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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

die, so unter einem kecken grünen Spitzhütlein gedeihen; auch in diesem tieferen culturgeschichtlichen Sinne kann man sagen: „Kleider machen Leute.“

Am meisten sucht natürlich das jüngere Geschlecht die „Mode“, und selbst der noch ganz kleine Filius, dem solch’ ein Markttag neue Hüllen schafft, wird schon in schwarzes Tuch oder in symbolisches Grau gekleidet, statt daß man ihn mit nackten Knieen aufwachsen ließe, wie es sein Vater und „Ahnl“ gethan. Am längsten hält sich noch die Joppe (die übrigens nicht baierischen Ursprungs ist, sondern aus Tirol kam), und auch davon giebt es reichen Vorrath; fast auf jedem größeren Markte ist der „Kochelschneider“ vertreten, der als Specialist in diesem Fache gilt, wie ja auch das Gewandstück selbst „Kochler-Joppe“ genannt wird.

Auch eine Feder am Hut mag der Bauer ungern entrathen, trotz aller modernen Versuchung, und so gehört denn ein Kaufstand, wo alles erdenkliche Federspiel vertreten ist, zu den unvermeidlichen Artikeln eines richtigen Marktes. Wer gern großthun will, kauft einen „Adlerflaum“; auch ein „Reiherspitz“ findet allzeit gute Kunden, aber das Beliebteste bleibt doch der „Gamsbart“ und die Spielhahnfeder. Mit den Händen in der Hosentasche stehen die jungen Burschen[WS 1] vor dem Kramladen dort und mustern die Waare, während so mancher achselzuckend vorübergeht und denkt: „Dös holt man si’ droben am Berg, nit herunten beim Kramer.“

„Herr Nachbar, a Parasol? Morgen regnet’s,“ ruft der Schirmfabrikant einem kurzgedrungenen Bauer zu, der eben vorüberstapft.

„Dös is g’scheid; na wachs’ i no’(ch) a bißel,“ lautet die Antwort, ohne daß der Redende sich umsieht.

„Aber schöne silberne Knöpf, dös wär’ scho was anders für an guten Bauern,“ tönt eine schrille Stimme aus dem nächsten Stand – „oder an Anhenker für’s Dirndl?“ (So nennt man das silberne Halsgeschmeid.)

„Da brauchst scho an eiserne Ketten zum Anhänge, und nachher kommens Dir do’(ch) no’(ch) aus,“ brummt der Alte dawider – abermals ohne sich umzusehen; der Krämer aber rafft mit beiden Händen seine Schätze auf und weist sie der lugenden Menge.

Hier findet sich noch so manches köstliche alte Ding an Schnürwerk und Geschmeide; denn manches Erbstück, das Jahrhunderte lang im Besitz derselben Familie war, wird heute leider veräußert oder gegen modernen Zierrath eingetauscht. Die „Herrschaften“ aber, die über Sommer auf’s Land kommen, lieben das „alte Zeug“, und gerade auf sie ist hier die Speculation gerichtet; in dichter Menge umdrängen die schönen Fräulein aus der Stadt die hölzerne Bude, um Knöpfe von Silberfiligran, oder Gürtelschließen oder ein Halsgeschmeid zu holen, das vor dreihundert Jahren auf der vollen Brust einer Bauerstochter glänzte, wenn sie der Jäger von Hohenwaldeck oder der Bergknapp von Hall zum Tanz geführt.

Unbekümmert um diese zarten Gestalten und ihre alterthümlichen Passionen drängt dort ein breitschultriger Bursche durch den engen Markt; sein Halsgeschmeid sind ein paar breite Eisenketten, die er für den Zuchtstier daheim gekauft und die er auf diese Weise am bequemsten transportirt; als holde Zuthat trägt er über der Schulter einige Hacken und Heugabeln, die gleichfalls an solchem Tage für den häuslichen Bedarf erworben werden.

„Aufg’schaugt!“ ruft er phlegmatisch, so oft sich einer an denselben gestoßen hat.

Auch ein Verkaufsstand mit feststehenden Messern gehört zu den nothwendigen Attributen eines baierischen Marktes. Der Gebrauch derselben ist zum Glück im Hochland unendlich seltener, als in Niederbaiern , wo sie bei jedem Streite sofort gezogen werden, aber als Waffe, als Zeichen seiner Wehrhaftigkeit will sie auch der Bauer in den Bergen nicht missen. Ja, es ist bezeichnend genug für die Charakteristik des Stammes, daß König Rudolph von Habsburg bereits in einem Landfrieden, der speciell für die baierischen Gebietstheile galt, ein Verbot dieser Art für nöthig hielt. Es heißt dort (dd. 6. Juli 1281): „Swer stechmezzer in den hosen trait (trägt), dem sul man die hand abslahen.“

So grimmig ist zwar die Polizei von heute nicht, aber an Verboten hat es auch im neunzehnten Jahrhundert niemals gefehlt und noch weniger an – ihrer Uebertretung.

