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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Drittes Blatt! – Acht Wochen ohne zu arbeiten!! Wenn ich so fortfahre, wird mein Werk in zehn Jahren nicht fertig werden. Aber wie soll ich auch meinen Geist mit metaphysischen Studien beschäftigen, wenn er so ganz eingenommen ist von dieser köstlichen Correspondenz mit meiner herrlichen Diane. So unterschreibt sie nämlich nun ihre Briefe.

Mit fieberhafter Spannung sehe ich jeder Post entgegen; mehrere Stunden täglich bringe ich mit Antwortschreiben zu – ich glaube, ich habe in dieser Zeit mindestens dreihundert Druckseiten an jene poste restante-Adresse geschickt – ganze Memoiren! Auch ihre Briefe werden immer häufiger und länger. Ich glaube, sie hat mir in den fünfundzwanzig Octavbogen, die ich Glücklicher nun von ihrer Hand besitze, Alles mitgetheilt, was sie im Leben gedacht und empfunden hat, ohne jedoch ihre äußeren Verhältnisse zu verrathen. – Welch ein funkelnder Geist, welch eine glühende Phantasie, welch ein tiefes Gefühl! Ich bin verliebt. Ja – einfach rasend verliebt.

Es thut mir wohl, daß ich die stürmischen, sehnsüchtigen und leidenschaftlichen Regungen, die sich meiner bemächtigt haben, in eine kleine bündige Formel zu fassen wußte, in die Formel: rasend verliebt.

Beneidet mich Alle, Ihr armen Nichtverliebten! – Nicht um eine Million tausche ich mit Euch. – Diane! Diane!

Sie hat mir auch ihre Photographie geschickt. Dennoch weiß ich nicht, ob sie schön ist; denn das Bild zeigt mir nicht ihre Züge, aber die Composition des Bildes selbst ist ein kleines kokettes Gedicht: die Decoration derselben zeigt nicht die traditionelle Säule, auf welcher einige Albums liegen, auch nicht die bekannte Landschaft als Hintergrund.

Nein, wir sehen eine breite Treppe, von welcher eine anmuthige Frauengestalt in reicher Balltoilette herabsteigt. Die Dame stützt sich mit einer Hand an das Geländer; mit der andern hält sie ein großes Rosenbouquet, in welches sie – scheinbar dessen Duft einathmend – ihr Gesicht vergräbt. Man sieht von demselben nur die löckchenbedeckte Stirn, fein gezeichnete Brauen und gesenkte Augenlider. Von dem Blumenstrauße hängt eine Bandschleife herab, auf deren einem Ende mit kleinen Lettern die Worte stehen: „Cela n’engage à rien“. Auf der Stufe hinter der Schreitenden breitet sich die Schleppe des Kleides aus, während man auf der vordersten das zum Herabsteigen hervorgesetzte feine Füßchen sieht.

Wenn sie auch ihr Gesicht verhüllt, so ist es doch eine bestrickende Schönheit der Formen, welche diese herrliche Frau schmückt. Diese herabfallenden Linien des Nackens, dieser entblößte volle Arm, diese reizende Taille, diese zarte, grübchengeschmückte Hand und endlich dieser liebliche Bau des Fußes – all dies gewährt ein Bild des vollendeten Reizes.

Außerdem ist die Haltung von so ungezwungener Grazie, von so vornehmer Eleganz, daß das Original dieses Bildes – wenn auch die verborgenen Züge unbedeutend wären – eine bezaubernde Erscheinung sein muß.

Ich habe noch keine Ahnung, wer meine Correspondentin eigentlich ist. Ich habe auch keinerlei Spionirsystem angewendet, um das Geheimniß zu ergründen, und weder bei der Post, wo sie die Briefe holen läßt, noch bei den Photographen der Residenz Nachforschungen angestellt. O nein, ich will nicht spioniren. Der Name des Photographen ist zwar von der Rückseite des Bildes wegradirt, doch könnte man vielleicht durch vorsichtige Nachfragen in den ersten Ateliers auf die gewünschte Spur gelangen. Aber sonderbar – bis jetzt empfand ich nicht einmal die Neugierde, Name und Stand meiner Briefstellerin zu erfahren.

Gerade das Geheimnißvolle erhöht den Reiz. Dabei hegte ich bisher die stille Hoffnung, daß sie einst selbst das maskirende Bouquet vom Antlitz entfernen würde – um mir eine Rose daraus zu schenken. ... Aber jetzt fängt die Ungewißheit an, mich zu quälen. Soll ich ihr schreiben, daß ich sie liebe? Ach, warum frage ich nur noch? Ich kann ja doch nicht anders. Also ich schreibe ihr!

 „Diane!

Auf die Gefahr hin, das Traumbild zu verscheuchen, das mich seit Ihrem ersten Briefe umgaukelt, wage ich eine Sprache, die uns aus der Welt der Phantasie in die der Wirklichkeit zurückversetzt.

