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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

harter Schlag; denn die finanziellen Bedrängnisse, in welche der König durch seine Kriege gerathen war, nöthigten ihn 1694, den größten Theil der Ateliers zu schließen und die Kunsthandwerker und Künstler zu entlassen. Colbert, ihr kunstsinniger und praktischer Beschützer, war bereits 1683 gestorben. Auch waren die königlichen Schlösser mit Kunstgegenständen aller Art überfüllt. So wurden erst 1699 die Arbeiter der Tapetenwirkerei wieder in Thätigkeit gesetzt, und von dieser Epoche an blieben sie allein die Bewohner der Gobelin-Manufactur, die von nun an nur noch Tapeten, wenn auch nicht mehr in früherer verhältnißmäßig großer Anzahl lieferte. Robert de Cotte, bedeutender Architekt, wurde ihr Director. Er leitete die Anstalt über Ludwig’s des Vierzehnten Tod hinaus, bis zum Jahre 1735, worauf sein Sohn, ebenfalls Architekt, sie übernahm und ihr bis 1747 vorstand.

Während dieser Zeit hatte die Mode eine vollständige Wandlung erfahren. Die kräftigen Tinten Lebrun’s, Van der Meulen’s und Mignard’s waren nicht mehr beliebt, dafür um so mehr die feinen und leichten Töne, besonders Grau in allen erdenklichen Nuancen. François Boucher (1703 bis 1770), „der Maler der Grazien“, wie er von seinen Zeitgenossen schmeichelnd genannt wurde, und würdiger Nachfolger Watteau’s (1684 bis 1724), wurde Inspector der Gobelins, und nun änderten sich deren Arbeiten wie auf einen Zauberschlag. Neilson, Chef der Tapetenwirkerei (von 1749 bis 1788), erzielte mit Hülfe des Färbers und Chemikers Quemiset über tausend bestimmte Farbennuancen, von denen jede wieder in zwölf Schattirungen von der hellsten bis zur dunkelsten zerfiel. Die Reformen und Leistungen des Meister-Färbers Gluck, welche während eines Jahrhunderts so viel zum Ruhme der Gobelin-Manufactur und ihrer Tapeten beigetragen hatten, waren überboten, und mit den neuen zahllosen Farben und Nuancen begann nun eine ganz andere Arbeitsart als bisher. Man brauchte keine eigens für die Gobelins hergestellten farbigen Cartons mehr, sondern nahm das Gemälde selbst vor, um es zu copiren. Hierdurch entstanden die wunderbaren Schöpfungen, welche bis heute immer mehr vervollkommnet wurden. Doch war dadurch auch die Tapetenwirkerei ihrer eigentlichen Bestimmung entrückt worden; denn statt selbstständige Kunstwerke und stilvolle Behänge, lieferte sie jetzt nur mehr oder minder gelungene Copien vorhandener Meisterwerke der Malerei.

(Schluß folgt.)




Um die Erde.

Von Rudolf Cronau.
Sechster Brief:0 In Minnesota.

Einst war das Gold Californiens der gewaltige Magnet, welcher abenteuerliche Auswanderer nach Amerika zog; später lockte das Petroleum Pennsylvaniens Capitalisten und Arbeiter nach der Neuen Welt hinüber; heute ist der Glanz dieser Bodenschätze erloschen, und ein neuer Zauberer verdrängte sogar den berühmten Baumwollenkönig. Der rothe Winterweizen ist es, der Menschenschaaren nach dem fernen Westen führt, der ehrliche Ackerbau, welcher weder das Gold- noch das Oelfieber erzeugt und dennoch den Arbeiter reichlich für seine Mühe lohnt.

Tausende vertrauten dem jungfräulichen Boden der wasserreichen nordwestlichen Staaten, und sie wurden wahrlich nicht betrogen. Sind doch jene weiten Strecken, auf denen noch vor einem halben Jahrhundert Indianer wild hausten, heute zu der Kornkammer der alten Welt geworden; hat doch der amerikanische Weizen vor wenigen Jahren das übervölkerte Albion und das von einem Mißwachs heimgesuchte Frankreich vor bitterer Theuerung, wenn nicht vor Hungersnoth, bewahrt.

Aber nicht nur die Fruchtbarkeit des Landes veranlaßte mich, dem Rufe „Young man, go west!“ zu folgen – noch ein anderer Zauber webt über jenen fernen Strichen, der bestrickende Reiz einer durch ihre landschaftliche Schönheit fesselnden Natur, jener unwiderstehliche Zauber, der auch mich, den schauensdurstigen Künstler, in das „neue romantische Land“ trieb.

