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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Soll auch ich glauben, daß es nur ein Bischen Frühaufstehen ist, ein Bischen Schläfrigkeit und weiter nichts?“

Er fühlte wohl ein leises Zucken der Finger, die er festhielt, die Entgegnung aber klang ganz ruhig und fast ungeduldig: „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Ich habe es Ihnen schon früher gesagt,“ erwiderte Meinhard, „ich vermisse an Ihnen die gewohnte Frische und Heiterkeit. Sie sind anders als sonst; das ist mir nicht erst heute aufgefallen, nur heute mehr als in den letzten Tagen. Sie sind matt und doch unruhig, wie in heimlicher Aufregung; Sie sind ernst und von einem Gedanken ganz hingenommen. Glauben Sie, daß mir, der ich der Vertraute Ihrer Seele bin und in ihr zu lesen meine, wie in der eigenen – glauben Sie, daß mir solche Zeichen entgehen? Es bedrückt Sie etwas, Hilda.“

„Es ist nichts,“ flüsterte sie, aber jedes Wort des Freundes ließ sie im Innersten erbeben. Es war ihr, als stünde ihr Geheimniß in großen Buchstaben auf ihrer Stirn geschrieben – und noch war nichts gethan, der drohenden Entdeckung zu begegnen. Der arme Kranke lag noch immer im Jägerhause; sein Fuß genas zwar, aber die Besorgniß erregende Schwäche und Mattigkeit wollte nicht schwinden, und Schöpf’s Ueberwachung – wenn auch, wie er cynisch erklärte, im gemeinsamen Interesse und zu gemeinsamer Sicherheit ebenso nach außen, als nach innen gerichtet – vermochte Hilda nicht zu beruhigen.

Immer wieder in dieser Bedrängniß war ihr Geist zu Meinhard zurückgekehrt. Es schien ihr unsäglich hart, gerade diesmal die bange Frage nach seiner Ansicht zurückzuhalten. Das hatte ihr alle Sicherheit, Meinhard gegenüber, geraubt. Instinctiv suchte sie seine Nähe, um ihm dann wieder erschrocken auszuweichen. Ihr war, als müsse sie sich an seiner Hand halten, und jetzt wurde sie ihr ja auch geboten voll Herzlichkeit und zarter Theilnahme – und doch durfte sie dieselbe nicht ergreifen; denn was konnte diese Hand ihr bieten? Statt Rettung nur Verderben! Sie sah in dem besorgt prüfenden, treuen Auge des Freundes nur den mißtrauischen Forscherblick des Staatsbeamten.

„Warum wollen Sie mich täuschen?“ fragte Meinhard warm. „Es sieht Ihrem tapferen Herzen ganz ähnlich, das, was Sie bedrückt, allein tragen zu wollen, aber werden Sie das auf die Dauer vermögen, Hilda?“

Sie schwieg. Ein sanfter Wind hatte sich erhoben und strich leise durch den Jungwald, der an der einen Seite des Weges hinlief. Das Flüstern des Windes klang wie ein stöhnendes: „Du verräthst mich, Du verräthst mich, Schwester!“

Und dort – dort – stand dort drüben an der linken Seite der Straße nicht eine derbe, untersetzte Gestalt, wie plötzlich aus dem sumpfigen Graben aufgetaucht, und winkte sie nicht mit drohend emporgestreckten Armen ihr zu? War das nicht Schöpf? Hatte man sie hier erwartet? Aber was wollte er nur? Ein paar Schritte weiter – und das breite, freche Gesicht, das sie zu sehen gewähnt, zerrann. Nichts blieb von der unheimlichen Erscheinung, als ein knorpeliger Weidenstamm; sie eilte scheu daran vorüber, und ihr Herz pochte so stark, daß es ihr war, als müßte ihr Begleiter es schlagen hören. Und doch zog sie die Hand nicht von seinem stützenden Arm; nein, ja eben erst hatte sie in unwillkürlicher Angst sich noch dichter an den schützenden Mann gelehnt.

„Sehen Sie,“ sägte Meinhard, der diese Bewegung falsch gedeutet hatte, „es ist also doch, wie ich es mir gedacht. Ihre Stellung im Hause hat sich verändert. Das mußte so kommen, aber es hat Sie nun doch unvorbereitet getroffen. Sie fühlen sich zur Seite geschoben, beinahe – überflüssig. Ist es das, Hilda?“

Sie blieb auch diesmal die Antwort schuldig.

