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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Vor Allem muß ich hier Fort Snelling erwähnen. Inmitten großartiger Landschaft an der Mündung des Minnesota in den Mississippi auf hohem Felsen gelegen, bietet die vielgenannte Befestigung ein wahrhaft imposantes Bild, Ich hatte das Glück, bei meinem ersten Besuch in diesem Hauptquartier der amerikanischen Armee für den Nordwesten die Landschaft in der malerischesten Stimmung betrachten zu dürfen; denn am Himmel zog gerade ein Gewitter herauf; tiefe Schatten lagen über den schweigenden Wäldern und den geheimnißvollen Thälern, und nur von Zeit zu Zeit zuckten unheimliche Lichter über die Landschaft – der grelle Widerschein aufflammender Blitze.

In dem beigegebenen Bilde habe ich den Lesern der „Gartenlaube“ das Fort und die Mündung des Minnesota vorzuführen versucht, um ihnen die eigenartige Landschaft des oberen Mississippilaufes zu veranschaulichen.

Die Amerikaner hatten wohl Grund, hier eine Festung zu erbauen; denn als im Jahre 1803 dieser Landstrich durch Kauf von Frankreich an die Vereinigten Staaten überging, da hausten noch an den Ufern des „rauchenden Flusses“ (Minnesota) kriegerische Indianerstämme, die mit Waffengewalt von der Plünderung der Ansiedlerwohnungen abgehalten werden mußten. So ward das Fort, welches im Jahre 1819 eine Garnison erhielt, der erste Stützpunkt der westlichen Cultur in diesem Theile des „goldenen Nordwestens“. Manch blutiges Kriegswerk ist mit seiner Geschichte eng verbunden; denn noch in den Jahren 1862 und 1863 begab sich in dieser Gegend der gefürchtete Häuptling Little-Crow auf den Kriegspfad und mordete 800 Weiße.

Heute ertönt kein Schlachtgeheul mehr an den Ufern des „rauchenden Flusses“, und getrost konnte ich mich in das Lager der wenigen hier noch weilenden Rothhäute begeben, um die Nachkömmlinge der Scalphelden, ihre Zelte und Waffen und die wild romantische Gegend, in der sie ihr kümmerliches Dasein fristen, für die über die weite Erde zerstreuten Leser der „Gartenlaube“ zu zeichnen und sie ihnen zu beschreiben.




Die Mutter.

Charakterstudie von M. Corvus.
(Schluß.)


„So hattest Du, liebe Käthe, das erste Lebensjahr erreicht,“ fuhr Heine fort, „da ging das Scharlachfieber im Dorfe um, und auch Du wurdest davon befallen. In meiner Sorge um Dich schrieb ich an Constanze und bat sie, die nun auch allein stand – denn ihre Mutter war inzwischen gestorben – zu mir zu eilen, um Dich zu pflegen. Sie kam auch in alter Anhänglichkeit und übernahm Sorge und Pflege für Dich, sowie die Führung des Hauses, wie sie es ja auch seither gethan, und als Du wieder hergestellt, dachte sie abermals an’s Scheiden. Da aber fragte ich sie, schnell entschlossen, ob sie an die Stelle ihrer liebsten Freundin treten und als mein Weib meinem armen Kinde eine treue Mutter sein wolle? Sie bejahte meine Frage, Käthe, aber sie that es nur mit der Bedingung, daß sie als Deine rechte Mutter gelten solle.“

„Das war die Bedingung?“ fragte Käthe erstaunt dazwischen.

„Die Bedingung, mein Kind: o, das Wort Stiefmutter hat einen rauhen Klang, und vor diesem Klange fürchtete sich Constanze – davor wollte sie sich wie Dich bewahren, und da sie fest entschlossen war, von diesem Zugeständnisse nicht abzulassen, so willigte ich endlich ein. Sie drängte mich nun, meine Pachtung aufzugeben und allein mit Euch Beiden in eine andere Gegend zu ziehen, wo uns Niemand kenne und sie als Deine Mutter gelten könne, ohne eine Entdeckung ihres falschen Vorgebens fürchten zu müssen.“

„So planvoll!“ schaltete Käthe bitter ein.

„Constanze hatte von ihrer Mutter ein ansehnliches Vermögen geerbt,“ nahm Heine wieder das Wort, „und dieses, mit dem meinigen vereint, genügte zum Ankauf unseres jetzigen Gutes; so verschwanden wir denn aus dem Bereiche unserer früheren Bekannten. Doch auch Deinen Großeltern mußte unser neuer Aufenthalt vorläufig verborgen bleiben, und so gab ich Deiner Großmutter regelmäßig nach jedem Vierteljahr durch meinen früheren Advocaten in Breslau Nachricht über Dein Ergehen, damit sie nie in Sorge um Dich sein möchte, und vertröstete sie von Jahr zu Jahr auf ein Zusammentreffen mit Dir. Aber nachdem Constanze sich nun in ihre Mutterrechte eingelebt hatte, hing sie mit ganzer Seele an Dir, ihrem einzigen Kinde und fürchtete sich immer mehr vor einer Aenderung dieses schönen Verhältnisses; um so weniger konnte sie sich entschließen, Dir die Wahrheit zu enthüllen.“

Er seufzte schmerzlich auf.