Ganz leer geht wohl Niemand vom Markte heim; denn auch die Generosität kommt an einem solchen Tage zu ihrem Recht, und sie ist im Bauernstande vielleicht verbreiteter, als wir es denken. Das alte Sprüchwort „nothi’ is’s nit lusti“ gilt vor Allem, wenn man außer Haus geht; es ist Ehrensache, daß der Bursch seinem Mädchen ein Geschenk macht, wenn sie an diesem Tage zusammentreffen; der Pathe muß seiner „Godl“ (das heißt dem Pathenkind) eine Gabe nach Hause bringen, und ebenso erwarten es die Kinder von den Eltern. Spielzeug aller Art liegt ausgebreitet, unschuldige Kränzlein für den Frohnleichnamstag, aber den Vorzug hat auch hier das Eßbare, „die essende Sach’“, wie der Bauer sagt. Darum ist der Lebzelter der populärste Mann mit seinen breiten braunen Herzen aus Pfefferkuchen, die ein geheimnißvoller Sinnspruch ziert. Noch geheimnißvoller freilich sind die Büchlein, die auf dem nächsten Stande ausgebreitet liegen: Ritter- und Räubergeschichten und Traumdeutereien.

„Stück für Stück zehn Pfennig,“ kreischt die Megäre, die diese Schätze hütet, und traumversunken steht der hochgewachsene Tiroler dort, der die Woche über als Holzknecht in den Bergen weilt; er hält seinen Schatz an der Hand, auch ein Tirolerkind aus dem Zillerthale, wie schon der breitkrämpige Hut verräth. Das Büchlein, das er in den ungefügen Fingern hält, soll das Recept verrathen, wie man unfehlbar in der Lotterie gewinnen muß – er streicht die Stirn mit dem blonden Ringelhaar und schlägt die großen blauen Augen auf und blickt stumm auf das sanfte und frische Antlitz des Mägdleins, als wäre nun das Glück ihrer Beider geborgen. Mühsam holt er den Zehner aus dem ledernen Beutel, und fast verstohlen birgt er das Wunderbuch im Brustfleck und geht mit seinem Schatze an der Hand so schnell von dannen, daß er gar nicht hört, wie die Megäre zum Nächsten spricht: „Stück für Stück zehn Pfennig!“

Da wirbelt wieder die Trommel: – rrrr – rrrr – bumbum – und im Sturmschritte drängt sich Alles den Seiltänzern zu; „’n Hercules, den müß’ ma sehgn.“ Es ist unser armer Freund von gestern, aber zum Glück ist sein Verhängniß erst bei Wenigen ruchbar geworden, und so genießt ihn die Mehrheit noch im unverkürzten Nimbus. Schon den ganzen Morgen über war seine Eisenstange und ein schwerer Feldstein frei auf dem Platze gelegen, damit Jeder sich daran versuchen könne; denn eine Verschleppung derselben war aus guten Gründen nicht zu besorgen. Ein dichter Kreis Schaulustiger umgiebt beständig die zwei gewaltigen Stücke. Der und Jener versuchte seine Kraft, aber nur ein achtzehnjähriges Bürschlein sah ich, das die Zweicentnerstange über den Kopf hob. Es war ein Futterknecht vom Bauer in der Au. Der Zauber, den die nackte Kraft auf den gemeinen Mann übt, bleibt ihm doch stets unwiderstehlich, das Elementare, Sinnenfällige, das darin liegt, hält ihn gefangen, und der Mann, der allein einen Fuhrwagen von der Stelle zieht, imponirt ihm unendlich mehr, als der verwehende Dampf, der einen ganzen Festzug beflügelt.

„Jetzt kimmt er, jetzt kimmt er,“ heißt es von allen Seiten, wenn nun der „Hercules“ in die umseilte Arena tritt; ein hoher Kieshaufen, der zur Seite steht, erscheint als günstige Tribüne; er ist im Nu erstürmt und fällt alsbald in sich zusammen unter der Last seiner neugierigen Besteiger. Unterdessen haranguirt ein abgeschabter Clown die Menge und erzählt unter Purzelbäumen die Biographie des „Hercules“, die in dem wichtigen Aviso gipfelt: „Ist noch nicht verheirathet.“

Hercules – es ist wohl der einzige Name, der sich aus der griechischen Mythologie in’s altbaierische Volksleben verirrt hat und der dort sogar eine Art Hausrecht gewonnen hat: der prächtige braune Zuchthengst des Weissachmüller’s heißt Hercules, wenn auch an der Stallthür „Herluckes“ geschrieben steht.

Und wenn nun die Production beginnt, da solltet ihr erst die glänzenden Bauernaugen sehen, die jedes Stück begleiten: er läßt sich den Oberarm mit einer starken Peitschenschnur umbinden und durch einen Ruck der Muskeln zerreißt er die Schnur; er wirft ein Messer auf den Tisch, daß es stecken bleibt, aber von seinem Arme prallt es ab, als ob es auf Eisen gefallen wäre. Und während noch Alles in höchster Spannung lebt, umkreist der bekannte Teller die „hochverehrte Versammlung“, aber zuerst den äußersten Ring, damit keiner entwische.

Mit verzweifelter Anstrengung macht „Kasperl“ dem verhaßten Gegner Concurrenz, und er hat hinwiederum den Vortheil, daß es dort Prügel in Menge giebt. Dieses erhabene Schauspiel bleibt dem Volke doch immer das liebste; die ganze dramatische Action liegt hier im Knüppel, den der Held des Stückes führt, und die Glanzstellen seiner Diction verhallen auf den Köpfen von Tod und Teufel. Wie unvertilgbar seit Jahrhunderten ist diese deutsche

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bursche
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_191.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)