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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

da Frau von Boworowska nicht decolletirt war, doch war die Gestalt ebenso fein und anmuthig, wie auf meinem Bilde die Hand von ähnlicher Form, und besonders das Füßchen.

Kein Zweifel: sie war es – aber im Ganzen erfaßte mich doch eine Art Enttäuschung. Es war, als hätte ich etwas verloren. Die Wirklichkeit entsprach nicht meinen Träumen.

Und jetzt sollte ich liebenswürdig und geistreich sein! Ein Königreich für ein Bischen Geistreichthum!

Sie sprach zuerst.

„Waren Sie heute glücklich auf der Jagd?“

Immer diese Frage!

„Diana füllt meinen ganzen Sinn,“ sagte ich.

„Wirklich? So leidenschaftlich? Und wie viel Hasen haben Sie erlegt?“

„Kann man denn mit einem armen Jäger von nichts Anderem als von Hasen und sonstigem Gethier reden?“

„Sie sagten ja eben selbst, daß die Jagd Ihren ganzen Sinn erfülle.“

„Diane,“ sagte ich halbleise, „ich erkenne Sie.“

„Wie?“ fragte sie, als hätte sie nicht gehört.

Ich konnte meinen Satz nicht wiederholen; denn nun kamen mehrere andere Herren heran, und die Conversation wurde eine allgemeine. Frau von Boworowska entfaltete viel Witz und Heiterkeit und ließ dabei ihre funkelnden Augen spielen. Ich wußte nicht, wem ihr besonderer Vorzug galt, doch fiel auch mancher lächelnde Blick auf mich. „Eine Kokette,“ dachte ich, „Saalfeld hat Recht.“

Ich kehrte in den Salon zurück, entschlossen mit jeder der anwesenden Damen ein Gespräch anzuknüpfen; denn möglicher Weise konnte ich mich doch mit der Annahme getäuscht haben, daß Frau von Boworowska meine Correspondentin sei.

Ich machte die Bekanntschast dreier Comtessen, Schwestern, welche, im sacré-coeur erzogen, die Löwinnen der vorjährigen Carnevalssaison gewesen. Ihre Conversation bewegte sich nur auf Hof- und Picknickbällen im Jargon des blaublutigsten Hochmuths.

Unter ihnen konnte Diane nicht sein.

Eine geistreiche Frau von Hochfels, nicht mehr jung, aber sehr liebenswürdig, hätte mich einen Augenblick irreführen können, doch ein Blick auf ihre lange unschöne Hand belehrte mich, daß dies auch nicht das Original meiner Photographie sein könne.

Auf meinen Entdeckungsfahrten im Salon kam ich auch zu Fräulein Elsbeth. Ihr gebührte jedenfalls die Palme der Schönheit in diesem Frauenkreise.

Mehrere junge Cavaliere schienen ihr lebhaft den Hof zu machen, wahrscheinlich durch die Mitgift von zwei Millionen Mark noch gewaltiger angezogen, als durch die junonische Erscheinung des Fräuleins. Ich mischte mich in die Gruppe. Fräulein Elsbeth schien zerstreut, kalt, wortscheu. „Kein besonderes Geisteskind!“ dachte ich im Stillen, tauschte einige banale Phrasen und setzte meine Rundreise fort. Dabei erlebte ich einen großen Schreck. Die schnurrbartgeschmückte Hausfrau, Saalfeld’s fünfzigjährige Schwester, rief mich zu sich:

„Spielen Sie Whist, lieber Baron?“ fragte sie mit besonderer Freundlichkeit.

„Ich kenne keine Karte, gnädige Gräfin.“

„O, ich werde Sie nicht zu einer Partie zwingen. Sie können immerhin gestehen, daß Sie das Spiel kennen; cela n’engage à rien.“

Bei diesen Worten rieselte es mir kalt über den Rücken.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Die Alte Liebe. (Siehe Abbildung S. 197.) Die Landungsbrücke von Cuxhaven verdankt ihren eigenthümlichen Namen einem Wortspiele: Als die Stadt Hamburg im Jahre 1732 ihre Kolonie an der Elbmündung mit einem Nothhafen ausstattete, ward das zu diesem Zwecke errichtete Bollwerk auf einige dort versenkte alte Schiffe fundirt, die mit Pfählen umgeben wurden. Eines der Schiffe hieß, so erzählen Viele, „Olivia“ oder „Oliva“, und hieraus soll, durch Anklang an die Wörter des landesüblichen plattdeutsch „ole“ und „Leew“ jene Bezeichnung entstanden sein. Andere behaupten indessen, das Schiff habe nur „Die Liebe“ geheißen. Das Werk ist in einem derb-massigen Stile erbaut, dessen sich Fasolt und Fafner bei Errichtung der Burg Walhalla nicht zu schämen gehabt hätten; soll es doch dem gewaltigen Andrang der Meereswogen bei Nordweststurm Stand halten, ebenso den Eismassen Trotz bieten, welche allwinterlich der mächtige, hier drei deutsche Meilen breite Elbstrom gegen die Uferwerke schmettert. Und was das bedeutet, davon kann sich nur Jemand einen Begriff machen, der nahe einer Strommündung wohnt. Dem Bewohner des Binnenlandes klingt es fast unglaublich, was Abendroth, weiland Hamburgischer Bürgermeister, in seinem 1818 erschienenen Werke „Ritzebüttel und das Seebad zu Cuxhaven“ sagt: „Hier spielen die Wellen mit Felsenblöcken von 2000 bis 3000 Pfund, als mit einer leichten Last, und schleudern sie weit aus ihrer Lage rückwärts.“

