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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Meinhard mußte über diese hastig hervorgesprudelten Selbstanklagen lächeln, wie tief und düster sein Ernst auch war.

„Nun,“ meinte er, „so schlimm ist es denn doch nicht.“

„O ja, o ja – ich weiß es.“

„Sie verfallen jetzt in den umgekehrten Fehler und thun sich selbst Unrecht. Mir ist es wohl gestattet, Ihnen zu sagen, daß Sie ein liebes, hübsches, herziges Mädchen sind.“

„Wirklich?“ fragte sie gespannt zu ihm aufblickend. „Machen Sie mir aber auch keine Complimente, wie – wie Andere, die mir dasselbe sagen?“

„Gewiß nicht. Was Ihnen an Gleichmaß und Selbstbeherrschung noch mangelt, das werden die Jahre bringen. Sie sind ja noch so jung, aber auch die Jugend ist nur ein Reiz mehr.“

„Ich mißfalle Ihnen also nicht, Onkel Meinhard? Die Hand auf’s Herz! Volle Wahrheit!“

„So wenig, daß ich vielleicht sogar Gefahr liefe – wenn ich jünger wäre.“ In sein Lächeln mischte sich ein Zug von Bitterkeit.

„O, aus dem Alter mache ich mir gar nichts,“ versicherte sie treuherzig. „Wir zwei sind Zurückgesetzte, Uebersehene, Ausgestoßene; wir gehören als Leidensgenossen zusammen; wir müssen einen Bund schließen und uns an den Andern rächen. Wissen Sie was, Onkel Meinhard? – das Beste ist, wir machen’s wie die Andern.“

„Nun?“ fragte er gespannt.

„Wir heirathen einander,“ sagte sie ganz ernsthaft.

Dieser kindische Vorschlag des lebhaften kleinen Sprudelkopfes machte ihn abermals lächeln; zu anderer Zeit hätte ihn Meinhard wohl mit Scherz aufgenommen und eine lustige Neckerei daran geknüpft, jetzt aber bewegte er nur leise den Kopf.

„Wenn ich nicht glauben soll, daß Sie auch nur ein Schmeichler sind, der mir allerlei in den Kopf setzen wollte,“ meinte Mimi in ihrer eilfertigen Weise, „so dürfen Sie jetzt nicht zurücktreten. Es wird so hübsch sein, wenn wir gleichfalls unsere Verlobung anzeigen. Und ich werde ein großes Medaillon tragen mit einem verschlungenen B und E darauf und Ihrem Portrait darin, und das werde ich alle Augenblicke hervorziehen und küssen, wie es Lina Gertenau macht, damit Alle sehen, wie lieb ich Sie habe und wie glücklich ich bin. – Wann soll es denn sein?“

„Allerdings nicht so auf der Stelle, da ich noch heute abreise.“

„Sie reisen ab? Wie ungeschickt! O, wie verdrießlich! Aber Sie kommen zurück – nicht wahr, bald?“

„Kommen Sie mit hinein!“ forderte er seine Begleiterin, welche stehen geblieben war, als sie vor dem Schlosse anlangten, zum Eintritt auf.

„Nein, ich will nicht in’s Haus; ich will Niemandem begegnen,“ erklärte sie, der Thür den Rücken wendend, faßte aber dabei seine Hand und sah ihm ernst bittend in die Augen, indem sie von Neuem in ihn drang. „Also wenn Sie zurückkommen! Sie versprechen mir’s? Abgemacht? Topp! Ich halte Sie beim Worte. Vergessen Sie’s nicht! Sobald Sie zurückkommen, – bitte, bitte, lieber, guter Onkel Meinhard.“

„Was thu’ ich aber, wenn sich der kleine Kopf inzwischen eines Andern besonnen hat?“ scherzte er, um über die Pein der Situation schneller hinwegzukommen.

„O – ich brauche keine Bedenkzeit! Vergessen Sie das Medaillon nicht!“

Meinhard winkte ihr mit der Hand freundlich einen Abschiedsgruß zu, während sie die Stufen hinunterschritt. Er ging in’s Haus. Das wohlwollende Lächeln schwand dabei langsam aus seinen Zügen, über die ein tiefer, kummervoller Ernst seinen Schleier zog. Im Corridore blieb er stehen, ehe er Jemand suchte, der ihm Auskunft geben könnte, ob die Herrschaft zu Hause, ob Fräulein Hilda – – Er mußte sich erst fassen, sich in die neue Lage hineinfinden.

Er stand im Begriffe zu scheiden, wieder wie vor fünfzehn Jahren mit der Ueberzeugung, daß es für immer sei. Dieser Besuch war ein Abschiedsbesuch – von Hilda wollte er sich verabschieden. Damals – als er vor fünfzehn Jahren schied – hatte er den Tod im Herzen zu tragen vermeint, und doch war er am Leben geblieben, war wiedergekommen und hatte sogar eine lange Zeit hindurch sich wohl gefühlt. Es war nicht die volle Zufriedenheit und doch – eine Art von Glück gewesen.

