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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 8.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


„Ich bedaure zu stören,“ wandte sich Hilda an den Eintretenden zerstreut und befangen.

„Nein, bedauern Sie nichts, wodurch Sie mir eine Freude bereiten, Hilda!“ unterbrach sie Meinhard. Er drückte ihre Hand und geleitete sie zum Sopha, und während er sich selbst in ihrer nächsten Nähe auf einen der Lehnstühle niederließ, versicherte er ihr, daß nichts Wichtiges zu erledigen sei; das Postpaket werde schon geschlossen. „Ein Brief an meinen Minister,“ setzte er dann, wie mit sich selbst redend, hinzu, „kann ja bis morgen liegen bleiben, obwohl ich nicht glaube, daß die Nacht andern Rath bringt, es müßte denn ein Wunder meinen Ehrgeiz wecken.“

„Handelt es sich wieder um einen Versuch, Sie uns zu entführen?“ fragte Hilda, ohne besondere Ueberraschung zu dem Lächelnden aufblickend.

„Unser neuer Minister kennt mich aus früherer Zeit, wo wir eine Weile gewissermaßen neben einander arbeiteten. Er ist so freundlich, sich dessen zu erinnern, und knüpft einen Vorschlag daran, der vielleicht – manches Verlockende hätte –“

„Und Sie widerstehen?“

Auch das klang nicht wie eine besorgte Frage, sondern eher wie eine im Voraus sichere Annahme. Meinhard zuckte die Achseln.

„Es ist mir nicht lange Ueberlegung gegönnt; die Entscheidung muß zwischen heute und morgen fallen, und da an ein Wunder, wie gesagt, nicht recht zu glauben ist – freilich, es ereignen sich zu Zeiten noch solche, wie eben Ihr Besuch beweist –“

„Ich hoffe,“ fiel Hilda mit einem Versuch zu scherzen lebhaft ein, „Sie zählen dieses Ereigniß wenigstens nicht zu den Wundern, welche Ihren Entschluß, unser getreuer Nachbar zu bleiben, ändern könnten.“

„Sie wissen recht gut, Hilda, was mich hier fesselt: mein Freundeskreis und in ihm vor allem – Sie.“

„Aber Sie lassen sich vielleicht Vortheile entgehen –“

„Die für mich keinen Werth haben. Für meine Bedürfnisse ist ausreichend vorgesehen; ein Mensch, der allein steht, ist bald versorgt. Nach Auszeichnung dürste ich nicht, und Einfluß – nun, man kann ja in jeder Stellung nützen und sich selbst genug thun. Das ist am Ende die Hauptsache, so wird es denn am entsprechendsten sein, wenn man mich auch fernerhin da vergißt, wo man mich nun schon so lange vergessen hat.“

„Die aber, bei denen Sie bleiben, werden es Ihnen nicht vergessen,“ sagte Hilda. Ihre beiden Hände hatten die seinigen erfaßt, und aus ihren Augen brach ein Strahl der Rührung, an dem sich sein Blick aber nicht entzündete. Er nickte nur leise, und ein ganz schwaches, wehmüthiges Lächeln spielte um seinen Mund.

„Sie verleiten mich zu Selbstsucht,“ lenkte er ab. „Ueber meine Angelegenheiten lassen wir die Ihrigen bei Seite.“

„In mir also sehen Sie die Egoistin und in meinem Besuche eine eigennützige Ursache?“

„Den sah ich allerdings voraus, schätze ihn darum aber doch, als ob er nur mir ein Glück zugedacht hätte.“

In dem Tone dieser Worte lag mehr als ein liebenswürdiger Scherz. Hilda war jedoch zu sehr mit ihrer Absicht beschäftigt, als daß sie die galante Wendung auf ihr Gewicht geprüft hätte.

„Ich habe in der That ein kleines Anliegen,“ entgegnete sie mit möglichst leichtem Berühren der Sache, von der er ja nicht ahnen sollte, wie sehr sie ihr am Herzen lag. „Aber ich könnte ja auch im Auftrag meines Bruders kommen. Warum nicht?“

„Weil es im Frauencharakter liegt,“ antwortete Meinhard in neckischem Tone, „an den Freund nur zu denken, wenn man ihn für sich selbst braucht.“

„Sie haben doch eine recht abfällige Meinung vom ‚Frauencharakter‘. Das könnte mich reizen, Ihnen zu beweisen, wie ungerechtfertigt diese Meinung ist.“

„Da muß ich Ihnen nur rasch den Umweg abschneiden und darf mich dabei wohl der gewöhnlichen Geschäftsformel bedienen. Womit kann ich Ihnen dienen, mein Fräulein?“

Hilda mußte trotz der innerlichen Unruhe lächeln. Dann faßte sie sich ein Herz und sprach kurz ihren Wunsch aus, die bei ihm deponirte Geldsumme an sich zu nehmen. Während sie sprach, wagte sie aber nicht, ihn anzusehen, aus Furcht, er könnte ihre Unruhe in ihren Augen lesen.

Vielleicht hatte er eine andere Mittheilung erwartet; denn er sah ein wenig überrascht aus, fand sich aber sofort in die Lage. Eine natürliche Ideenverbindung brachte ihn auf das ohne Resultat gebliebene Gespräch, zu dem er auf dem vorgestrigen abendlichen Heimwege von Waltershofen selbst die Anregung gegeben hatte. Er neigte verständnißvoll das Haupt.

„So stellt sich denn die Entwickelung, welche ich voraus gesehen, früher ein, als es vorgestern noch den Anschein hatte,“ sagte er. „Ist seither etwas vorgefallen, was die Entscheidung brachte? Doch nein, es bedarf ja auch keiner plötzlichen gewaltsamen Ereignisse, um die Ueberzeugung bei einem Menschen reifen zu lassen, daß er sich nicht mehr an seinem Platze fühlt. Die kleinen Daten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_121.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2021)