„Und hierin, Käthe, liegt ihr Unrecht, sowie das meine. Ich war schwach genug, ihren Bitten nachzugeben und die Aufklärung noch weiter hinauszuzögern. Es ist ein Gewebe von Schuld und Liebe, meine Tochter, das ich soeben vor Deinen Augen entwirrt habe.“

Robert Heine schwieg. Seine Erzählung hatte nichts in Käthe’s aufgeregten Gesichtszügen gemildert – dieselbe überreizte Spannung loderte noch immer in ihnen.

„Welch’ ein Aufbau von Falschheit und Heimlichkeit, um mir die todte Mutter, der alten Großmutter die Enkelin zu entfremden! Wie kann aus so viel Lüge Gutes hervorgehen? Ich würde gewiß Jene geliebt haben, wie ich es bisher gethan, wenn Ihr mir auch die Wahrheit offenbart hättet – aber stehlen, nein, durch Lüge stehlen lasse ich meine Liebe nicht! Meine arme Mutter, mit ihrem Leben bezahlte sie das meine, und siebenzehn lange Jahre habe ich dieses Leben genossen, mich aller seiner Herrlichkeit erfreut, ohne nur einen Gedanken der zu weihen, der ich es verdanke. Das ist unmenschlich, grausam; das heißt ein Kind zum Undank zwingen, damit sich Jene der geraubten Kindesliebe freue, als eines unrechtmäßigen Besitzes. Nein, nein, ich kann sie nicht mehr lieben; sie hat mit dieser ungeheuren Lüge alle Gutthat wieder ausgelöscht, die sie mir hat zu Theil werden lassen.“

„O Käthe, Käthe,“ mahnte der Vater sein Kind, „möchtest Du die Schuld dieses Wortes niemals zu büßen haben! Und um Eins bitt’ ich Dich,“ fügte er hinzu, da sie eben in den Gutshof einführen: „Schone Die, welche nun sogleich vor Dir stehen wird und die es so gut mit Dir meint!“

Käthe blieb stumm. Der Wagen hielt vor dem Hause.

In der offenen Thür stand Constanze; die schlanke Gestalt ein wenig vorwärts gebeugt, harrte sie sehnsüchtig der Kommenden, und ein Freudenstrahl leuchtete aus ihren Augen den Geliebten entgegen.

„Da seid Ihr ja endlich! Willkommen wieder daheim, Käthe, mein liebes Kind!“ rief sie fröhlich und breitete die Arme liebevoll nach ihr aus.

Aber kein Gruß von Käthens Mund, kein Blick ihrer Augen antwortete der Mutter; das Mädchen wendete stumm den Kopf ab und zauderte, vom Wagen herabzusteigen, während Heine, der hastig herabgesprungen war, besorgt und mitleidig auf seine nichts ahnende Frau blickte und ihr mit der Hand winkte, fortzugehen.

Da – jählings, mit dem Instinct der Mutterliebe – begriff sie alles, was geschehen war. Das Blut stockte in ihrem Herzen, und sie starrte todtenbleich von Käthe zu ihrem Gatten, von ihm zu ihr. Ein Blick auf das abgewendete junge Mädchenhaupt genügte – sie wußte alles: sie hatte ihr Kind verloren.

Kein Wort drang über ihre Lippen – sie preßte die Hände auf’s Herz, wie um dessen allzu hohes Schlagen zu hemmen, kehrte sich ab und wankte in’s Haus.




Ein freundlicher Maimorgen breitete seinen hellen Sonnenglanz auf das junge Grün des Gartens und auf den beweglichen Wasserspiegel eines großen Bassins, in welchem Goldfische munter umherschossen. Schmetterlinge gaukelten umher, und auf dem gelben Kies der verschlungenen Wege und Stege übte ein kleiner Knabe seine ersten Laufversuche an der Mutter Hand, während die Wärterin den Beiden folgte.

Wie anmuthig sie war, die junge Mutter! Ihre glücklich leuchtenden Augen hingen mit frohem Entzücken an den unsicheren Schritten des Kindes, als seien sie eine Großthat. Eine überströmende Fülle von Liebe und Glück spiegelte sich auf den lieblichen, fast kindlichen Zügen ihres Gesichtes und in dem warmen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_118.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)