Nun hatte auch das ein Ende gefunden. Diesmal war es nicht ein wildes Auflodern der Verzweiflung, das ihn von dannen trieb; er war älter, ruhiger geworden, aber was er empfand, wog doch nicht um ein Quentchen leichter als dazumal, nur daß er nicht mehr die Vollkraft der Jugend hatte, es zu tragen, und daß sein gereifter Verstand ihm klar die Zukunft zeigte, die seiner harrte, eine öde Zukunft ohne Liebe, ohne Glück. Nach der ersten Flucht hatte ihn sein Lebensweg gleichsam in einem Bogen zur Ausgangsstelle zurückgeführt, aber aus der Selbstverbannung, in welche er jetzt zu gehen im Begriffe stand, gab es keine Wiederkehr. Die Jugend ist nie hoffnungslos; denn das Leben liegt ja noch freundlich winkend vor ihr, aber was der Mensch in späteren Jahren verliert, ach, dafür giebt es keinen Ersatz mehr.

Ungeliebt neben Derjenigen hergehen zu müssen, deren Bild er, soweit er zurückdenken konnte, stets in gleicher Verehrung und Treue im Herzen getragen, das war ihm einst als eine Unmöglichkeit erschienen, bis er dann erkannte, daß es ihm noch weit schwerer fiel, das theure Mädchen zu meiden. So hatte er denn wieder ihre Nähe gesucht, und resignirt nahm er mit dem bescheidenen Loose vorlieb, das ihm das Schicksal vorbehalten hatte. Er sah sie; er trank den Sonnenstrahl aus ihren Augen; er durfte seine Gedanken mit ihr austauschen, einen regen Verkehr mit ihrem Hause unterhalten und das milde Behagen einer herzlichen Freundschaft genießen; er hatte seinen stürmischen Willen beherrschen gelernt und ihn zur Genügsamkeit erzogen, um nicht auch noch dieses bescheidene Maß von Seelenfrieden einzubüßen. Und manchmal war sogar ein Freudenstrahl in dieses stille Leben gefallen. Ein Ton ihrer Stimme, ein Druck ihrer Hand, ein klarer, beseligender Blick ihres Auges weckten dann die längst begrabenen Hoffnungen aus dem Scheintode auf, und er konnte für Momente, für Stunden sogar sich dem lieblichen Traume hingeben, daß in der Tiefe dieses keuschen, ruhigen Mädchenherzens doch eine Stimme lauter für ihn, als für jeden Anderen spreche; er konnte sich in dem beglückenden süßen Gedanken sonnen, daß er Hilda mehr sei, als blos der Jugendfreund, der Vertraute, der Rathgeber.

Kein Freier war ihm vorgezogen worden, und es hatte den Anschein, daß die Hingebung für die Familie Hilda’s Leben ganz und gar ausfüllen sollte, vielleicht kam aber einmal doch eine Aenderung in diese kleine Welt; ein Frühlingshauch zog durch die eingerissene Wand und dann – stand er nahe genug, um die Blüthen auf deren Erschließen er so lange in Geduld und Treue geharrt, in seinem Busen aufzufangen.

So war er geblieben, auf alle Begünstigungen verzichtend, die sich für seine materielle Existenz boten, ein pflichteifriger Diener des Staats in beschränkter Stellung und ein stiller Gast im stillen Hause.

Er war nicht ehrgeizig, aber er hätte es sein können um einen Preis, um sie, um die Geliebte. Für sie hätte er sich emporschwingen mögen zu hervorragender Stellung; er hätte den Ehrgeiz für sie gehabt, doch hier, wo derselbe ihn nur aus ihrer Nähe entfernen mußte, unterdrückte er ihn – nur für sie.

Dann war eine Zeit gekommen, wo der alte Liebestraum in ihm erwacht war, und vorsichtig, um ihn nicht wieder zu zerstören, hatte er gewartet und langsam mit zaghaft gewordener Hand hinwegzuräumen gesucht, was noch zwischen ihm und Hilda lag. Der Zufall schien ihm die Hand zu bieten und hatte seine Absichten gefördert. Da, in dem Momente, wo er endlich das Glück zu fassen vermeinte, war er von neuem zurückgeschleudert in’s Hoffnungslose, wie damals, nur weit bitterer noch; seine Hingebung, seine Treue hatten Zorn und Verachtung geerntet. Die Liebe hatte er gesucht, und die Mißdeutung war ihm begegnet.

So hatte der Traum abermals ein jähes Ende gefunden, und nicht genug an der Enttäuschung – ein Anderer, Glücklicherer war ihm zuvorgekommen und hatte spielend die aufgebrochene Blüthe gepflückt mit der kecken Hand der Jugend, die gewinnt, weil sie wagt.

Nun war es für immer vorbei.

Hier gab es keine zweite Rückkehr mehr. Was er heute erfahren, bestätigte ihm nur, daß er richtig gehandelt, als er gestern nach der so schroff abgeschlossenen Zusammenkunft mit Hilda seinen Entschluß gefaßt und die Brücke hinter sich abgebrochen. Die neue Erfahrung war tief schmerzlich, aber nicht Zorn und Scham rief sie diesmal in ihm hervor, nein, nur Trauer und Mitleid für Hilda; tief beklagte er ihre Wahl, in der er kein

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