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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Hier liegt der Schwerpunkt der Polarforschung; hier hat die Wissenschaft ihre Instrumente anzusetzen, um jene großen allgemeinen Naturgesetze zu studiren, deren Wirkungskreis sich, weit über die politischen und nationalen Ländergrenzen hinaus, über mächtige Gebiete der Erde erstreckt.

Schon im Jahre 1823 bahnte Sabine die Erforschung eines der von den Polargebieten verhüllten Geheimnisse an, indem er mit Clavering an der Ostküste Grönlands durch seine berühmten Pendelversuche Schlüsse über die wahre Gestalt der Erde machte. Acht Jahre später entdeckte James Clarke Roß im Norden von Amerika die damalige Lage des magnetischen Poles.[1]

In den fünfziger Jahren bahnte Otto Torell, der gegenwärtige Chef der geologischen Landesaufnahme Schwedens, mit Unterstützung des damaligen Kronprinzen, jetzigen Königs Oscar, jene lange Reihe von Expeditionen an, in denen unser nordisches Nachbarvolk unter Führung des genannten Gelehrten und seines großen Schülers Nordenskjöld die Polarregionen im Lichte längst verschwundener geologischer Zeitalter reconstruirte. Auch die deutsche Nordpolexpedition unter Capitain Koldewey im Jahre 1870 brachte reiche wissenschaftliche Resultate mit nach Hause, wie überhaupt seitdem fast jede Polarexpedition.

Bis in die Mitte des vorigen Jahrzehnts war indessen noch keine entscheidende Wendung in der Polarforschung eingetreten; denn es stand immer noch das Interesse im Vordergrunde, möglichst hohe Breiten zu erreichen. Da kehrte im Herbst 1874 Weyprecht mit seinen kühnen Gefährten zurück, und von nun an wurde die Parole ausgegeben, daß Entdeckungen in möglichst hohen Breiten nicht mehr den Hauptgegenstand der Polarexpeditionen bilden, sondern daß die Nationen sich zu gründlicher wissenschaftlicher Erforschung der leichter erreichbaren Gebiete hoher Breite die Hände reichen müßten. Dieses Verdienst, von dem Wettlauf nach dem Nordpol mit Erfolg abgerathen zu haben, gebührt unbestritten dem österreichischen Polarfahrer Weyprecht, welchen man auch seitdem fast allgemein als den Vater der gegenwärtigen neuen Aera der wissenschaftlichen internationalen Polarforschung bezeichnet hat.

Man muß indessen hier zwei Dinge genau aus einander halten, nämlich: die Einstellung der alten Methode und die Aufstellung des Planes der neuen gemeinsamen Forschung. Das Verdienst, die letztere zuerst angeregt zu haben, darf unser verdienstvoller Gelehrter, der gegenwärtige Director der deutschen Seewarte, Professor Neumayer, unbedingt für sich beanspruchen. Gerade an dem Tage, wo Weyprecht nach zwei Polarwintern, die er mit allen ihren Schrecknissen unter den furchtbarsten Eispressungen an Bord des „Tegetthoff“ durchlebt und durchlitten hatte, zu den Schlittenreisen Vorbereitungen traf, die das noch unbetretene Franz-Joseph-Land erforschen sollten, – gerade an dem Tage (am 25. Februar 1874) hielt Neumayer in Berlin einen öffentlichen Vortrag über das Thema: „Die geographischen Probleme innerhalb der Polarzonen, in ihrem inneren Zusammenhange beleuchtet.“ Aus diesem Vortrage, der in den „Hydrographischen Mittheilungen“ Nr. 7 vom 4. April 1874 abgedruckt ist, citire ich wörtlich folgende Stelle:

„So hätte ich Ihnen denn im Norden, wie im Süden, auch die Wege bezeichnet, welche die größte Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Bearbeitung der Probleme, die ich in ihrem inneren Zusammenhange zu beleuchten hatte, darbieten. Ich habe in den behandelten Punkten ein Gewicht auf die Gleichzeitigkeit der Forschungen gelegt und bin, von solchen Gesichtspunkten geleitet, auch der Ansicht, daß auf den bezeichneten Wegen gleichzeitig und im Einklange, das heißt in gemeinsamer wissenschaftlicher Organisation, vorangegangen werden müßte, um im Herzen der Polarregionen, in Observatorien, die während einer längeren Periode in Thätigkeit zu sein hätten, die verschiedenen Aufgaben der Physik unserer Erde zu bearbeiten. Für diesen Zweck aber ist es wichtig, daß der richtigste, der ergiebigste Moment gewählt werde, und als solcher steckt sich die nächste Maximalperiode magnetischer Thätigkeit und der Polarlichterscheinung 1881 bis 1882 sofort dar, welche zugleich auch sehr heranrückt an die Zeit der zweiten Wiederkehr des Vorüberganges der Venus vor der Sonnenscheibe in unserem Jahrhundert, welcher in hohen südlichen Breiten mit Vortheil beobachtet werden kann. Wollen wir hoffen, daß alle gebildeten Nationen alsdann ebenso, wie sie sich jetzt rüsten, um in gegenwärtigem Jahre einer großen wissenschaftlichen Pflicht zu genügen, zur Förderung unserer Probleme sich rüsten werden!“