„Sollten Sie wirklich darüber noch nicht nachgedacht haben?“ fuhr er fort. „Ich habe bemerkt, wie alles in Waltershofen auf einen anderen Fuß gestellt wird, der wohl den neuen Verhältnissen entsprechen mag, mit dem Sie sich aber in Ihren bescheidenen Gewohnheiten schwer abfinden werden. Was mir auffiel, kann Ihnen ja nicht entgangen sein. Sie haben bisher ein so schönes einfaches und thätiges Familienleben geführt, daß ich mir nicht denken kann, Sie fühlten den Unterschied gar nicht. Es ist nur ein Zeichen von bewundernswerther Selbstbeherrschung, wenn Sie sich darüber bisher noch nicht geäußert haben. Darf auch ich nicht in Ihre Gedanken eingeweiht werden, Hilda? Habe ich je Ihr Vertrauen mißbraucht?“

Ein Druck ihrer Hand brachte ihn zu lebhafterem Sprechen.

„Haben Sie noch keinen Blick in die Zukunft gethan?“ fragte er mit dem Tone innerlichster Bewegung. „Werden Sie sich jemals daran gewöhnen können, in dem Hause, das Sie bisher geleitet, blos zuzusehen, nicht selbst einzugreifen, wo es Ihnen noth dünkt? Ihre thätige Natur muß sich regen. Sie werden daran denken müssen, sich einen Wirkungskreis zu schaffen, Hilda. Vielleicht wissen Sie es selbst nicht, daß Sie nur glücklich sein können, wo Sie glücklich machen. Unmöglich können Sie einzig und allein als barmherzige Schwester den ganzen Fonds von Liebe verbrauchen, aus dem Sie bisher für das Glück Anderer schöpften. Ich bin heute, als über die Krankenpflege disputirt wurde, nicht dazu gekommen, auszusprechen, was ich hierüber denke, aber ich möchte Sie fragen, ob die Krankenpflege das ganze Dasein einer geistig regen Frau auszufüllen vermag, den einen Fall ausgenommen, wo all die Opfer an Selbstverleugnung gar keine Opfer mehr sind, weil sie einem theuren Angehörigen, einem Gatten, einem Kinde, einem Bruder gebracht werden –“

Ihre Hand schlüpfte aus der seinen. So wußte er doch –?

(Fortsetzung folgt.




Am alten Schloß.

Jung trag’ ich es noch in den Sinnen,
0 Ob grau mir der Bart auch sproß –
Mit Brücken und Erkern und Zinnen
0 Das gartenumduftete Schloß.

In den Hallen die Wappenschilder,
0 In den Sälen manch prunkender Schrein,
Der Satyr, die Götterbilder
0 Im quellendurchrieselten Hain!

Wo Sphinx und Marmorsibylle
0 Sich spiegeln am rauschenden Wehr,
Da kam in des Abends Hülle
0 Mein schlankes Mädchen daher.

Ich wollte, ich’ wäre gestorben,
0 Als heiß mich ihr Odem umfloß – –
Mein Mädchen, das ist verdorben;
0 In Trümmern liegt das Schloß.

Und Satyr und Sphinx und Sibylle
0 Umwuchert nun Epheu und Moos;
Darüber schläft heimliche Stille,
0 Schwermüthig und schweigend und groß.

Die rieselnden Quellen verronnen,
0 Verödet der Gärten Kranz –
Im Hofe der gothische Bronnen
0 Verlernte sein Plätschern ganz.

Ein Dornbusch steht daneben;
0 Dran hangen, so weiß wie Schnee,
Unter knospenden Rankengeweben
0 Die wilden Rosen wie eh’.

Ich pflück’ aus dem Knospengetriebe
0 Eine Rose vom schwanken Zweig –
Die blickt, wie die todte Liebe,
0 So weh mich an und so bleich.

Mich faßt ein unendliches Trauern,
0 Daß Jugend und Liebe vorbei –
Hoch über zerborstenen Mauern
0 Durchschreit’ ich die öde Bastei.

Da rauscht aus den Mauerringen
0 Ein Adler über das Land
Und schüttet den Schutt aus den Schwingen
0 Auf die Rose in meiner Hand.

 Ernst Ziel.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_092.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)