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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


summiren sich. Ich habe sie mitempfunden und mich in Ihre Seele versetzt. Wie mir muß es auch Ihnen klar geworden sein, daß die Verhältnisse, von denen Sie immer mehr eingeschränkt werden, ein ernstes Erwägen der Zukunft und einen Beschluß über dieselbe erheischen. Eine Natur wie die Ihrige fühlt sich heimathlos, wo sie nicht einen bestimmten Beruf in der Familie ausüben kann. Sie sind zu jung, um auf den Altentheil gesetzt zu werden, zu jung, um das Leben als etwas Abgeschlossenes zu betrachten, zu jung, um ohne Zweck und ohne Zwang hier in einem vergessenen Winkel fast ohne Berührung mit der Welt den langen Rest der Jahre hinzudämmern. Sie können nur glücklich sein, wo Sie Arbeit für Ihre Kräfte, ein Ziel für Ihre Arbeit haben, wo Sie nützen können und das Bewußtsein dieses Nutzens haben.“

„Man kann in jeder Stellung nützen,“ meinte sie, plötzlich in einen ganz andern Gedankengang gelenkt.

„Ja, auch wenn Sie blos die Blumen pflegen und lediglich durch Ihre freundliche Anwesenheit das Familienleben verschönern. Aber ein Anderes ist es, ob Sie damit in dem großen in einander greifenden Räderwerke den Platz ausfüllen, der Ihnen mit den Ihnen verliehenen Anlagen zugedacht ist, ob Sie sich selbst genügen in einem Kreise, wo Ihr Ausscheiden kaum eine Lücke hinterließe. Sie bedürfen eines Wirkungskreises und werden sich nur in demjenigen wohl und zufrieden fühlen, der Ihnen eine volle Entfaltung Ihres Wesens gestattet und Sie ganz in Anspruch nimmt; denn in Ihrer Natur liegt nicht die Beschaulichkeit.“

„Und so sprechen Sie, Meinhard, Sie, dem jedes dieser Argumente selbst gelten könnte und der doch im Begriffe steht, den an ihn ergangenen Ruf abzulehnen?“

Vor der ernsten Frage senkte nunmehr Meinhard den Blick. Sein Eifer war verstummt, und gedämpfter, fast befangen brachte er nach einer Weile eine Erklärung, die wie eine Enttäuschung klang, hervor.

„Es lebt der Drang in jedem Manne, sich zu bethätigen und das Feld seines Schaffens zu erweitern, aber es hat nicht jeder die Kraft und Selbstverleugnung, diesem Drange alles Andere unterzuordnen. Die Wahl ist schwer, welches Gefühl dem andern zum Opfer gebracht werden soll, und in der Regel siegt das – welches tiefer im Herzen entspringt.“

In diesen letzten Worten webte ein so wunderliches Schwingen der tiefen wohlklingenden Stimme, daß Hilda sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, Meinhard bemeistere nur mühsam eine mächtige Bewegung. Es war ihr selbst dabei ganz befremdlich zu Muthe; ihr Blick schweifte hinüber zu den welken Rosen, und eine zarte durchsichtige Röthe trat auf ihre Wangen. Aber mit einem schnellen energischen Rucke des Kopfes wies sie auch sich selbst energisch zurecht. Die letzte Zeit hatte schon Anwandlungen gebracht; heute galt es zu handeln, nicht zu träumen.

„Ich denke, wir lassen die Erörterungen bis auf ein andermal. Die Zeit vergeht, und wenn ich Sie bitten darf –“

„Sie wünschen Ihr Geld? Ja, das kann ich Ihnen sogleich –“

Dienstfertig erhob er sich, und während er an den Schreibtisch ging und dort eines der Schubfächer öffnete, fragte er: „Die ganze Summe oder nur einen Theil?“

„Bitte, die ganze!“ antwortete sie.

„Soll ich die Papiere für Sie verkaufen und den Erlös an eine bestimmte Adresse senden?“ fuhr er fort zu fragen.

„Das geht nicht wohl an,“ erwiderte sie.

„Ich dachte an einen Hauskauf,“ meinte er, „an eine Anzahlung – aber darf man denn von Ihrem Plane nichts erfahren? Vielleicht kann ich Ihnen mit meinem Rathe nützlich sein. Uebereilung thut ja nicht Noth. Man hat Ihnen doch Kost und Logis nicht schon gekündigt?“

Der Scherz fand keinen Anklang; er steigerte nur Hilda’s Verlegenheit.

„Darf ich nicht mein kleines Geheimniß haben?“ fragte sie scheinbar in seinen Ton eingehend. Nun aber war er es, der ihn wechselte.