Von den Gestaden des Atlantischen Oceans zu den Quellen des Mississippi, welch’ wunderbare Fahrt durch das industriereichste Land der Welt! Aber ohne Aufenthalt eilen wir vorwärts, um weniger bekannte Gebiete zu erreichen. – Längst lag hinter uns Chicago, die Königin der Seen, der Phönix des Westens, da breitete sich vor den erstaunten Augen, von der aufgehenden Sonne magisch beleuchtet, ein Wunderland aus, nein, ein fließendes Meer mit tausend waldigen Inseln – „der Vater der Ströme!“ Endlich fuhren wir nun an dem Ufer des Flusses entlang, dessen Name in den Jahren unserer Jugend immer einen zauberischen Klang für uns gehabt, und durften uns an dem Anblicke des majestätischen Strombildes und der schöngeformten Bergzüge mit ihren nackten Felsenabstürzen weiden.

Mit dem Ueberschreiten des Riesenstromes traten wir in den Staat Minnesota ein, von dessen vielgepriesenem Wasserreichthum ich nicht zu berichten brauche. Gleich Lebensadern schlängeln sich hier Bäche und rauschen Ströme durch einen nie ermüdenden Wechsel von Wald und Prairie, von Hochland und thalähnlichen Gründen, und aus dem üppigen Grün der welligen Hügel glänzen Hunderte von größeren und kleineren Seen hervor, gleich träumerisch blauen Augen.

Noch vor einem Menschenalter war dieses prächtige Land fast unbewohnt und unbebaut, und nur von Zeit zu Zeit verkündete in dem dichten Urwalde das rollende Echo der scharfgeladenen Büchse eines Buschmannes den nahenden Einzug der Cultur. Erst seit wenigen Jahrzehnten schlagen die Räder der Dampfboote die Wasser der größeren Ströme, durchfliegt das Dampfroß die Thäler und klingen die Aexte der Ansiedler in den Wäldern.

Und wenn man die Werke der Cultur in Minnesota betrachtet, erscheint es fast unglaublich, dies alles habe der menschliche Fleiß in einer so kurzen Spanne Zeit verrichtet.

Dort, wo der aus dem Itasco-See hervorgegangene Mississippi, zu einer Breite von 600 Fuß angewachsen, seine Wassermassen über die steile Felsenbarriere bei St. Anthony herniederstürzt, fesselt zunächst die gewerbfleißige, blühende Stadt Minneapolis unsere Aufmerksamkeit. Der erfinderische Geist ihrer Einwohner verstand durch kunstvolle Anlagen die natürliche Kraft des schäumenden Stromes sich dienstbar zu machen, so daß die Industriellen von Minneapolis durch zahlreiche Leitungen eine billige Betriebskraft beziehen, die man im Ganzen der von 120,000 Pferden gleichschätzt, Die Wassermühlen, welche hier die Stromufer umgürten, zermahlen jährlich gegen 40 Millionen Bushel Korn und zersägen gegen 200 Millionen Cubikfuß Holz.

Noch in den fünfziger Jahren war der Name dieser Stadt kaum bekannt, aber schon 1860 zählte sie 5809 und bei der letzten Volkszählung 1880 sogar 43,053 Seelen.

Fahren wir nun den Mississippi hinab, so erreichen wir nach kurzer Reise das zehn Meilen entfernte St. Paul, die Rivalin von Minneapolis und die politische Hauptstadt des Landes. Das Leben in diesem Hauptsitze der Staatsregierung gewinnt um so mehr an Bedeutung, als hier der Mississippi für die großen Dampfer schiffbar zu werden beginnt. Die zahlreichen prächtigen Steingebäude, die eleganten Hotels und Privatwohnungen lassen kaum glauben, daß wir uns in einer Stadt befinden, deren erster Beginn in einer kleinen, 1838 von dem Canadier Parrant aufgeschlagenen Cabine bestand.

Hier sah ich zuerst jene „schwimmenden Paläste“, deren Ruf die früheren Erzählungen von den gefahrvollen und lästigen Mississippifahrten verstummen ließ, jene häuserhoch über dem Wasserspiegel hervorragenden Dampfer, welche mit dem denkbarsten Comfort ausgestattet sind und in denen selbst die prunkhaftesten „Bridal-Rooms“, die Brautgemächer, nicht fehlen. Eine solche Brautfahrt auf dem Mississippi mag vielleicht manchem später enttäuschten Ehemanne als ein treues Miniaturbild seines eigenen Lebens erschienen sein; denn anfangs im nördlichen Theil des Stromes steuert das Schiff durch reizende, abwechselungsreiche, wahrhaft poetische Gegenden, um später aus dem krystallklaren Schneewasser des Flusses in schlammig-trübe Wellen zu gelangen und sich durch öde, langweilige Strecken bis nach New-Orleans in gleichmäßigem Tempo durchzuwinden.

St. Paul bildete für kurze Zeit mein Hauptquartier, von wo aus ich zahlreiche Ausflüge in die interessante Umgegend unternahm.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_116.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)