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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

seiner eigenen inneren Natur und der Lebensfügung, welche dieselbe immer kräftiger und selbstständiger hervordrängte. Und da nun später nur noch ein entscheidendes Ereigniß, die Berührung mit dem erweckteren Volksgeiste und breiteren Leben des alten Englands, weiterbildend auf ihn wirkte, im übrigen aber sein individueller Geist es war, was ihn diesen Zug verstehen und in seinen zwölf Londoner Symphonien, die auch heute noch überall leben, künstlerisch darstellen ließ, so nähern wir uns dem Verstehen seiner allgemeineren Bedeutung am besten dadurch, daß wir uns seine Individualität deutlich vorzuführen trachten. Sind doch darüber, weil sich schon früh soviel Menschen für ihn interessirten, Nachrichten über ihn genug vorhanden.

Zunächst erfahren wir, wie das Leben selbst ihn darauf führte und förmlich dazu zwang, die eigentlichen Quellen des Glücks in sich selbst zu suchen und als eine wirkliche Lebensgefährtin die Kunst zu betrachten: Haydn war, und zwar durch ein ganzes langes Leben, unglücklich verheirathet.

Seine Heirath ereignete sich aber so: In Wien, wohin er im Herbst und Winter zurückkehren durfte, gehörten die beiden Töchter eines Perrückenmachers Keller zu seinen Schülerinnen. Die Jüngere gefiel ihm bald gar sehr, das junge Mädchen zog es jedoch vor, in ein Kloster zu gehen.

„Haydn, Sie sollten meine älteste Tochter nehmen,“ sagte darauf einmal scherzend der Vater, dem der tüchtige junge Capellmeister offenbar sehr behagte, und Haydn – that es. War’s Unkenntniß und Unbehülflichkeit in Dingen des Lebens oder der Drang nach einem ehelichen Leben – Haydn that es; er heirathete ohne oder gar gegen seine Neigung, und wir hören nun, wie schwer er es zu büßen hatte.

Schon daß die Frau älter war als er, blieb ein Mißverhältniß. Allein sie war obendrein eine herrschsüchtige und eifersüchtige Frau, die, keiner Ueberlegung fähig, zanksüchtig und herzlos erschien. Zudem war sie, entgegen der einfachen Herzensfrömmigkeit Haydn’s, sehr bigott und prunkte gern mit ihrer Gläubigkeit. Gleichwohl urtheilte Haydn vom Anfange der Ehe an milde genug über seine Ehehälfte:

„Wir gewannen uns lieb. Dessenungeachtet entdeckte ich bald, daß meine Frau viel Leichtsinn besaß.“

Er mußte wegen ihrer Putzsucht sogar seine Einkünfte sorgfältig verbergen. Auch lud sie die geistlichen Herren gar oft zu Tische, ließ viel Messen lesen und gab mehr kirchliche Spenden, als Haydn’s Lage gestattete. Von ihres Mannes Künstlerthum hatte sie so wenig Begriff, daß Haydn einmal selbst sagte:

„Ihr ist’s gleichgültig, ob ihr Mann ein Schuster oder ein Künstler ist.“

Sie verwendete sogar seine Notenblätter zu Papilloten oder Pastetenunterlagen und suchte ihn obendrein oft absichtlich zu ärgern. Als sie aber eines Tages sich beklagte, es sei nicht einmal so viel Geld da, um ihn, wenn er unerwartet sterbe, begraben zu lassen, verwies er sie auf eine Reihe Canons, die er in Ermangelung von Bildern in Glas und Rahmen an die Wand gehängt habe: er stehe dafür, daß sie ein Leichenbegängniß decken würden. Aber so groß auch seine Langmuth war, mitunter konnte er sich eines bitteren Wortes über seine Frau doch nicht enthalten, und als im Jahre 1805 der berühmte Geiger Baillot mit ihm sein Haus durchschritt, ergriff er denselben plötzlich am Arme und zeigte auf ein Bild: „Das ist meine Frau; sie hat mich oft in Wuth gebracht.“ Sie war damals schon fünf Jahre todt.

Es ist somit begreiflich, wenn auch nicht entschuldbar, daß er allmählich anderer Neigung sich hingab. Er wandte sein Herz der Sängerin Luigia Polzelli, einer neunzehnjährigen Neapolitanerin, zu, welcher er mit ihrem kränklichen Manne bei Esterhazy begegnete. Ohne gerade schön zu sein, war sie von zierlichem Wuchse und sehr einnehmendem Wesen. „Ein schmales längliches Gesicht von dunklem Teint, dunkle lebhafte Augen; Brauen und Kopfhaar waren kastanienfarbig,“ sagt Haydn’s Biograph C. F. Pohl. Er hatte an einem Weibe die Hölle im Hause; der Sängerin war ein ähnliches Loos beschieden – kein Wunder, daß die Herzen sich zusammenfanden und gegenseitig Trost suchten. Es fehlte jedoch der Boden zu wahrer fesselnder Neigung. Bei all seinen glühenden Betheuerungen ewiger Liebe vermissen wir in Haydn’s Briefen jene Zeichen höherer Achtung, ohne welche ein dauerndes Herzensband nicht denkbar ist. Die Neigung zu Luigia Polzelli verstrickte Haydn in jahrelange Seelenkämpfe, bis er seiner Empfindung für die anmuthige Sängerin Herr wurde und ihr männlich entsagte.