Vor allem das Geständniß, daß ich Sie liebe, Diane! Sie wissen recht gut, daß es nicht anders kommen konnte. In fünfundzwanzig Bogen enger Schrift haben Sie alle Reize des Geistes entfaltet, alle, sage ich, die nur fähig sind, einen empfänglichen Sinn zu bestricken: Sie haben den Schleier ein wenig gelüftet, der Ihr Herz verhüllt, Ihr schönes, liebes Herz; Sie haben mir in dessen Tiefen kürze Einblicke gewährt; Ihr halbverhülltes Bild hat mich Ihre Schönheit errathen lassen – und ich sollte nun nicht flehen: Diane, Holde, Herrliche, werde die Meine!?

Wenn Sie nicht frei sind, – nun, es giebt ja doch Ketten, die man sprengen kann, aber sollte dies nicht angehen, sollten Sie durchaus nicht mir angehören können, oder etwa gar nicht existiren und – o schrecklicher Gedanke! Briefe und Bild nur Fiction sein, o, dann lassen Sie mich nicht länger in meiner Täuschung schmachten!

Ich bin entschlossen, Ihnen nachzuforschen, Diane. Entweder soll die mich bis zum Wahnsinn berückende Traumgestalt in Nichts zerfließen, oder ich werde den Schleier zerreißen, der mir die Geliebte verbirgt; ich werde ihr mit eigener Stimme sagen, was meines heutigen Briefes einziger Inhalt ist: Diane, ich liebe Dich.“

Ja, diesen Brief will ich noch heute absenden und in drei Tagen kann die Antwort in meinen Händen sein. Wie werde ich die lange Zeit tödten? An das Ausarbeiten meiner philosophischen Notizen kann ich leider nicht mehr denken. Ein Verliebter, der über allgemein menschliche Gefühlserscheinungen philosophiren wollte, wäre er nicht wie ein galvanisirter Frosch, der Betrachtungen über Muskelzuckungen anstellt? Vorüber ist es einstweilen mit meiner subjectiven Weltanschauung – vorläufig bin ich ein Object.

Diane! Diane! Wie wird Deine Antwort lauten?!

*  *  *

Da ich in diesen Blättern obige Frage niederschrieb, so will ich nun auch deren Beantwortung hier eintragen. Gewährt es mir doch auch eine erneute Freude, den unzähligemal gelesenen Brief abzuschreiben:

„Ihre ungestüme Sprache, Ritter Emil, hat mich erschreckt, aber wenn ich gleich ein wenig zittere, so ist es mir doch nicht unlieb, dieses Zittern. Das ist es wohl, was man ‚süße Schauer‘ zu nennen pflegt. Ja, sehen Sie, ich habe so vieles nennen hören, was die Glücksgeschichte des Weibes ausmachen soll: Allgewalt der Schönheit, Gluth der Leidenschaft – und wie alle diese Flügelschläge des Herzens heißen, welchen man bei Dichtern und Romanschreibern begegnet – ich habe sie nennen hören, aber selbst empfunden habe ich einen Hauch dieser Gefühle noch niemals.

Erst jetzt, Ritter Emil, in diesem eigenthümlichen Briefwechsel, tritt jene ganze Traumwelt der Wirklichkeit ahnungsvoll an mich heran – und ich zittere – und lächle dabei.

Verehrter Herr Correspondent, forschen Sie mir nicht nach! Ich bin entschlossen, die Maske selbst fallen zu lassen, sobald es an der Zeit ist – und fürchten Sie nicht, daß mein Wesen in ‚nichts‘ zerfließe! Die Photographie ist mein Bild; die Briefe sind mir aus der Seele geschrieben, und jedes Wort darin ist der Spiegel meines innersten Seins.

Ich zweifle meinerseits nicht an Ihrer Aufrichtigkeit. Sie haben sich mir im ersten Briefe schon zu erkennen gegeben, sodaß mir über Ihre gesellschaftliche Ehrenhaftigkeit kein Zweifel aufkommen konnte, und was den Werth Ihres Geistes- und Gefühlslebens betrifft, so haben mir Ihre Folianten denselben genügend dargethan.

Der kleine Wahn, mein Theurer, in dem Sie befangen sind, ein Philosoph zu sein, ist eine harmlose Marotte, aber Sie sind ein gemüthsreicher, wissensdürstender, heiterer, edeldenkender Mensch, der es wohl verdienen würde, recht herzlich glücklich zu werden.

Wissen Sie, bei Ihrem Gutsnachbarn, dem Grafen Saalfeld, finden in den nächsten Tagen die großen Herbstjagden statt, zu welchen er seine ganze Nachbarschaft und auch viele Freunde aus Wien zu laden pflegt. Und nun hören Sie: auch ich werde diesmal zu der im Schlosse versammelten Gesellschaft zählen. Emil, werden Sie Ihre Diane erkennen? Ich gebe Ihnen kein Losungswort; ich werde kein Erkennungszeichen tragen; ich freue mich darauf, zu sehen, wie Ihre forschenden Blicke von einer Dame zur anderen wandern werden.

Ich fordere Sie bei Ihrer Ehre auf, nicht frühere Nachforschungen anzustellen; denn ich werde mich Ihnen selbst zu erkennen geben. Dieses ist mein letzter Brief, der letzte nämlich aus der Serie von ‚cela n’engage à rien‘.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_183.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2022)