Auf der Naturforscherversammlung zu Graz, im Herbst 1875, nahm die Idee der neuen Forschung eine bestimmtere Form an, indem der damals sehr gefeierte Weyprecht sich zum Verkündiger des neuen Planes machte, eine Reihe von internationalen wissenschaftlichen Beobachtungsstationen in den arktischen Gegenden anzulegen. Wohlbemerkt, dies war noch nicht das ganze wissenschaftliche Programm; denn es fehlte hierbei die Betonung der Nothwendigkeit einer gleichzeitigen Erforschung des antarktischen oder Südpolargebietes. Nichts war natürlicher, als daß der begeisterte Vorkämpfer für diese Idee, Neumayer, welcher bereits im Jahre 1854 in einer Eingabe an das Cabinet des damaligen Königs von Baiern auf die Wichtigkeit der Erforschung des Südpolargebietes – mit Melbourne Observatory als Basis – aufmerksam gemacht hatte, die Aufnahme der Südpolarforschung als einen integrirenden Theil des Programms empfahl und dieses auch durchzuführen wußte, wie denn Weyprecht selbst diese Priorität Neumayer’s späterhin stets offen anerkannt hat. Nachdem der Plan auf dem internationalen Meteorologencongreß 1879 besprochen worden, wurde er noch in demselben Jahre auf der ersten internationalen Polarconferenz in Hamburg unter Neumayer’s Vorsitz programmmäßig durchberathen und erhielt dann 1880 in Bern und 1881 in St. Petersburg unter Vorsitz des gegenwärtigen Directors der internationalen Polarconferenz, Professor Wild, seine definitive redactionelle Fassung, in der er gegenwärtig von den betheiligten Nationen angenommen worden ist und ausgeführt werden soll.

Die dritte internationale Polarconferenz in St. Petersburg war von zehn Delegirten der Staaten Dänemark, Frankreich, Norwegen, Holland, Oesterreich, Rußland und Schweden besucht, von welch letzteren nur Frankreich und Holland ihre definitive Theilnahme noch nicht zugesagt hatten, während von Rußland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika Zusicherungen für die Besetzung von je zwei Stationen vorlagen. Deutschland war leider nicht vertreten, da bei uns eine Betheiligung von Reichswegen vorläufig wegen mangelnder Fonds durch den Reichskanzler abgelehnt worden war.

Auf der Petersburger Conferenz ergab sich als ganz gesichert die Besetzung einer Reihe von Punkten, deren Gruppirung um den Nordpol den Lesern der „Gartenlaube“ durch das diesem Artikel beigefügte Kärtchen veranschaulicht wird. Wir finden da folgende Orte, an welchen Stationen errichtet werden sollen, durch schwarze Punkte angedeutet: Point Barrow (A) an der Nordküste von Nordamerika und Lady Franklin-Bai (C), hoch im Norden, in der Mitte des zweiundachtzigsten Breitegrades, beim Robeson-Canal, durch die Vereinigten Staaten von Nordamerika; ferner Upernavik (D) in Westgrönland durch Dänemark; Insel Jan Mayen bei Island (F) auf Kosten des Grafen Wilczek durch Oesterreich; die Mossel-Bai auf Spitzbergen (G) auf Kosten des Kaufmanns O. Smith in Stockholm durch Schweden; Bossekop bei Alten im äußersten Norden Europas (H) durch Norwegen; die Lena-Mündung (L) auf Kosten der Kaiserlich Russischen Geographischen Gesellschaft durch Rußland; die Möller-Bai auf Nowaja-Semlja (J) und Port Dickson an der Ob-Mündung (K) durch Rußland oder Holland. Ferner galt als wahrscheinlich die Besetzung von Fort Simpson in Canada (B) durch Canada, während deutscherseits später die Pendulum-Insel (E) auf der Ostküste von Grönland in’s Auge gefaßt wurde. Was die Errichtung von Stationen am Südpol anbelangt, so sind bis jetzt nur die Besetzung von Cap Horn durch Frankreich und der Süd-Georgien-Insel durch Deutschland beabsichtigt worden.

Im deutschen Reiche begann inzwischen die Lage der Dinge sich günstiger für das Unternehmen zu gestalten, als bis dahin. Das Reichsamt des Innern ernannte im December 1881 eine deutsche Polarcommission, und außerdem wurde im Etat des Reichsamtes des Innern für das Etatsjahr 1882 bis 1883 die Summe von 300,000 Mark als Kosten der Betheiligung des Reichs an internationalen Polarforschungen festgesetzt.

Die deutsche Polarcommission beschloß, daß von Deutschland eine arktische Station, womöglich im Gebiete des Atlantischen Oceans, und mindestens eine antarktische Station zu besetzen sei.

  1. Die Erdkugel ist bekanntlich so stark mit Magnetismus geladen, daß sie als ein Magnet gelten kann. Als solcher aber muß sie, wie jede Magnetnadel, zwei magnetische Pole, den magnetischen Nordpol und den magnetischen Südpol, besitzen. Der eine von ihnen liegt im nordamerikanischen Eismeer, in der Nähe der Insel Melville, der andere im südlichen Eismeer südlich von Neuholland. Auf diesen Polen nimmt die freihängende Magnetnadel eine verticale Stellung ein.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_147.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)