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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 12.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


„Also Du hattest doch eine Zusammenkunft, Hilda!“ sagte Edwin.

„Ja, allerdings – und ich bin Ihnen volle Offenheit schuldig, Edwin.“

„Sie haben seltsam damit begonnen.“

„Hören Sie also! Schon gestern beabsichtigte ich Ihnen alles mitzutheilen, aber –“

„Aber,“ fiel er ihr in’s Wort, „ich verschmähte es, Bekenntnisse aus der Vergangenheit zu hören. Allerdings scheine ich mich in der natürlichen Voraussetzung, daß sich die Vergangenheit nicht in die Gegenwart hineinspinne, getäuscht zu haben.“

Hilda sah ihn groß und verwundert an.

„Lassen Sie mich einen Fehler, den ich absichtslos beging, gut machen! Ich setze voraus, daß Sie unsere Familienverhältnisse kennen. Franz wird sie Ihnen, denke ich, nicht verhehlt haben; er ist zu wahrheitsliebend, als daß er seine Braut und die Ihren auch nur einen Augenblick darüber im Unklaren gelassen hätte. So hörten Sie denn gewiß auch schon, daß ich außer Franz noch einen Bruder habe, einen armen unglücklichen Bruder. – Er ist es, von dem ich komme. Und nun wissen Sie, Edwin, wie vorschnell, wie ungerecht Ihre Vermuthung war.“

„Wie? er ist hier?“

Die Frage klang verlegen, mißtrauisch.

„Schon seit einer Reihe von Tagen. Krank und elend kam er hier an, in dem Irrthum, daß seine Rückkehr straffrei sei. Ich glaubte ihn vor Allen verbergen zu müssen, selbst vor Franz. Vielleicht habe ich Unrecht damit gethan.“

„Also das ist es!“ rief Edwin in einem Tone, der aus einem erleichterten Herzen kommen sollte, aber doch mehr gezwungen als fröhlich klang. „O, so war ich denn ohne Grund eifersüchtig, meine Theure!“

„Sie scheinen das beinahe zu bedauern.“

„Gewiß, weil ich mich dadurch an Dir verging, Du Engelsreine,“ beeiferte er sich, den eigentlichen Sinn ihrer Worte scheinbar überhörend, seine Reue kundzugeben. „Aber Du kannst mir deshalb nicht zürnen. Vergeben ist so schön und das Vorrecht des Frauenherzens. Aber, meine süße Braut,“ fuhr er fort, und die Hast, in der er sprach, deutete an, daß er schnell über das peinliche Thema hinwegzuschlüpfen wünschte, „Du hast mir heute noch nicht gesagt, daß Du mich liebst, daß Du mein bist. Sag’ es mir mit einem Kuß! Nur die Vögel im Gezweige belauschen uns hier. Zürnst Du mir denn noch, Grausame? Laß uns die erste Versöhnung feiern und erlaube, daß ich Dir dieses Armband umlege, als Sinnbild – –“

„O, jetzt nicht!“ wehrte sie seine Zärtlichkeit ab. „Hören Sie mich erst zu Ende! Mein armer Bruder, der auf Verjährung baute, befand sich in einem verhängnißvollen Wahn. Er ist in Gefahr, entdeckt zu werden.“

„Ja, das ist freilich seine Schuld. Er hätte bleiben sollen, wo er war.“

Die Kälte dieser Worte that Hilda weh.

„Nun ist er aber hier, und wenn er entdeckt wird, ist er verloren.“

„Das hätte er seiner Familie auch ersparen können,“ sagte Edwin mit unverhohlenem Unmuthe. „Es ist wahrlich keine besondere Ehre, der Verwandte eines verfolgten Verbrechers zu sein. Weißt Du – man muß trachten, ihn sobald wie möglich wieder fortzuschaffen.“

„Das ist auch mein Wunsch,“ sagte sie, und das Blut stieg ihr heiß in die Wangen, „ich war schon bemüht, es in’s Werk zu setzen, aber – aber ich muß Sie nun bitten, Edwin, mir dabei behülflich zu sein. Wollen Sie?“

„Ich? Wie komm’ ich zu –?“

„Das eben will ich Ihnen mittheilen. Doch reichen Sie mir indeß den Arm, und gehen wir weiter, damit keine Zeit verloren wird!“

Zu der Bereitwilligkeit, mit der er dieser Aufforderung entsprach, stand die Art und Weise, wie er Hilda’s Eröffnung über das Schicksal Wilhelm’s aufnahm, einigermaßen in Widerspruch. Anfangs zwar zeigte er scheinbar Theilnahme bei der Schilderung der Leiden, welche der arme Flüchtling erduldet, bald aber nahmen seine Ausrufe, mit denen er hie und da ihre Erzählung unterbrach, einen weniger freundlichen Charakter an, obgleich sie sich zuerst nur auf Schöpf und sein Auftreten bezogen. Nach und nach galten sie aber nicht mehr dem „Frechen“, dem „Elenden“, dem „gemeinen Schurken“ allein, sondern die Entrüstung übertrug sich auch auf den durch das Schicksal von dem „Blutsauger“ abhängigen „Schwächling, der nun alle in solche Fatalitäten brachte“. Die Gefahr, welche ihm drohe, habe er sich nur selber zuzuschreiben, aber es wäre rücksichtslos von ihm gehandelt, auch Andere in dieselbe mit hineinzuziehen, und dafür verdiene er reichlich jede Strafe – das war Edwin’s zuletzt deutlich ausgesprochene Meinung, durch die er offenbarte, wie wenig er Hilda’s Sorge theilte.

„Man muß dieser Revolverbande klar machen,“ sagte er, „daß sie sich täuscht. Führt der Spitzbube seine Drohung wirklich aus,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_185.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)