„Ein kleines? Mich dünkt, Hilda, ein solcher Entschluß – wie immer er gestaltet sei – ist ein großer, ein sehr großer, und sonst ist es auch nicht Ihre Art, derlei wie etwa eine Geburtstagsüberraschung leicht zu nehmen und insgeheim zu betreiben. Was haben Sie vor?“

„Ich werde es Ihnen sagen, wenn es an der Zeit ist.“

„Ich war der Meinung, Ihr Vertrauen zu besitzen.“

„Ach, was Ihr Männer doch für umständliche Leute seid!“

Die Ungeduld hatte ihr diesen Ausruf erpreßt. Wie erschrak sie aber, als Meinhard das Paket, welches er zwischen andern aus der kleinen Hauscasse, die in der Lade gestanden, hervorgeholt hatte und das sie schon in der Tasche zu haben vermeinte, gedankenvoll in der Hand wog und dann wieder auf den Tisch zurücklegte.

„Ich weiß doch nicht,“ sagte er dabei, „ob ich recht daran thue, Ihnen dieses Geld so ohne Weiteres zu übergeben.“

„Welche Geschäftsbedenken!“ Es war ihr, als vernehme sie Edwin’s Stimme: ‚der Pedant!‘ „Ich unterschreibe Ihnen die Empfangsbestätigung, und Sie sind damit aller Verantwortung enthoben.“

„So ganz und gar denn doch nicht! Im Einvernehmen mit Franz wurde dieses Capital meiner Verwaltung anvertraut. ,Es soll dereinst meiner Nichte gehören,‘ erklärten Sie.“

„Allerdings! Mimi soll darum nicht verkürzt werden. Ich werde Ihr die Summe aus meinem Vermögensantheil ersetzen, sobald Franz ihn mir herausbezahlt.“

„So haben Sie also dieses Geld für einen Zweck bestimmt, bei dem es ihr – und wohl auch Ihnen verloren geht?“

„Ach, das ist ja ganz Nebensache.“

„Nicht doch!“

„Nun, dann nehmen Sie an, ich hätte die Summe zum Einkauf einer Lebensrente bestimmt!“

„Für sich oder für einen Andern? Darin liegt der Unterschied.“

„Für – meine Nichte.“

„Sie haben deren zwei. Es könnte für jene in Amerika sein.“

„O, daß ich das Leben des armen Kindes noch versichern könnte! Es ist leider todt.“

„Vielleicht zu seinem Glück.“

„Sie sind herzlos.“

„O nein, Hilda, bedenken Sie selbst, was dem armen Wesen bevorstand!“

Hilda senkte den Kopf.

„Es ist möglich, daß Sie Recht haben,“ gab sie zu; „denn es ist schrecklich zu denken, was aus dem Kinde hätte werden müssen unter der Leitung einer solchen lieblosen, lügnerischen und genußsüchtigen Mutter.“

„Ich erstaune, Hilda. Sie waren ja immer der entgegengesetzten Ansicht.“

„Weil ich von der Heuchelei dieses Weibes umstrickt war,“ erwiderte sie. „O, es empört mich, daß ich diesen niedrigen Verleumdungen Glauben schenken und mich verleiten lassen konnte, meinem Bruder so großes Unrecht zu thun, dem eigenen Bruder auf die Anklage einer Fremden hin, der ich von vornherein hätte mißtrauen sollen. Sie allein hat sein Unglück auf dem Gewissen, sie ganz allein.“

„Sind Sie auch gewiß, Hilda, daß Sie in keinen neuen Irrthum verfallen? Ein Mann lebt nicht Jahre lang an der Seite eines unwürdigen Weibes, ohne selbst entwürdigt zu werden.“

„Aber er kann sich wieder erheben,“ nahm Hilda mit warmem Eifer die Partei des Angegriffenen. „Er ist ein Anderer, ein Besserer, sobald er die entwürdigende Gemeinschaft löst, und es ist ja die einfachste Menschenpflicht, einen solchen Besserungsversuch zu unterstützen.“

„Also das ist die Bestimmung dieses Geldes?“

Meinhard’s ruhige, kalte Frage bewirkte bei Hilda eine plötzliche Ernüchterung. Sie sah mit Schrecken, daß sie sich zu weit hatte hinreißen lassen, daß sie sich verrathen hatte.

„Nun denn, ja,“ erklärte sie nach einer kleinen Weile, ihr ganz in Purpur getauchtes Antlitz trotzig erhebend.

„Ich hätte es voraussehen sollen, Hilda. Die Selbstsucht wird immer wieder Mittel finden, Ihr Mitleid zu mißbrauchen.“

„Nein, nein, diesmal ist es kein Mißbrauch, ich weiß es bestimmt –“

„Woher?“ fragte er gespannt.

Hilda bebte vor innerer Erregung.

„O, wozu diese Discussion?“ kam es im Tone strenger Zurückhaltung von ihren Lippen. „Hier kommt es nicht darauf an, Sie zu überzeugen, sondern mir das Verfügungsrecht über mein Vermögen zu wahren.“

„Aber warum haben Sie kein Zutrauen mehr zu mir, Hilda?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_122.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)