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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Während der Fiaker mich nach meinem Hôtel fuhr, hielt ich die Karte in der Hand und dachte kopfschüttelnd, daß diese Begegnung, wie so manche, wohl auch flüchtig und spurlos vorübergehen und ich nie Gelegenheit finden werde, der Einladung Folge zu leisten. Indeß diesmal sollte das alte Sprüchwort: „Berge und Thäler kommen nicht zusammen, wohl aber Menschen“, Recht behalten; denn im vergangenen Sommer traf ich im Seebade Norderney meinen Reisegefährten wieder. Wir begrüßten uns wie alte Freunde; er wiederholte seine Einladung, und ich versprach, auf der Rückreise bei ihm Station zu machen. Das geschah auch.

Nach meiner Ankauft in Hannover brachte mich die Hainholz mit der Stadt verbindende Pferdebahn auf bequeme Weise an das Ziel meiner Reise; ich fand die herzlichste Aufnahme in den Familien der beiden Fabrikbesitzer, die sich unfern von ihrem Fabrikgebäude ein schönes, behagliches Wohnhaus erbaut haben, und es währte eine geraume Zeit, ehe das Gespräch sich der ersten Veranlassung meines Besuches, der Fabrik, zuwandte. Nachdem wir aber darauf gekommen, blieb mein Interesse für lange Zeit ausschließlich davon gefesselt.

Die Entstehung der Fabrik ist, wie mir berichtet ward, sozusagen auf einen Zufall zurückzuführen. Die Inhaber derselben, die Herren Oppenheim und Seligmann, welche damals, der eine als Kaufmann, der andere als Fachmann, ihren Weg durch’s Leben zu machen begannen, wurden im Jahre 1859 veranlaßt, sich mit der Herstellung von Glas- und Flintsteinpapier zu beschäftigen, das zum Schleifen und Glätten von Holz- und Metallgegenständen Verwendung findet.

Die Fabrikation ward anfänglich in sehr beschränkter und primitiver Weise betrieben, das Papier fand aber Absatz, und so konnte bald eine Erweiterung des Betriebes eintreten. Es währte nicht lange, so ward von den Abnehmern und von anderer Seite die Nachfrage nach Schmirgelleinen und Schmirgelpapier laut, sodaß die Geschäftsinhaber es für angezeigt hielten, diesem Artikel gleichfalls ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, der bis dahin in Deutschland noch nicht hergestellt, sondern aus England und Amerika bezogen wurde, obgleich man dort das Material dafür ebenso wenig im Lande selbst besitzt, wie bei uns.

Wie man mich weiter belehrte, kommt nämlich für die Fabrikation nur der Schmirgel aus Naxos und der Levante in Betracht, und zwar giebt der erstere die besseren, der letztere die mehr gebräuchlichen Qualitäten. An seinen Fundorten sprengt man den Schmirgel in Stücke bis zu einer Größe von etwa 75 Kilogramm, und es ist leicht denkbar, daß der Transport dieses harten und schweren Minerals große Schwierigkeiten bietet.

Auf der Insel Naxos, wo die griechische Regierung das Monopol der Ausbeute innehat und jährlich bedeutende Quantitäten Schmirgel gebrochen werden, schafft man die Stücke aus den Gruben im Gebirge über steile, beschwerliche Bergpfade auf den Rücken geduldiger Saumthiere nach dem Hafenort Naxos und verladet sie dort in kleine Segelschiffe, welche sie nach dem größten griechischen Handelsplatz, Hermopolis, jetzt Syra, auf der gleichnamigen Insel bringen, von wo aus Segelschiffe sie den betreffenden Consumplätzen zuführen.

Der Levantische Schmirgel findet sich zumeist in der Nähe des alten Ephesus und der Stadt Thyra; die dort befindlichen, Privatleuten gehörigen Gruben liefern noch eine weit erheblichere Ausbeute als jene auf der Insel Naxos. Auch hier wird der Transport zunächst durch Lastthiere (Esel und Kameele) bewirkt, bald aber tritt an die Stelle des ältesten Verkehrsmittels das modernste; in Cosbonar und an einigen anderen Stationen nimmt die Eisenbahn die Steine auf und führt sie dem Hafenplatz Smyrna zu, von wo aus sie auf Schiffen nach den Stätten, an welchen sie verarbeitet werden sollen, gebracht werden.

