört. Dem Sieger geziemt ja Großmuth.

„Sie werden finden, daß wir die Lage nicht mißbrauchen und wirklich bescheiden sind. Wir begnügen uns mit – zehntausend Gulden.“

„Zehntausend?“ wiederholte Hilda erschreckt. „Mein Gott, ich kann über soviel nicht verfügen.“

„Du sollst auch nicht,“ erklärte ihr Bruder matt, aber fest. „Keinen Heller mehr diesem Unersättlichen!“

Schöpf faßte seinen Hut und setzte ihn mit trotzig frecher Miene auf. Seine Augen schossen einen tückischen Blitz.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_075.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2023)