Abendroth aber lebte lange als „Amtmann“ (= Senator, Statthalter) in Ritzebüttel und ist unbedingt glaubwürdig. Jenen Umständen angemessen wurden zu den mächtigen Pfählen, welche die Brücke um 3 bis 4 Meter überragen, Baumstämme von circa 18 Meter Länge und entsprechender Stärke genommen. Die halten schon einen Wogenprall aus. Gleich starke Construction weist auch die benachbarte „Kugelbaak“ auf, ein auf hohen Balken ruhendes, auf cyklopische Steinwälle fundirtes Seezeichen nordwestlich von der „Alten Liebe“. Es warnt vor der höchst gefährlichen Sandbank links vor der Elbmündung, dem „Schaarhörn“. Zwischen dieser und dem nördlich gelegenen Vogelsand führt nur eine verhältnißmäßig schmale Fahrrinne hindurch. Abendroth sagt: „Wer auf Vogelsand geräth, ist gewöhnlich mit Schiff und Mannschaft verloren; auf Schaarhörn wird die Mannschaft oft gerettet, Schiffe nur selten –“ also eine tückische Scylla und Charybdis. Ein Schrank auf der Kugelbaak, für gute Kletterer leicht erreichbar, enthält wollene Decken, Brod und Branntwein, damit schiffbrüchige Seefahrer, die sich hierhin retten, sofort Hülfe und Labung finden. Die Unterhaltung dieser Bauten sowie der Seezeichen, Feuerschiffe, Leuchtthürme, überhaupt die Betonnung und Baggerung der ganzen Unterelbe beschafft Hamburg aus eigenen Mitteln, obwohl die Kosten sehr hoch sind.

Es ist schön auf der „Alten Liebe“: Weite Wasserfläche fast nach allen Seiten, denn das flache Elbufer jenseits ist nur dem bewaffneten Auge erkennbar. Zur Linken der weiße Leuchtthurm und die dunkle Kugelbaak, sowie die niedrigen Schanzen der Forts, in denen deutsche Kanoniere die Küstenwacht halten; rückwärts zur Rechten die Thürme und Wälle des Schlosses Ritzebüttel, früher eine Raubritterburg, deren Insassen den hanseatischen Schiffen auflauerten bis 1392 die Hamburger mit bewaffneter Hand das Nest stürmten. Die bisherigen Besitzer, die reichsfreien Herren von der Lappe, traten dann im Friedensschlusse alle ihre Rechtsansprüche für 2000 Mark feinen Silbers an Hamburg ab. – Auf dem Strome bietet sich uns das bunte Panorama der Schifffahrt dar; stolze schwanengleiche Segler, rauchumflatterte Dampfer, dann die Fischerfahrzeuge und Ewer mit ihren braunrothen Segeln beleben das Bild.

Von der „Alten Liebe“ wird dieses Bild mit Kenneraugen betrachtet; denn dort pflegen die Lootsen in unbeschäftigten Stunden ihre kurze Tabakspfeife zu schmauchen oder ihr „Priemchen“ zu kauen. Wer es versteht, sich mit den alten Wasserratten in ein Gespräch einzulassen, der kann sich manch hübsches „Garn“ aus dem Seemannsleben spinnen lassen. Und wenn an schönen Sommerabenden das Meer leuchtet, wandert die Jugend Cuxhavens zur „Alten Liebe“, wirft Steine in’s Wasser und jauchzt, wenn die blauen Funken hoch aufspritzen und wenn die Ruderschläge und die Kielfurchen der Jollen feurige Strudel ziehen.

Auch ein Scherz knüpft sich an die „Alte Liebe“, den J. G. Kohl in seinen „Nordwestdeutschen Skizzen“ erzählt. Weil an den stets von den Wellen geschlagenen Balken die eisernen Klammern endlich verrosten, so wird Allen, die nach Cuxhaven kommen, demonstrirt, „daß an diesem Erdenfleck ausnahmsweise doch die alte Liebe roste“.

Bedeutungsvoll dürfte der Name auch manchem Auswanderer erscheinen, wenn sein Blick auf den Landmarken des Vaterlandes ruht; möge er auch „drüben“ der alten Liebe, der deutschen Heimath, nicht vergessen!


Kleiner Briefkasten.

Ph. P. in Brünn. Ungeeignet! Verfügen Sie gütigst über das Manuscript!

Ein achtundzwanzigjähriger Abonnent in Halle. Allerdings. Geben Sie gefälligst Ihre Adresse an!

E. S. in Schleiz. Ad. Klinger in Reichenberg i. B.



Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere. Die Verlagshandlung. 


Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_200.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)