Hören wir zum Schluß, wie Haydn persönlich im Leben erschien und wie sein Naturell beschaffen war! Mit Recht achtet Goethe das Naturell des ausübenden Künstlers so hoch und entscheidend für die Kunst. Und wenn es wahr ist, was Vasari meint, daß Niemand einen schöneren Kopf malen kann, als er selbst hat, so wird uns umgekehrt Haydn’s Portrait an seine Musik gemahnen.

Haydn’s hagere, aber kräftige Figur blieb etwas unter dem Mittelmaß. Seine Züge waren ziemlich regelmäßig, der Blick feurig und sprechend, jedoch meist im Ausdruck gütig und wohlwollend. Aus der ganzen Physiognomie und Haltung sprach Bedächtigkeit und sanfter Ernst, während das Gesicht Würde ausdrückte. Doch nahm er im Gespräch eine heiter lächelnde Miene an; nur hörte man ihn nie laut lachen. Seine große gebogene Nase war durch einen Polypen entstellt und hatte in Folge der Blatternarben an jedem Nasenloche eine andere Form. Die Unterlippe ragte kräftig sinnlich vor. Die Gesichtsfarbe war sehr braun; ein Chronist nennt ihn geradezu einen „Mohren“, und er selbst spricht von einem Fürstenpaare, das ihn wegen seiner Häßlichkeit nicht habe leiden können. Der Perrücke, die er von Jugend auf trug, blieb er bis in sein höchstes Alter treu. Sie verdeckte aber zum Nachtheil des Gesichtsausdrucks einen großen Theil der breiten und schön gewölbten Stirn. Lavater sagt von Haydn’s Schattenriß:

„Etwas mehr als Gemeines erblick’ ich im Aug’ und der Nase;
Auch die Stirne ist gut, im Munde was vom Philister.“

„In seinem Charakter war viel Frohsinn und Scherz,“ sagt ein Zeitgenosse über Haydn. „Die bürgerliche Beschränkung und regelmäßige Einfachheit der Lebensweise erhielten ihm zeitlebens das so köstliche Gut der Gesundheit, und so sehr er stets der inneren Arbeit zugethan war und daher ruhige Betrachtung und ernsteres Besinnen liebte, wußte er doch dem Gespräche meist eine launige Wendung zu geben. Ehre und Ruhm waren die zwei mächtigen Triebfedern, die ihn regierten, mir ist aber kein Beispiel bekannt, daß sie in Ehrsucht ausgeartet wären.“

Daß Heiterkeit der Grundzug seines Wesens war, dafür hier noch ein Beispiel. Da war in Wien die noch ziemlich jugendliche Frau von Genzinger, die Gattin eines angesehenen „Damendoctors“, der auch Leibarzt von Haydn’s Fürsten war. Bei ihr verkehrten Dittersdorf, der Componist von „Doctor und Apotheker“, Beethoven’s späterer Lehrer Albrechtsberger, Mozart und andere erste Künstler Wiens. Frau von Genzinger hatte auch die Freundschaft des „Vaters der Symphonie“ gesucht und auf die beste Weise gefunden; denn der Weg zu derselben war das Arrangement einer Symphonie für Clavier gewesen. So genoß er denn dort die „allerangenehmsten Unterhaltungen“, wenn er das „unschätzbare Glück hatte, neben Ihrer Gnaden zu sitzen und sie Mozart’s Meisterstücke spielen zu hören“. Allein des Fürsten Abneigung gegen die Residenz in diesen späteren Jahren verurtheilte ihn nur zu bald wieder zur „traurigen Einsamkeit“. So sendet er denn manchmal an seine „wohledelgeborene sonders hochschätzbare allerbeste Freundin“ tragikomische Seelengrüße, wie den folgenden vom 9. Februar 1790, dessen Originaltext man in den „Musikerbriefen“ findet:

„Nun, da sitze ich in meiner Einöd’, verlassen wie ein armer Wais, fast ohne menschliche Gesellschaft, traurig, voll der Erinnerung vergangener, edler Tage. Ja, leider vergangen! Und wer, wer weiß, wann diese angenehmen Tage wiederkehren werden, diese schönen Gesellschaften, wo ein ganzer Kreis ein Herz, eine Seele ist, alle diese schönen musikalischen Abende, welche sich nur denken und nicht beschreiben lassen, wo sind alle diese Begeisterungen? Weg sind sie und auf lange weg! Wundern sich Euer Gnaden nicht, daß ich so lange nichts von meiner Danksagung geschrieben habe! Ich fand zu Hause alles verwirrt; drei Tage wußte ich nicht, ob ich Capellmeister oder Capelldiener war. Nichts konnte mich trösten; mein ganzes Quartier war in Unordnung; mein Clavier, das ich dort so liebte, war unbeständig, ungehorsam; es reizte mich mehr zum Aerger, als zur Beruhigung. Ich konnte wenig schlafen, sogar die Träume verfolgten mich, und da ich Mozart’s ‚Figaro‘ zu hören träumte, weckte mich der fatale Nordwind auf und blies mir fast die Schlafhaube vom Kopfe.“

Mit diesem heitern Brieffragment des wackern Musikers mögen die obigen anspruchslosen Beiträge zu seiner Charakteristik ihren Abschluß finden. Das Andenken des gemüthvollen Meisters sei uns für alle Zeit gesegnet!




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