„Den Schmirgel hätten wir also,“ fuhren meine Berichterstatter fort, „wie aber war der feste, zähe Stein zu zerkleinern und für seine Zwecke herzurichten? Verlassen Sie sich darauf, die beste Art, den Schmirgel zu zerbrechen, hat uns nicht wenig Kopfzerbrechen bereitet.“

Zunächst versuchte man durch primitive Hülfsmittel, den Stein mit Aufwendung von viel Zeit und Mühe zu zerkleinern und zu zermahlen; das so erzeugte Fabrikat konnte sich aber in Bezug auf Ebenmäßigkeit der Körnung mit dem der wohleingerichteten ausländischen Fabriken nicht messen, und zum Ueberfluß war die unzulängliche Herstellungsart auch noch eine sehr theure. Da galt es einen Entschluß, und die Herren Oppenheim u. Comp. faßten ihn. Sie bauten eine größere Fabrik mit Dampfbetrieb, in welcher die Erzeugung sämmtlicher Schmirgelfabrikate in umfassender Weise vorgenommen werden konnte. Zur Besichtigung dieses hochinteressanten Werkes ward ich nunmehr freundlich eingeladen.

Wir durchschritten den Hofraum, sowie einen geschmackvoll angelegten, wohlgepflegten Garten und gelangten nach der Fabrik, einem Complex von mehreren Gebäuden, welche den großen oblongen Hofraum von allen Seiten umgeben. Der Rundgang begann bei einem großen Haufen röthlich schimmernder Schmirgelsteine in verschiedenen Größen.

In der Schmirgelfabrik: Brechmaschinen.
Nach der Natur aufgenommen.

Arbeiter führten beliebige Mengen derselben mittelst Kipp-Lowries auf Schienengeleisen einer Brechmaschine zu, deren Gewicht, beiläufig bemerkt, 15,000 Kilogramm beträgt und zu deren Betrieb etwa zwölf Pferdekräfte erforderlich sind (vergl. Abbildung I). Dafür knackt sie die Steine aber auch wie Nüsse, und was der erste Steinbrecher begonnen, führt ein zweiter kleineren Kalibers weiter aus. Von Maschine zu Maschine sich fortbewegend, verwandelte sich das zuerst so unzerbrechlich erscheinende Material vor meinen Augen in Körner von verschiedener Größe, bis zum feinsten Mehl (vergl. Abbildung II). Der zermahlene Schmirgel gelangte nach dieser Procedur auf große Siebwerke, welche denselben in gleichmäßige Körnungen von etwa dreißig verschiedenen Arten sortirten.

Man sollte glauben, dieses Verfahren müsse einen fortwährenden undurchdringlichen Staub erzeugen, zu meinem Erstaunen fand ich aber die Luft fast völlig frei von diesem schleichenden Feinde der menschlichen Lungen. Mittelst Saugmaschinen wird in sinnreicher Weise der Staub aufgefangen und dadurch die den Arbeiter bedrohende Gefahr bedeutend gemindert, gleichzeitig aber auch ein Vortheil im Betriebe erzielt: der also gewonnene Staub ist ja auch Schmirgel und kann als solcher in der Fabrikation verwendet werden.

Der in Pulver und Körner verwandelte Schmirgel wird in Fässer verpackt und gelangt zum Theil in dieser Gestalt zur Versendung, und zwar setzt die Fabrik gegenwärtig auf diese Weise im Durchschnitt pro Tag 2500 Kilogramm ab. Dies ist jedoch nur die eine Seite des Verbrauches; eine andere nicht minder bedeutende ist die zur Anfertigung des Schmirgelleinens und Schmirgelpapiers. Dieser Fabrikationszweig ist in Verbindung mit der Herstellung des Glas- und Flintsteinpapiers einer der interessantesten Punkte des an Ueberraschungen reichen Etablissements, und es ist dafür ein eigenes Gebäude hergerichtet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_144.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2022)